Samstag, 12. Juni 2010

SUDAN: 2011 Entscheidungsjahr für den Sudan

von Dr. Arnold Hottinger
Seit seiner Unabhängigkeit, ja schon lange vorher, seit seiner Entstehung als ägyptische Eroberung zur Zeit Muhammed Alis, ist der Sudan ein Land, das die Trennungslinien von arabisch-Nordafrika und Schwarzafrika überlagert. Dies kam dadurch zustande, dass Gruppen von muslimischen Arabern und Türken, die unter mehr oder weniger straffer Oberhoheit von Kairo standen, sowie Armeen Muhammed Alis, welche seit 1820 das Obere Niltal besetzt hielten, Expeditionen nach dem « Inneren Afrikas » aussandten, die im wesentlichen dem Menschenraub dienten. Sie brachten Sklaven zurück, die sowohl vom Staat Muhammed Alis selbst verwendet oder im Niltal verkauft wurden. Die Expansion der Sklaven Raubzüge in das damals noch weitgehend unbekannte Innere Afrikas hinein führte zur Domination weiter Gebiete ausserhalb des Niltals und bis tief in das oberste das Niltal hinauf, die alle Kairo unterstellt waren. Sie blieben dies auch, nach dem Einmarsch britischer Truppen nach Ägypten vom Jahr 1882. Doch 1885 brach ein Aufstand gegen die « türkisch-ägyptische » Verwaltung aus, welchen der Mahdi, Muhammed Ibn Abdallah, anführte. (Türkisch-ägyptisch, weil der Hof von Kairo unter den Nachfahren Muhammed Alis offiziell der osmanischen Oberhoheit unterstand und seine Spitzenbeamten und Generäle, wie der Khedive selbst, türkisch sprachen).
Der muslimische Gottesstaat, den der Mahdi einrichtete, bestand unter ihm und unter seinem Nachfolger, dem Khalifa und führte Kriege (Jihad) gegen Äthiopien, Eriträa und nördlich nach Oberägypten bis eine anglo-ägyptische Expedition unter General Kitchner ihm 1898 (Schlacht von Omdurman) ein blutiges Ende bereitete.

Eine anglo-ägyptische Doppelherrschaft wurde eingerichtet. Doch Grossbritannien schloss 1924 die ägyptischen Militärs und Beamten aus, offiziell als Reaktion auf die Ermordung des britischen Generalgouverneurs des Sudans, Lee Stack, der sich auf der Durchreise in Kairo befand. Seither wurde das Land praktisch als eine britische Kolonie verwaltet bis zu seiner Unabhängigkeit im Jahr 1956. Legal gehörte es eigentlich weiterhin zur ägyptischen Krone.

Die britische Verwaltung trennte den Süden vom Norden. Den Bewohnern des Nordens war es verboten, ohne Sonderbewilligung den 10. Breitengrad nach Süden zu überschreiten. Denen des Südens den 8. nach Norden. Die Bevölkerung des Südens war im wesentlichen animistisch oder christlich, jene des Nordens muslimisch und weitgehend arabophon. Im Süden liess die britische Verwaltung Nacktheit der Stämme zu, was im Norden als etwas völlig ungehöriges galt. Es gab lokale Hilfstruppen aus nördlichen und aus südlichen Einheiten, eine jede wirkte unter britischer Oberaufsicht in ihrem Gebiete. Die Trennung der beiden Landesteile wurde 1946 zur Zeit der Entkolonisierung im Nahen Osten aufgehoben.

Schon im Vorfeld der Unabhängigkeit des Sudans, im August 1955, kam es zu Zusammenstössen zwischen südlichen Truppeneinheiten und nördlichen in der südlichen Provinz Equatoria. Sie endeten in einer Meuterei der südlichen Einheiten, die niedergeschlagen wurde. Jedoch Mannschaften und Offiziere der meuternden Truppen flohen in Busch und Urwald und begannen einen Guerrilla Krieg. Dieser wuchs an nach dem Abzug der Briten von 1956 und der Ausrufung der Unabängigkeit des Sudans. Die Guerrilla nannte sich Anya Nya (Schlangengift) und wurde in erster Linie von der Ethnie der Nuer getragen, doch auch die Dinka, die Zande, Bari Medi und viele andere der zahlreichen südlichen Volksstämme waren beteiligt. Die Armee der neuen sudanesischen Regierung von Khartum suchte sie zu bekämpfen. Die damaligen Kämpfe sollen bis zum Frieden von 1972 zu fast einer halben Million Todesopfern geführt haben. Nur einer in fünf dieser Opfer war ein bewaffneter Kämpfer.

Im Zusammenhang mit diesem Krieg kam es zum ersten Staatsstreich im Sudan. Er brachte schon kurz nach der Unabhängigkeit, 1958, General Abboud an die Macht. Doch auch das Militärregime vermochte der Guerrilla nicht Herr zu werden. Abboud wurde 1964 durch eine Volksbewegung abgesetzt, und der Versuch eines demokratischen Regimes folgte. Doch 1969 kam durch einen neuen Militärputsch Oberst Ja’far Numeiri zur Macht. Er musste sich 1971 gegen einen Putschversuch links gerichteter Offiziere wehren, die vorübergehend die Macht ergriffen. Dann herrschte er als Diktator bis zum Jahr 1984.

Die südliche Guerrilla erhielt erstmals eine zentrale Führung im Jahr 1971 unter dem ehemaligen Leutnant Joseph Lagu. Im folgenden Jahr kam es zu einem Friedensabkommen zwischen Numeiri und Lagu, durch welches der Süden weitgehende Autonomie zugestanden erhielt. Doch Numeiri selbst stiess 1983 die Autonomie Ordnung um, indem er eine neue Provinzeinteilung des Sudans anordnete, die auch die bisher autonomen Gebiete des Südens unter Khartum eingliederte. Dies geschah wohl in erster Linie weil im Süden und an der Grenze zwischen Süden und Norden Erdöl gefunden worden war. Darauf wollte Khartum nicht verzichten.

Der Süden reagierte mit der Ausrufung einer neuen Guerrilla, diesmal primär von den Dinka getragen. Der Berufsoffizier John Garang, ein Dinka und Christ, leitete sie, indem er eine SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) organisierte. Dieser zweite Bürgerkrieg, auch Anya Nya 2 genannt, sollte von 1983 bis 2005 dauern. Schätzungen nehmen an, dass er gegen 2 Millionen Todesopfer kostete ; die weitaus meisten davon durch Hunger und Seuchen.

Nach dem Sturz von Numeiri im Jahr 1984 wurde der Krieg von der sundanesischen Armee fortgesetzt und die Streitkräfte stiessen bis zur Grenze Ugandas vor. Doch die Guerrilla konnte sich halten, zum Teil dank Unterstützung Libyens, Ugandas und Kenyas. Auch ein neuer Militärcoup unter General Omar Bashir von 1989 führte nicht zu einem Ende des Bürgerkrieges, jedoch kam es zu starken Spannungen mit den USA wegen der Gegenwart Osama ben Ladens in Khartum und der radikal islamistischen Ausrichtung des damaligen Regimes. Washington verhängte Sanktionen über dem Sudan.

Die islamistischen Ausschreitungen nahmen ab und Osama ben Ladhen wurde zum Verlassen des Landes aufgefordert, nachdem die USA eine Pharmazeutische Fabrik bei Khartum bombardiert hatten, von der sie, wohl zu unrecht, vermuteten, sie diene der Giftgasherstellung. General Baschir konnte 1993 seine Macht festigen, indem er die Islamisten auf die er sich zu Beginn seiner Herrschaft gestützt hatte, schrittweise von der Macht entfernte.

Gegen 2002 begann mit einem Waffenstillstand in den Nuba Bergen eine Serie von Verhandlungen und Verträgen, die schlussendlich mit internationaler Hilfe 2005 in den Vertrag von Nairobi mündeten (CPA Comprehensive Provisional Agreement). Dieser stellte die Autonomie des Südens wieder her und verprach, der Süden werde innerhalb von sechs Jahren die Möglichkeit erhalten, durch ein Plebiszit die volle Unabhängigkeit zu erlangen. John Garang, der Anführer der SPLA wurde Vizepräsident des Sudans und Präsident des südlichen Landesteiles. Nach seinem Tod in einem Helikopter Unfall im gleichen Jahr 2005 folgte ihm Salva Kiir, der zweite Mann der Rebellen und der bisherige Militärkommandant ihrer Kämpfer, in diesem Amt nach.

Wahlen in beiden Landesteilen waren für 2010 vorgesehen und wurden auch durchgeführt, ohne an den bestehenden Machtverhältnissen etwas zu verändern. Das Plebiszit steht auf Januar des kommenden Jahres bevor.

Der Darfur Krieg
Ein weiterer Bürgerkrieg brach 2003 im Darfur aus, weil die dortigen Stämme sich von Khartum vernachlässigt fühlten. Zuerst versuchte die reguläre Armee der Lage Herr zu werden. Als sie dies nicht vermochte und als auch noch im Osten des Landes in den Provinzen Kassala und Red Sea Unruhen ausbrachen und Erhebungen gegen Khartum drohten, zeigte sich die Regierung gegenüber den Aufständischen im Osten kompromissbereiter als gegenüber den Rebellen in Darfur. Sie stimmte den Forderungen der östlichen Widerstandsgruppen weitgehend zu und vermochte die dortigen Unruhen so zu stillen. Dies geschah vermutlich hauptsächlich, weil die Ostprovinzen in der Lage waren, die Erdölleitungen zu unterbrechen, die Erdöl von und zu dem einzigen Hochseehafen, Port Sudan und der dortigen Raffinerie, transportieren. Sie drohten in der Tat, dies zu tun.

Doch gegenüber den Aufständischen von Darfur schritt Khartum zu harten Massnahmen. Die Regierung ermunterte und bewaffnete irreguläre Kämpfer, die sogenannten Janjawid, gegen die Aufständischen und die Bevölkerung der rebellischen Teile von Darfur vorzugehen. Diese Irregulären werden unter den arabophonen Darfuris ausgehoben, und sie sind oft ehemalige Soldaten der Regierung. Die Aufständischen sprechen meist kein arabisch. Doch beide Bevölkerungsteile sind überwiegend Muslime. Dies führte zu Massakern, Versklavung und Massenflucht der betroffenen Bevölkerungen, teilweise über die Grenzen nach Tchad und der Zentralafrikanischen Republik. Die internationale Gemeinschaft griff ein, und Khartum wurde gezwungen, afrikanische Friedenstruppen unter Leitung der Uno zuzulassen. Doch diese waren nicht in der Lage, eine volle Befriedung zu erwirken. Es kam zu Spannungen mit Tchad (Kriegserklärung Tchads im Jahr 2005, weil die Janjawid darfurische Flüchtlinge über die Grenze hinweg verfolgten, und angriffen), und die Sanktionen der USA wurden verschärft. Anklage wegen Genozid wurde vor dem Internationalen Kriminalgericht im Haag gegen Staatschef Bashir erhoben, welcher sich jedoch weigerte, die Anklage ernst zu nehmen. Schätzungen der Todesopfer der Kriegshandlungen in Darfur bewegen sich zwischen 200 000 und 400 000, die Zahl der aus ihren Heimatdörfern Vertriebenen soll über 2,5 Millionen betragen. Der grausame Konflikt dauert auch heute noch an, obwohl eine der aufständsischen Gruppen, die sich SLA (Sudanese Liberation Army) nennt, 2006 einen Vertrag mit Khartum unterschrieben hat, der den Bewohnern Darfurs Autonomie verspricht. Andere Gruppen jedoch, darunter JEM (Justice and Equality Movement) lehnten den Vertrag ab.

Die Wahlen vom vergangenen Mai machten deutlich, dass die Abspaltung des Südens im Süden als ausgemachte Sache gilt. Salva Kiir. Der Chef der südlichen Bewegung, war auf Grund des Übergangsabkommens von 2005 Stellvertretender Staatschef des Sudans geworden, nachdem der Chef der Partei der Rebellen des Südens, Garang, kurz nach seiner Ernennung zum Vizepräsidenten Sudans in einem Helikopter abgestürzt war. Doch in den Wahlen trat er nicht gegen den Staatschef, General Omar al-Baschir, an, sondern kandidierte für die Präsidentschaft des – gegenwärtig noch – autonomen Südens. Als ihren Kandidaten für die Vizepräsidentschaft des gesamten Sudans stellten die Südländer (SPLM , Sudan Peoples Liberation Movement) eine relativ unbekannte Figur auf, Yasir Arman, von dem angenommen wurde, er werde ohnhin eine Niederlage erleiden, wie es dann auch geschah. Yasir Arman trat kurz vor den Wahlen zurück, um gegen angebliche Wahlfälschungen von Seiten der Nationalen Kongress Partei (NCP) al-Bashirs zu protestieren. Er erhielt dennoch 22% der Stimmen. Al-Bashir gewann mit 68%. Die anderen Parteien in der ersten Mehrparteienwahl des Sudans seit 24 Jahren erhielten alle unter 5 % der Stimmen: ( PCP, d.h. die Islamisten Hassan Turabis) 4%; DKP 2%; Umma, Sadik al-Mahdi –zurückgetreten 1%). Doch alle Oppositionskandidaten protestierten gegen Wahlmanipulationen der Partei al-Bashirs (NCP), die bisher die Staatspartei gewesen war. Dass solche stattgefunden hatten, ist wahrscheinlich. Doch die internationalen Wahlbeobachter nahmen an, dass sie die wirklichen Proportionen nicht grundlegend zu entstellen vermochten. Im umkämpften Darfur mussten die internationalen Wahlbeobachter ihre Beobachter abziehen, weil sie für deren Sicherheit fürchteten.

In den Lokalwahlen für den Süden kam in ähnlicher Weise Salva Kiir (SPLM) mit 93% der Stimmen an die Spitze, die wichtigste Oppostionspartei , SPLM-DC unter Lam Akol erhielt 7 %. Doch auch im Süden gab es heftige Klagen und Anschuldigungen, die Leute der SPLM hätten die Wähler eingeschüchtert und Oppositionelle physisch mishandelt.

Omar al-Bashir hat mehrmals versprochen, er werde sich an die Verträge halten und den Süden in die Unabhängigkeit entlassen, wenn das Plebiszit, das im kommenden Januar stattfinden soll, dies fordert. Salva Kiir hat seinerseits erklärt, wenn das Pleniszit nicht stattfinde oder verschoben werde, wolle er einseitig die Unabhängigkeit im Süden ausrufen.

Bevor das Plebiszit stattfinden kann, ist noch die schwierige Frage der genaueren Grenzziehung zwischen Norden und Süden abzuklären. Sie ist heikel, weil es Oelfelder gibt, die im Grenzbezirk liegen und beide Seiten beanspruchen, sie zu kontrollieren und auszubeuten. Dies ist auch der Grund, weshalb die genaue Grenzziehung im Vertrag von 2005 nicht vorgenommen werden konnte. Die umstrittenen Erdölgebiete an der Grenze wurden ausgeklammert. Theoretisch soll ein Entscheid der dort lebenden Bevölkerungen die Zugehörigkeit festlegen. Doch weil es Nomaden gibt, welche aus diesen Regionen hinaus und in sie hinein wandern, bleibt unklar, wer genau der lokalen Bevölkerung angehört.


Abyei
Die verzwickte Lage in Abyei illustriert diese Komplikationen. Abyei ist eine Region, in der die Ngok Dinka zuhause sind, die aber auch seit alters von den Misseria Wandernomaden als Durchgangsweide benutzt wird. Im Bürgerkrieg hielten die Misseria sich auf Seiten der nördlchen Regierung und Armee, die Ngok Dinka schlugen sich mit ihren Dinka Verwandten auf Seiten der Guerilla. Der Friedensvertrag von 2005 legte fest, dass in Abyei die lokale Bevölkerung gleichzeitig mit dem ganzen Süden darüber abstimmen solle, ob sie zum Norden oder zum Süden des Sudans gehöre. Die Sache ist von besonderer Bedeutung weil in Abyei Erdöl produziert wird. Das wichtigste Oelfeld, eines der ertragreichsten des Sudans, aber möglicherweise bereits der Erschöpfung nahe, liegt in Haglig. Von dort geht eine Pipeline nach Port Sudan. Haglig soll die Kapazität haben, bis zu 250 000 barrels im Tag poduzieren.

Die Region von Abyei war jedoch nicht klar deliminiert. Eine Kommission wurde ernannt, um die genauen Grenzen festzulegen. Dies geschah, doch die Regierung von Khartum weigerte sich, den Befund der Kommission anzuerkennen. Im Vorfeld der Wahlen und des Plebiszits kam es zu blutigen Zusammenstössen zwischen südlichen und nördlichen Truppen und zur Zerstörung des Fleckens Abyei in den Jahren 2007 und 2008. Mit internationaler Unterstützung kamen beide Seiten überein, den Internationalen Gerichtshof im Haag anzurufen, um darüber zu urteilen, ob die Delimitierung von Abyei so wie die Kommission sie beschlossen hatte, gerechtfertigt sei (dies die These des Südens) oder ob sie „excessiv“ ausgefallen sei (wie der Norden behauptete).

Der Schiedsspruch im Haag entschied am 23.Juli 2009, die bisherige Grenzlegung sei zu weit gegangen und, eine neue, engere Grenze für Abyei sei zu bestimmen. Dies basierte in der Essenz darauf, dass das Gebiet der Ngoh Dinka enger gefasst und jenes Misseria von ihm losgetrennt wurde. Historische Argumente spielten dabei eine Rolle. Abyei war 1905 von den Engländern Kordofan zugeteilt und damit in eine „nördliche“ Provinz des Landes eingefügt worden, obwohl die Ngoh Dinka sich mit den Dinka identifizierten.

Beide Seiten nahmen den Schiedspruch an. Er teilt das Oelfeld von Haglig dem Norden zu, was den Wünschen Khartums entsprach. Doch er definiert die Region von Abyei dermassen, dass sie überragend von Ngoh Dinka bewohnt ist, und diese werden allen Ermessens nach in der bevorstehenden Abstimmung von 2011 für die Zugehörigkeit ihrer Region zum Süden stimmen. Dies entspricht den Wünschen des Südens.

Die Bedeutung des Erdöls für beide Teile des Sudans ist schon heute immens: 85 % des Einkommens des Südens besteht aus Erdölrenditen, und 45% des Einkommens des Nordens. Ein Krieg um Abyei hätte grosse Teile der Erdölindustrie still gelegt und ihre Infrastruktur gefährdet. Abgesehen davon, dass er den ganzen Friedensprozess bedroht hätte. Dies dürfte der wichtigste Grund dafür sein, dass sich beide Seiten schlussendlich dem Rechtsspruch fügten. Etwa 40 % der Oelindustrie liegt in den Händen chinesischer Erdölfirmen.

Der Umstand, dass ein Übereinkommen über Abyei erreicht wurde, kann als ein positives Vorzeichen für den gesamten Friedensprozess gedeutet werden. Beide Seiten scheinen sich letztlich bewusst zu sein, dass eine Rückkehr zum Krieg für die vitalen Belange von beiden äusserst verderblich wäre. Man kann sagen, Hoffnung besteht, dass die Abhängigkeit von der Erdölindustrie für beide Regierungen so gross geworden ist, dass sie ihnen eine Rückkehr zum Krieg verbietet. Dies ist eine neue Lage, die erst in der Übergangsphase zwischen dem Frieden von 2005 und der noch bevorstehenden endgültigen Lösung des Streits zwischen Norden und Süden zustande gekommen ist, weil sich die Erdölindustrie seither entwickeln konnte.

Doch die Darfur Frage schwelt weiter. Hier fehlt der Hebel der Erdölinteressen. Ja, die Rebellen von Darfur müssen befürchten, dass nach einer Loslösung des Südens, wie sie bevorzustehen scheint, in Khartum mehr Kräfte frei werden könnten, um gegen sie vorzugehen.


Wasserfragen
Am politischen Horizont des Sudans stehen auch Wasserfragen. Vor dem Ausbruch des Zweiten Kriegs mit dem Süden hatten Pläne bestanden den Oberlauf des Weissen Nils zu regulieren und erste Schritte zu ihrer Verwirklichung hatten begonnen. Zunächst ging es darum, den grossen Sumpf des Nils, Sadd genannt, der südlich von Malakal beginnt, zu regulieren,. Zunächst soll der Weisse Nil durch einen Kanal begradigt werden, der eine der grossen Flusschlaufen durchschneiden soll. Die riesigen Verdungstungsmengen des Wassers in diesem Sumpf können dadurch stark reduziert werden. Dies ist der sogenannte, aber nur begonnene, Jongolei Kanal. Das so gewonnene zusätzliche Wasser sollte nach damals aufgestellten Verträgen zwischen Aegypten und dem Sudan geteilt werden. Ägypten liegt sehr daran, dass diese Projekte, die der Krieg stillgelegt hatte, wieder aufgenommen werden können.

Doch in der Zwischenzeit haben die sieben weiter oben an den Nilströmen und deren Zuflüssen gelegenen Länder ebenfalls ihre Ansprüche auf Wasser und Pläne für Dammbauten vorgelegt. Dies gilt besonders von Äthiopien für den Blauen und Uganda für den Weissen Nil. Der Vertrag, der das Nilwasser zwischen dem Sudan und Ägypten teilt, stammt aus der kolonialen Zeit (1929), als Grossbritannien die Interessen der beiden Länder weitgehend bestimmte. Er wurde 1959 vor dem Bau des Hochdammes von Assouan revidiert, aber im wesentlichen bestätigt. Damals wie heute war Ägypten voll vom Nilwasser abhängig und erhielt so den Löwenanteil des Wassers. Ägypten erhält nach den auch heute noch gültigen Verträgen 55,5 Mia Tonnen Wasser im Jahr, fast 80% des Nilwassers, der Sudan 11%; die übrigen, total 7 Staaten des Nilbeckens haben nur Anspruch auf die restlichen 9 %.

Davon, dass die tiefer im Süden liegenden Länder auch daran denken könnten, Nilwasser abzustauen, war damals noch kaum die Rede. Heute stellt sich die Frage: wenn der Sudan Wasserverluste zulassen muss, weil Äthiopien oder Uganda Nilwasser verbrauchen, kann der Sudan dann seinerseits die Wassermengen reduzieren, die er vertragsgemäss Ägypten überlässt?

Ägypten wird sich mit aller Macht gegen solche Ansinnen stemmen. Im Gegenteil möchte Kairo bewirken, dass das Jonglei Projekt nach den bereits bestehenden Verträgen durchgeführt wird und Ägypten dadurch mehr Wasser erhalte. Wenn zwei Staaten im Sudan entstehen, wird auch der Süden sein Wort bei der Regulierung der grossen Nilsümpfe mitsprechen wollen.


Das Zusammleben der Stämme in einem südlichen Staat
Ein weiteres Grundproblem, das nach dem Plebiszit auftauchen könnte, ist die Frage ob die südliche Regierung in der Lage sein wird, ein staatliches Regime einzurichten, dem alle oder die Mehrzahl der Landeskinder zustimmen können. Der Einigungsfaktor des Widerstandes gegen den Norden wird wegfallen, und angesichts der entscheidenden Bedeutung, welche die Stammesloyalitäten in den südlichen Gebieten besitzen, wird eine Nationenbildung nicht einfach sein. Die Dinka besitzen schon heute die de facto Macht im Süden, wie die dortigen Wahlen drastisch aufgezeigt haben. Die bisherige Armee der Aufständischen (SPLA, Sudan People’s Army) steht unter ihrer Führung, die Leute der Widerstandspartei, SPLA, stehen ebenfalls unter Dinka Führung. Die Stimmen der Wähler, die sich über Gewaltanwendung durch die SPLA beklagten, waren primär solche von Sprechern anderer Stämme, oder „Ethnieen“ um das Fachwort der Soziologen zu gebrauchen. Man kann vermuten, dass für die Zukunft des Südens viel davon abhängen wird, ob die Dinka bereit sein werden, auch anderen Gruppen Zulass zu den Regierungsposten zu gewähren, und ob die anderen Gruppen davon überzeugt werden können, dass ihre Beteiligung einigermassen den Kriterien der Billigkeit entspricht. Wenn nicht, drohen weitere Unruhen und möglicherweise Kämpfe innerhalb des Südens.

Der Umstand, dass fast aller Reichtum aus den Geldern der Erdölgesellschaften fliesst und von dort in die Hände der Regierungsbehörden, erhöht den Einsatz im Konkurrenzkampf um Regierungspositionen um ein Bedeutendes.

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