Dienstag, 10. August 2010

IRAN zieht den „Sicherheitsgürtel“ enger

Teheran führt eine „Achse des Widerstandes“, die in Zukunft geschlossen agieren soll – Ziel: Änderung des Status quo in der Levante

von Birgit Cerha

„Die Macht des Widerstandes (gemeint ist die schiitische Hisbollah) und die Einheit der libanesische Armee lassen nicht zu, dass das zionistische Regime auch nur einen Baum fällt.“ Die Zeiten seien endgültig vorüber, in denen „das zionistische Regime ohne Angst bis an die Grenzen Beiruts vorstoßen konnte“. Damit bekräftigte Said Jalili, Chef des iranischen „Nationalen Sicherheitsrates“ bei einem demonstrativen Besuch des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah.Teherans Position in der sich verschärfenden Libanon-Krise. Und er fügte hinzu: „Libanon, Irak und Afghanistan sind Irans Sicherheitsgürtel.“

Die Iraner scheuen keine Mühe, um diplomatisch ihre Macht in der Levante zu verteidigen. Seit der jüngste Versöhnungsgipfel zwischen den beiden Erzrivalen um Einfluss im Libanon, Syriens Präsident Assad und Saudi-Arabiens König Abdullah in Beirut iranische Ängste weckte, Riad könnte die für Irans strategischen Interessen im Libanon so entscheidenden engen Bande zwischen Damaskus und Teheran sprengen, überstürzt sich die Diplomatie des „Gottesstaates“.
Eilig entsandte Khamenei nicht nur Jalili, sondern auch seinen höchsten außenpolitischen Berater, Ex-Außenminister Velayati, nur mit besonders kritischen Missionen beauftragt, nach Beirut. Er stellte damit klar, dass in einer für Irans geostrategische Ambitionen äußerst gefährlichen Situation das Libanon-Dossier nicht mehr Präsident Ahmadinedschad überlassen werden kann. Immerhin geht es um nicht weniger als Teherans strategische Position in der Levante. So zitierten die Iraner denn auch Libanons Außenminister Ali Al-Shami nach Teheran, wo sein Amtskollege Mottaki klarstellte, dass „das libanesische Volk und der Widerstand das Recht besitzen, jede Aggression (gemeint ist der jüngste von einem libanesischen Soldaten provozierte den blutigsten Schusswechsel mit israelischen Soldaten an der gemeinsamen Grenze seit 2006) zu beenden“.

Kein Zweifel, die „Islamische Republik“ setzt alles daran, ihrem wichtigsten Bundesgenossen in der Levante, dem schwer bedrängten Hisbollah-Chef Nasrallah, den Rücken zu stärken. Die Iraner stellen klar, eine „Achse des Widerstandes“ (Iran, Syrien, Hisbollah und Hamas) würde im Falle eines Krieges erstmals „gemeinsam und nicht individuell handeln“. Hanif Qaffari, Analyst in der radikalen Teheraner Tageszeitung „Resalat“ stellt fest: „Solange die Gefahr einer israelischen Militärattacke gegen den Libanon besteht, und das wird immer der Fall sein, muss Hisbollah zur Verteidigung über Waffen verfügen. In einer künftigen Konfrontation im Mittleren Osten wird es zwei Fronten geben: Iran, Syrien Hisbollah und Hamas auf der einen, Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien und die USA auf der anderen Seite. Tatsächlich haben Iran und seine Bundesgenossen seit dem katastrophalen israelischen Libanon-Feldzug 2006 (siehe Lexikon), in dem Syrien Iran und Hamas tatenlos zusahen, ihre Sicherheits-Bande verstärkt und präsentieren sich immer häufiger als eine Einheitsfront. Dies, obwohl jeder entschieden darauf hinweist, dass er seine eigenen, unabhängigen Interessen und Ziele verfolgt.

In der US-Administration zeigt man sich zunehmend alarmiert darüber, dass Iran, Syrien und Hisbollah in bisher einzigartiger Weise ihre militärischen Systeme zu integrieren suchen. Dazu zählt verstärkter Austausch von Geheimdienstinformationen, Waffenlieferungen, gemeinsames Training.

Auch politisch stellen sich die Iraner demonstrativ hinter Nasrallah. Man werde – so wird offiziell immer wieder betont – nicht zulassen, dass das internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Libanons Ex-Premier Hariri Hisbollah.-Mitglieder anklage. Dass Hisbollah mit dem Attentat von 2005 absolut nichts zu tun habe, versuchte Nasrallah durch eine Serie von Videoaufnahmen israelischer Aufklärungsflugzeuge über dem Libanon zu beweisen. Danach seien die Mörder in Israel zu suchen. Als Indiz dafür sollen u.a. detaillierte Aufnahmen des Zentrums von Beirut dienen, wo gewaltige Bomben 23 Menschen in den Tod rissen. Israel – so behauptet Nasrallah in seinen etwas verwirrenden Darstellungen – hätte von langer Hand geplant, den Mord Hisbollah in die Schuhe zu schieben. Die israelische Regierung wies unterdessen den Versuch, sie an den Pranger zu stellen als „lächerlich“ zurück.

Nasrallah sieht die Vorwürfe gegen seine Organisation als Kampagne, die militärisch bisher unbesiegbare Hisbollah nun mit anderen Methoden auszuschalten. In dieser kritischen Situation kann er nun voll mit Teherans Solidarität und Unterstützung rechnen.
Irans Nervosität über die jüngsten Entwicklungen lässt sich aus der zentralen Bedeutung erklären, die Hisbollah in der geostrategischen Planung Teherans seit ihrer Geburtsstunde 1982 bis heute besitzt. Im Schock der damaligen israelischen Invasion, der der Libanon hilflos ausgeliefert war, hatten Abgesandte Ayatollah Khomeinis die revolutionäre Schiitenorganisation mit dem Ziel aus der Taufe gehoben, nicht nur schiitische Bevölkerungsgruppe des Libanons aus Armut und Diskriminierung zu reißen, sondern die islamische Revolution über die Grenzen des Irans hinaus zu tragen. Seither hat sich eine Partnerschaft zum gegenseitigen Vorteil entwickelt und ein großer Teil der libanesischen Schiiten blickt dankbar nach Teheran, das über die Hisbollah beachtliche finanzielle und soziale Hilfe leistete und immer noch leistet und den Schiiten auch im libanesischen Staat zu einer zentralen politischen Rolle verhalf.

Irans Hauptziel in der Levante ist die Änderung des Status quo, um seinen als natürlich empfundenen Anspruch auf geostrategische Vormachtstellung zu untermauern. Immerhin profitiert der schiitische „Gottesstaat“, weit mehr als sein jüngst höchst aktiver geopolitischer Rivale Türkei, eindrucksvoll von dem sich stetig verstärkenden Gefühl politischer Ohnmacht, der anhaltenden Frustration in der arabischen Welt über die Unfähigkeit der USA, die Krisen der Region, insbesondere das Palästinenserproblem zu lösen. Nach einer eben von der US-Denkfabrik „Brookings“ und dem Meinungsforschungsinstitut „Zogby“ veröffentlichten Umfrage aus fünf arabischen Ländern (Ägypten, Jordanien, Libanon, Saudi-.Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten) sank die Sympathie für US-Präsident Obama seit dem Frühjahr 2009 von 45 auf 20 Prozent, während die Zahl jener Araber, die das Recht des Irans auf ein eigenes Atomprogramm verteidigen um 24 Prozent anstieg. 57 Prozent zeigten sich davon überzeugt, dass sich iranischer Besitz von Atomwaffen für den gesamten Mittleren Osten als positiv erweisen würde, eine Verdoppelung des Prozentsatzes gegenüber dem Vorjahr.

Immer enger wird der Iran nicht nur mit dem Libanon, sondern auch mit anderen Konfliktzentren in der Region verstrickt, mit dem arabisch-israelischen Friedensprozess (durch verstärkte Unterstützung der palästinensischen Hamas), vor allem aber mit den Nachbarn Irak und Afghanistan. Zum vierten Mal in zwei Jahren traf Ahmadinedschad Ende Juli zu einem Dreiergipfel mit den Präsidenten Afghanistans und Tadschikistans zusammen, begierig, den Amerikanern die Botschaft zu vermitteln: Die „Islamische Republik“ kann heute ihre Macht von der Levante bis nach Südwestasien ausspielen. Um eine Lösung in dem monatelangen Tauziehen zur Bildung einer neuen irakischen Regierung zu finden, führen nach informierten Kreisen die Amerikaner mit den Iranern intensive Geheimverhandlungen. Dabei, so Geheimdienstkreise, setzt Teheran die Hisbollah, der „Stock“, den es stets gegen Israel schwingen kann, wiederholt als Druckmittel ein.

Zentrales Anliegen Teherans ist dabei die Anerkennung der regionalen Vormachtstellung durch die USA. So sind es denn auch geostrategische, und nicht ideologische oder religiöse Motive, die Irans Hass auf Israel nähren, auf die einzige Großmacht in der Region, noch dazu von der einzigen Supermacht gestützt. Umgekehrt liegen die Wurzeln israelischer Obsession mit iranischer Atommacht weniger in der befürchteten Weitergabe von Nuklearwaffen an Hisbollah oder Hamas, als in der Zerstörung seiner jahrzehntelangen Verteidigungsstrategie. Iran hat dabei mittels Hisbollah bereits Fortschritte erzielt, die Teheran noch weiter ausbauen könnte, wenn es durch den Erwerb von Atomwaffen indirekt der Widerstandsfront eine Sicherheitsgarantie bietet und damit zu Attacken gegen Israel ermutigt.

Israels Verteidigungsstrategie beschränkt sich nicht nur darauf, einem Gegner unverhältnismäßig hohen Schaden zuzufügen, wie bereits wiederholt und zuletzt 2006 im Libanon oder gegenüber den Palästinensern in Gaza eindrucksvoll demonstriert. Um den Schutz des Judenstaates zu garantieren, setzten israelische Strategen traditionell auf die Fähigkeit, potentielle Feinde fast straflos, d.h. mit geringsten eigenen Verlusten, und wenn möglich präventiv vernichtend zu schlagen. Die bloße Existenz iranischer Atomwaffen, auch wenn diese nicht eingesetzt würden, zwänge Israel über Jahre hinweg zu militärischer Zurückhaltung.

Dank intensiver Aufrüstung durch Teheran und Damaskus hat Hisbollah inzwischen ein Abschreckungspotential entwickelt, das den Libanon erstmals in seiner Geschichte aus seiner verzweifelten Rolle als hilfloses „ewiges Opfer“ befreit und ihm eine Verteidigungschance bietet. Keiner der Kontrahenten, weder Israel, noch Hisbollah oder die Libanesen und schon gar nicht Iran sind derzeit an einem blutigen Konflikt mit unabsehbaren Folgen weit über die Grenzen der Levante hinaus interessiert. Für Teheran geht es vor allem darum, die starke Schlagkraft der Hisbollah nicht zuletzt für den Fall eines israelischen Angriffs auf seine Atomanlagen zu sichern. Für Israel aber, so betont ein hoher israelischer Beamter gegenüber der „International Crisis Group“, sei letztlich „ein Krieg im Norden der einzige Weg, um die Achse des Übels zu vernichten.

Bild: Iraner demonstrieren für Nasrallah.
Quelle: Spiegel Online

Erschienen in Kurzfassung in „Die Furche“ am 12.08.2010

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