In Ägypten hat der Kampf um das Leben nach dem Tod des „Pharao“ begonnen – Stabilität gegen Veränderung
von Birgit Cerha
Die Schlachtlinien sind gezogen, die Waffen gezückt. Wenn Ägyptens 82-jähriger Präsident Hosni Mubarak nach einem Besuch Frankreichs zum Nahost-Gipfel in die USA reist, dann erzielt er damit einen doppelten Erfolg. Nach Jahren innen- und außenpolitischer Stagnation, bedingt durch Krankheit und sein zunehmendes Alter, kann der Rais (wie man den Präsidenten in Ägypten nennt) sein volksreichstes arabisches Land wieder als diplomatischen Führer in den nahöstlichen Turbulenzen präsentieren. Mindestens ebenso wichtig ist die Botschaft, die diese Reise dem Volk daheim vermitteln soll. Wer mag angesichts der physischen Strapazen, des dichten Arbeitsprogramms, das Mubarak nun vor der Weltöffentlichkeit absolviert, noch daran glauben, dass der „Pharao“ dem Tode nahe stünde.
Seit Monaten bemüht sich die Propaganda des Regimes energisch, Gerüchte zu entkräften, Mubarak sei an Krebs erkrankt, hätte nur noch wenige Monate zu leben. Täglich erscheinen im staatlichen Fernsehen unzählige Bilder, die den Präsidenten in Erfüllung seiner offiziellen Pflichten, bei Ordenverleihungen, Eröffnung von Projekten, Kabinettssitzungen und staatlichen Empfängen einer Öffentlichkeit präsentieren, die sich – in typisch ägyptischer Manier - bereits eifrig Witze über das Ableben ihres Herrschers erzählt. Und um die letzten Zweifel zu zerstreuen, hat die alles dominierende „Nationale Demokratische Partei“ (NDP) nun ihre Entschlossenheit bekundet, Hosni Mubarak für eine sechste Amtsperiode für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr zu nominieren, sollte er sich dazu bereit finden.
Der Rais selbst hüllt sich in Schweigen. Ärzte, die ihn jüngst in Deutschland einer Gallenblasenoperation unterzogen hatten, bezeugen seinen Heilungsprozess. Dennoch wurden in den vergangenen Monaten Journalisten, die sich in Spekulationen über seine Gesundheit ergingen, mit Gefängnis bedroht. Der Gesundheitszustand des Präsidenten ist in der Öffentlichkeit tabu. Das Volk ist verunsichert. Als Orientierung bleibt ihm nur die Erinnerung an die wiederholte Beteuerung seines Führers, er werde „bis zu seinem letzten Atemzug“ die staatliche Verantwortung tragen. Und über die Nachfolge befragt, pflegt Mubarak gerne zu antworten: „Das weiß nur Allah allein.“
Seit 29 Jahren herrscht der ehemalige Luftwaffenoffizier über das Land der Pharaonen. Veränderung, Reformen, demokratischer Öffnung hatte er sich – verbal – verschrieben. Doch das Land versank in Autokratie mit brutalen Auswüchsen, einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, politischer und sozialer Lethargie, gepriesen jedoch von westlichen Mächten, insbesondere dem größten finanziellen Gönner, USA, als eine „Oase der Ruhe“ in der nahöstlichen Welt bedrohlicher Turbulenzen.
Und was nun, wenn diese nahöstliche „Ikone“ dahinschwindet? „Ägypten ist zu groß und geostrategisch zu wichtig, um einen Sturz in Radikalismus, ins Chaos zuzulassen“, meint ein Politologe in Kairo. Stets ängstlich um seine allumfassende Macht besorgt, hatte Mubarak seit seinem Aufstieg zur Spitze des Staates 1981 Rivalen ausgeschaltet, bevor sie ihm gefährlich werden konnten und keinen Vizepräsidenten, damit auch keinen klaren Nachfolger bestellt. Laut Verfassung übernimmt im Falle einer zeitlich begrenzten Vakanz der Vizepräsident oder der Premierminister die Staatsgeschäfte. Ägyptens gegenwärtiger Regierungschef ‚Ahmed Nazif gilt als Beamter, dem jegliche Befähigung zum Staatsmann fehlt. Im Falle permanenter Vakanz muß der Parlamentssprecher als Staatspräsident agieren, bis innerhalb von maximal 60 Tagen einer neuer Präsident gewählt wird.
Zwar meinen viele Ägypter immer noch, die NDP, die staatliche Elite werde die Nachfolge in ihren Kreisen regeln. Doch solche Kalkulationen der Führer des Landes wurden zu Jahresbeginn empfindlich gestört, durch den begeisterten Empfang, den viele Ägypter insbesondere der Mittelschichte dem heimkehrenden ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde und Friedensnobelpreisträger, Mohammed el Baradei, bereiteten. Die unter seiner Führung gegründete „Nationale Front für Veränderung“ weckte insbesondere unter der frustrierten Intelligenz und unter der Jugend die Hoffnung auf eine demokratische Alternative, während seit Jahren der Verdacht, Mubarak wolle seinen Sohn Gamal an die Spitze des Staates hieven auf heftigen Widerstand stößt.
Ein Jahr vor den für September angesetzten Wahlen hat nun offen der Kampf um die Macht am Nil begonnen. Und er trägt seltsame Blüten. Während der aufgeschlossene Modernist und Demokrat Baradei sich demonstrativ von den vom Regime zugelassenen und vom Volk ungeliebten Oppositionsparteien distanziert, lässt er sich aktiv von den offiziell nur geduldeten Moslembrüdern unterstützen. Sie verhalfen ihm innerhalb eines Monats zu 770.000 Unterschriften unter einen Forderungskatalog, der vor allem faire Wahlen, die Zulassung unabhängiger Kandidaten (wie Baradei) und die Aufhebung der drei Jahrzehnte alten Notstandsgesetze umfasst. Die Petition wird die Dominanz der NDP kaum brechen können, doch erreicht sie eine Million Unterschriften und mehr, dann würde das in den vergangenen Jahren äußerst schwache ägyptische Reformlager eindrucksvoll an Glaubwürdigkeit gewinnen.“Solche Zahlen könnte das Regime nicht mehr leicht ignorieren“, meint dazu Nabil Abdel Fattah vom Al Ahram Zentrum für soziale und historische Studien. Es würde den Beginn einer „neuen sozio-politischen Bewegung“ markieren.
Bisher weisen NDP-Sprecher die Forderungen nach Verfassungsreform mit der Begründung zurück: „Das ägyptische Volk will Stabilität.“ Und diese Stablilität soll ein Kandidat aus ihren Reihen garantieren. Ob dies der über 80jährige Präsident oder dessen 46-jähriger Sohn Gamal sein könnte, ist allerdings höchst fraglich. Der ehemalige Banker Gamal, der seit fast einem Jahrzehnt ökonomische Liberalisierung vorantreibt und seit einigen Jahren das Ppolitische Komitee der NDP leitet hat bis heute seine Kandidatur für das höchste Staatsamt nicht angemeldet. Und seit dem Erscheinen el-Baradeis auf der politischen Szene sank auch Gamals Präsenz. Eine von der NDP organisierte Umfrage über die Akzeptanz des Präsidentensprösslings in der Bevölkerung ergab nach informierten Kreisen eine derart niedrige Popularitätsrate, dass man ihr Ergebnis lieber geheim hält. Doch in einflussreichen Kreisen der Elite, insbesondere in pro-westlichen Wirtschaftskreisen, die von seinen Reformen profitiert, findet Gamal engagierte Anhänger. Diese haben nun – offenbar als Gegenaktion gegen Baradeis Bemühungen – eine Werbekampagne für den jüngeren Mubarak gestartet. In weiten Teilen Kairos und anderen Städten sind Wände seit einem Monat mit dem Konterfei des sympathischen jungen Mannes bepflastert, der als seriöser, kompetenter Manager gilt und den Ägyptern eine „neue Ära“ verheißt. Die Werbekampagne, von der sich die NDP offiziell distanziert, um nicht die Last eines möglichen Scheiterns tragen zu müssen, zeigt erstaunliche Absurditäten. So bietet sich dieses, im Präsidentenpalast großgezogene Kind der Privilegien als Führer an, der die Träume der Armen erfüllt. Während er sich auf Plakaten dem Slogan „Ein Neuanfang für Ägypten“ verpflichtet, setzt er sich dafür ein, die Macht der herrschenden Elite zu beschneiden.
In den Augen kritischer Ägypter zielt diese Kampagne vor allem darauf ab, Gamals Popularität zu steigern. Sollte dies wirklich der Beginn ernsthafter Versuche sein, Gamals Kandidatur zu lancieren, „dann“, so meint Shadi Taha von der oppositionellen Al-Ghad-Partei, „zeigt dies einen bemerkenswerten Mangel an Vertrauen in den Mann, der Ägyptens nächster Präsident sein könnte“.
Amr el-Shobaki vom Al Ahram Zentrum für politische und strategische Studien meint in der Pro-Gamal-Kampagne einen Machtkampf innerhalb der NDP zu erkennen. Mit Hilfe der Poster hofften Anhänger des „Sohnes“ Unterstützung für ihn in der Partei zu gewinnen Denn nicht allgemeine Wahlen, sondern interne Arrangements machen Ägyptens neuen Präsidenten. In diesen Arrangements spielt Hosni Mubarak die Schlüsselrolle. Bis heute hat er nicht offen Gamals Kandidatur befürwortet, offenbar besorgt, dass es ihm an entscheidender Unterstützung in den Schlüssel-Institutionen des Staates – insbesondere in den Sicherheitskräften – mangelt.
In diesem Tauziehen geht es keineswegs nur um Macht. Es geht um die Frage einer von einem immer stärker werdenden Teil der Bevölkerung ersehnten demokratischen Wandel – den glaubwürdig el-Baradei erstrebt – gegen Stabilität Ägyptens als Bollwerk gegen (islamistischen) Radikalismus in der Region, ein Ziel, das bisher für Mubaraks wichtigsten Verbündeten USA höchst Priorität besaß.
Montag, 30. August 2010
ÄGYPTEN: Countdown zum „Neubeginn“
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