Mittwoch, 2. Juni 2010

IRANS Regime verschärft den Terror

Ein Jahr nach Präsident Ahmadinedschads heiß umstrittener Wiederwahl ist die „Grüne Bewegung“ immer noch nicht zerschlagen – Droht ein neuer „heißer Sommer“?


von Birgit Cerha

„Gebt die Hoffnung nicht auf. Der grüne 12. Juni naht!“ Solche Botschaft, in grünen Lettern auf Mauern im Teheraner Universitätsgelände gemalt, soll Mut und Widerstandskraft der sich nach Freiheit sehnenden Iraner stärken. Je näher der 12. Juni, der erste Jahrestag der heiss umstrittenen Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads heranrückt, desto mehr die „grüne“ Oppositionsbewegung ermutigende und das Regime kritisierende Slogans tauchen in Irans Hauptstadt auf und verwickeln die Stadtverwaltung erneut in einen Wettlauf: Wer ist schneller – die „Provokateure“ oder jene, die deren aufrührerische Botschaft übermalen?

Die Führer der „Grünen Bewegung“, die vor einem Jahr in den weithin als krass manipuliert geltenden Wahlen unterlegenen Präsidentschaftskandidaten, Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi, rufen über ihre Websites zu friedlichen Demonstrationen auf. Sollten diese nicht genehmigt werden, woran kaum ein Zweifel besteht, dann – so Mussawi – sollten sich seine Anhänger mit der Verbreitung von Informationen über die sozialen Netzwerke begnügen. Doch auch dies ist nur mehr äußerst begrenzt möglich, da das Regime die Blockade von Internet, Facebook, SMS immer effizienter beherrscht.

Und dennoch: Die Nervosität der islamischen Diktatoren im Vorfeld des Jahrestages der Wiederwahl, die eine in der mehr als 30-jährigen Geschichte der „Islamischen Republik“ einzigartige Protestbewegung vom Zaum gebrochen hatte, ist im ganzen Land quälend spürbar. Nichts lässt deutlicher die Unsicherheit und Labilität erkennen, die Ahmadinedschad, die ihn entscheidend stützenden Revolutionsgarden und vor allem auch den „Geistlichen Führer“ Khamenei, ungeachtet monatelanger brutalster Repressionen, schwer zu schaffen machen.

Ähnlich wie vor dem so gefürchteten Jahrestag des Siegs der Islamischen Revolution 1979, dem 11. Februar, versuchen Irans Despoten durch eine weitere Steigerung brutaler Repression die Menschen von Kundgebungen abzuschrecken. Die Brutalität hat unfassbare Ausmaße erreicht. Mussawis politisch hoch engagierte Frau, die Soziologin Zahra Rahnavard, charakterisiert die Islamische Republik heute als ein „großes Gefängnis“. Tausende Studenten, Intellektuelle, Künstler, Journalisten und politische Aktivisten werden in den Haftanstalten des Landes seit einem Jahr erbarmungslos mit gravierenden Folgen für den Rest ihres Lebens gequält. Eine neue Verhaftungswelle rollt nun, rechtzeitig zum Jahrestag, über das Land, garniert mit Drohungen der Chefs von Polizei und Revolutionsgarden, dass selbst friedliche Demonstrationen, wie sie die Verfassung gestattet, am 12. Juni als „Krieg gegen das Regime“ gewertet würden. Ein Massenaufgebot an bewaffneten Milizionären der Bassidsch und Angehörigen der Revolutionsgarden hält sich schon bereit. Ihr Auftrag: „Null Toleranz“. Und als schaurigen Beweis ihrer gnadenlos brutalen Absichten, ließen die Machthaber im Mai fünf gewaltlose Aktivisten – darunter vier Kurden – exekutieren. Und im berüchtigten Evin-Gefängnis von Teheran werden eifrig neue Trakte gebaut, um noch mehr unliebsame Bürger einsperren zu können. Zugleich steigt die Angst vor weiteren Exekutionen. Sechs Männer, wegen „Mohareb“ (dem Kapitalverbrechen der Kriegsführung gegen Gott) zum Tode verurteilt, weil sie an Demonstrationen teilgenommen hatten, stehen als oberstes auf der Liste.

Iranische Menschenrechtsaktivisten sind davon überzeugt, das Regime sei entschlossen, den politischen Dissens endgültig zu ersticken. Die Methoden sind vielfältig. Psychoterror, massive Einschüchterung, selbst menschenverachtende „Spielchen“ zählen dazu. Mohammed Ali Jafari, Kommandant der Revolutionsgarden, spricht düster vom Juni, als dem Monat, in dem sich das „Schicksal der Revolution“ entscheiden werde. Nun haben die Behörden nach dem „Großen Satan“ USA auch einen Teufel im Inland entdeckt: Frauen mit „schlechtem Hedschab“ (islamischem Kopftuch). Radikale Geistliche, wie Ahmed Jannati, rufen zu einer entschlossenen Maßregelung von Iranerinnen, beginnend mit Regierungsbeamtinnen und Studentinnen. Wer gute Noten an den Universitäten erhalten wolle, müsse sich „korrekt“ kleiden, droht Jannati. Mit Verhaftungen und Strafen wurden bereits begonnen. Bespitzelung und Angst beherrschen den Alltag. Um diese Stimmung noch zu steigern, lädt das Regime seine konservativen Sympathisanten zu einer neuen Art von Computerspiel ein. Dabei können die Spieler Kampfjets elektronisch auf Personen zielen, die Mussawi, Karrubi und deren Mitstreiter Ex-Präsident Khatami ähneln. Kommandanten der Revolutionsgarden warnen, sollte Mussawi am 12. Juni auf die Straße gehen, könnte er sein Leben riskieren.

Doch selbst diese ungeheuerliche Repression stärkt das Regime nicht. Am Ende des ersten Jahres seiner zweiten Amtsperiode steckt Ahmadinedschad immer noch in schwerer Bedrängnis. Dass er zunehmend auch Teile seiner Hausmacht verliert, zeigte sich Ende Mai, als bei einer Kundgebung in der westiranischen Stadt Khoramshahr unzählige Zuhörer in einer für die „Islamische Republik“ einzigartigen Aktion die Rede des Präsidenten immer und immer wieder mit dem Ruf „wir sind arbeitslos“ unterbrachen. Zur politischen Unzufriedenheit, den drohenden UN-Sanktionen und dem damit wachsenden Druck von außen gesellt sich eine soziale Zeitbombe, die Ahmadinedschad, der sich durch seinen verbalen Einsatz für die Unterprivilegierten und Armen vor fünf Jahren seine Macht gesichert hatte, zum Verhängnis werden könnte. Irans Amt für Statistik gab jüngst bekannt, dass zehn Millionen der 71 Millionen Iraner unter der „absoluten“ und 30 Millionen unter der „relativen Armutsgrenze leben. Von den einst 60.000 Beschäftigten in der Ölindustrie des Südirans hätten nur mehr 8000 Arbeit.

Als sich die Arbeiterschaft vor 31 Jahren den Geistlichen unter Führung Khomeinis zur islamischen Revolution anschloss, war das Schicksal des Schahs besiegelt.

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