Streit um die Strategie des Generals McChrystal
Die Lage in Pakistan und Afghanistan verändert sich in kleinen Schritten – im Sinn einer negativen Entwicklung. Die Grundgegebenheiten sind und bleiben die gleichen: Für Afghanistan, dass ein militärischer Sieg gegen die Taleban ohne die tätige Mithilfe der afghanischen Bevölkerung nicht zustande kommen kann: dies räumen sogar die amerikanischen Militärkommandanten ein. Doch die Bevölkerung scheint sich mehr und mehr von den Besetzungssoldaten, Amerikanern und Nato Truppen, abzuwenden. Die Gründe sind vielfältiger Art: immer mehr zivile Tote, besonders durch Luftangriffe der fremden Militärs; keine glaubwürdige afghanische Regierung; korrupte Polizeitruppen; - doch auch ruchloser Druck der Taleban, gegen den die meisten Landeskinder nicht abgeschirmt werden können, sogar wenn alliierte Truppen tagsüber gelegentlich vorbei patrouillieren.
Natürlich gibt es auch optimistische Stimmen, die sagen, alles gehe langsam voran. Zwar langsamer als erwartet, aber immerhin vorwärts. Doch diese Darstellungen kommen fast nur von offiziellen Militärsprechern, die nichts anders sagen dürfen und können. Von ihnen ist immerwieder zu hören, man stehe an einem „Wendepunkt“; bald werde alles besser werden, oder es sei schon am Besserwerden. Diese Stimmen, sosehr sie als offizielle Propaganda erkenntlich sein mögen, verursachen doch eine gewisse Ungewissheit. – Offiziere, Minister, hochgestellte Besucher, afghanische Behörden sprechen, die eigentlich am besten wissen müssten, was wirklich vor sich geht. Könnten sie am Ende doch recht behalten? - Ausserdem geht die Verschlechterung der Lage in kleinen Schritten voran. Die Einzelheiten sind eintönig. Immerwieder gibt es auch „Erfolge“ – viele Taleban seien anscheinend getötet worden, wichtige Anführer sogar – werden die Amerikaner und ihre Verbündeten mit ihrer militärischen Übermacht und Technologie schlussendlich doch eine Umkehr erreichen?
Schlechte Vorzeichen in Pakistan
In bezug auf Pakistan scheinen die Dinge klarer hervorzutreten. Die pakistanischen Taleban machen deutliche Fortschritte. Neuerdings haben sie sich auch in Karachi, weit weg von den nördlichen Stammesgebieten, Basen geschaffen. Die Anschläge innerhalb Pakistans und in den Grenzregionen des Norden nehmen immer zu. Die pakistanische Armee erklärt, sie sei nicht in der Lage, die Aufständischen überall gleichzeitig zu bekämpfen, und sie hat ihre früheren Offensiven gegen sie, wie jene vom Vorjahr und von diesem Frühling nach Swat und Waziristan, nicht fortgesetzt.
Es gibt immerwieder Beobachter, die überhaupt in Frage stellen, ob die pakistanische Armee die Taleban wirklich bekämpfen will. Der Verdacht stirbt nicht aus, dass nach wie vor ein Willen bei den pakistanischen Strategen von ISI bestehen könnte, die Taleban, oder Teile von ihnen, eher zu Instrumenten ihrer Politik zu machen, als sie niederzukämpfen. Teuerung und Arbeitslosigkeit sorgen dafür, dass den islamistischen Rebellen weder die Rekruten noch die Kandidaten für Selbstmordanschläge ausgehen.
Die amerikanischen Militärs behaupten sie hätten grosse Teile der Taleban Führung in beiden Ländern durch ihre Drohnenschläge eliminiert. Doch die Taleban sind in der Lage, rasch neue Anführer zu ernennen, die an die Stelle der Gefallenen treten, und ausserdem ist ungewiss, ob die behaupteten Eliminierungen wirklich die Taleban Führer treffen, oder nur mehr oder weniger unschuldige Zivilisten, oft ganze Familien, in deren Häusern sich möglicherweise Taleban aufgehalten, hatten, bevor die Raketen einschlugen. Wobei auch ungewiss bleibt, ob dies unter Druck der Aufständischen geschehen war, oder mit ihrer Zustimmung. Gewiss ist nur, dass die Tötung von pakistanischen und der afghanischen Zivilisten durch die ferngesteuerten Flugzeuge böses Blut bei den Überlebenden schafft. Trotz alledem ist nicht zu erwarten, dass die pakistanischen Taleban schon bald oder auch nur auf mittlere Frist in die Lage gelangen werden, Pakistan zu übernehmen. Dafür ist das Land zu gross, die Armee zu mächtig, und die Bevölkerung vorläufig noch zu patriotisch und mindestens teilweise noch zu stark eingebundenen in den in Pakistan heimischen mystisch ausgerichteten Volksislam, der dem Fundamentalismus der Taleban entgegensteht. – In Afghanistan kämpfen fremde Armeen, die immer deutlicher als Fremde hervortreten. In Pakistan ist es die eigene.
Unterirdischer Streit zwischen Zivilen und Militärs
Angesichts der Unklarheiten, die über die wahre Lage und die wirklichen Aussichten der Amerikaner und ihrer Verbündeten in Afghanistan bestehen, ist der Skandal, der um General Stanley McChrystal, den amerikanischen Oberkommandierenden, in Washington ausbrach von Bedeutung. Der General erlaubte einem Reporter der Musik und Protest Zeitschrift „Rolling Stone“,ihn einen Monat lang zu begleiten. Daraus resultierte eine Schilderung des Generals und seiner Umgebung, die ihn in einem sympathischen Licht erscheinen lässt, aber auch widerspiegelt, wie er und seine Vertrauten über die Politiker und Spitzen der amerikanischen Verwaltung sprechen und denken. Bitterer Ärger über den Botschafter Obamas in Kabul, den früheren General Karl Eikenberry, und auch ziemliche Wut gegenüber dem Vizepräsidenten Joe Biden wird deutlich. Verachtung der Militärs sogar für Obama selbst macht sich Luft.
Rivalisierende Strategiekonzepte
Biden und Eikenberry waren beide Vertreter einer anderen Strategie als der von McChrystal vorgeschlagenen, als Anfang 2009 die Frage mit und vor Obama diskutiert wurde, wie in Afghanistan vorzugehen sei. Die beiden hatten für eine „leichte“ Strategie gesprochen, die sich in erster Linie gegen die relativ wenigen Qaida Leute in Afghanistan und den pakistanischen Grenzgebieten gerichtet hätte, und diese mit dem Einsatz von Sondertruppen und Geheimdienstaktionen zu bekämpfen versucht hätte – ohne die Niederhaltung der viel zahlreicheren und im Land über die Stammessolidaritäten der Pashtunen verankerten Taleban anzustreben. Doch Obama entschied sich damals für McChrystals Strategie der „Counter Insurgency“, das heisst der massiven Niederschlagung und Niederhaltung aller Aufständischen unter Besetzung des Landes bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine afghanische Regierung die Sicherheitsverantwortung übernehmen könne. Dies bedeute auch die Verstärkung der im Lande engagierten amerikanischen Truppen.
Nun werfen MyChrystal und seine Vertrauten dem Botschafter und dem Vizepräsidenten vor, sie übten systematisch Kritik an ihrem Vorgehen und äusserten die Befürchtung, dass sie nicht an ihr Ziel gelangen könnten, weil sie sich die Rolle dessen vorbehalten wollten, der am Ende doch recht hat, auch wenn der militärische Einsatz als ein Schlag ins Wasser verläuft. Man kann vermuten, dass sie sich nicht wirklich von den Politikern gedeckt fühlen. Was natürlich einen ersten Schritt zur Bildung einer Dolchstosslegende durch die Militärs – für den Fall eines militärischen Misserfolgs – bildet.
McChrystal wurde nach Washington beordert und musste sich öffentlich durch eine Erklärung sowie vor einer parlamentarischen Kommission und vor den verschiedenen genannten politischen Spitzen Amerikas persönlich entschuldigen. Er tat dies, ohne den Inhalt des Rolling Stones Artikels zu bestreiten. Er entliess jedoch seinen Berater für Öffentlichkeitsarbeit. Ob Obama ihn zu Rechenschaft ziehen wird, ist zur Zeit noch ungewiss. Stimmen werden laut, die an die Entlassung von General McArthur durch Truman erinnern.
Unklar verlaufene Bewährungsprobe
Jedenfalls aber wirft die Affäre ein Schlaglicht auf die ungewisse, wenn nicht gar kritische Lage in Afghanistan. Offensichtlich ist die Diskussion in den Kulissen über die Erfolge oder Misserfolge der Strategie Mc Chrystals und über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die vorgegebenen Ziele zu erreichen, so heftig geworden, dass der General sich veranlasst sah, ziemlich wild um sich zu schlagen, obwohl er eigentlich hätte wissen müssen, dass dies ihm und seiner Sache bloss Ungemach bringen kann. Seine oft und öffentlich beschriebenen Ziele wären: Ausbildung einer grossen afghanischen Armee und Wiederherstellung der Regierungsmacht über Afghanistan mit Hilfe einer Schwächung der Positionen der Taleban durch vermehrten Einsatz von amerikanischen und verbündeten Truppen in den Gebieten, die heute von den Taleban weitgehend kontrolliert werden oder teilweise unterwandert sind. Doch die erste Aktion, in der diese Strategie geprüft werden sollte; der Vorstoss von amerikanischen und britischen Truppen nach der Provinz Helmand und die dauerhafte Besetzung von Flecken wie Marja bis zu dem Zeitpunkt, in dem die afghanischen Regierungstruppen, Zivilgouverneure und Polizei die Verantwortung für die dortige Sicherheit übernehmen können, hat bis jetzt länger gedauert und ist weniger entscheidend verlaufen, als vorgesehen. Immer wieder kommen Aktionen der Taleban in den besetzten Regionen vor, und sie scheinen immernoch soweit unterirdisch präsent zu sein und genügend Angst zu verbreiten, um die lokale Bevölkerung zu zwingen, sich darauf einzustellen, dass sie des Tags von den Amerikanern und Engländern, des Nachts aber von den Taleban „besucht“ werden.
Die vorgesehene Ausdehnung der Befriedungsaktion auf die Provinz und Stadt Kandahar, ein sehr viel anspruchsvolleres Unternehmen als der Vorstoss nach Marjah es war, musste unter diesen Umständen aufgeschoben werden. Und in Marjah hat sich erwiesen, was von vorneherein als ein gewichtiger Schwachpunkt der Strategiepläne erkenntlich gewesen war: die Regierung Karzai war nicht in der Lage, eine brauchbare Polizei, verwendbare eigene Truppen oder den Herausforderungen der Lage gewachsene Zivilverwalter nach Helmand zu entsenden.
Protektionszahlungen der amerikanischen Armee
Fast gleichzeitig mit den Entschuldigungen des Oberkommandierenden wurde ein Bericht der amerikanischen Militärbehörden bekannt, eine parlamentarische Kommission sollte am 22. Juni über ihn offiziell informiert werden. Der Bericht beruht auf einer Untersuchung der zuständigen militärischen Kontrollbehörden, die sechs Monate lang gedauert hatte , und er ergab, dass die amerikanischen Truppen Millionen von Schutzgeldern an höchst verdächtige afghanische Sicherheitsagenturen bezahlten, um auf diesem Wege die Lastwagenkolonnen zu beschützen, die ihren Nachschub ins Land bringen. Anscheinend sehen sie sich gezwungen, dies zu tun, sonst würden ihre Lastwagen angegriffen. Die Frage ist dabei, wohin diese Schutzgelder wandern. Offenbar besteht der Verdacht, dass dies ganz einfach die Hände der Taleban oder deren Freunde und Mittelsleute sein könnten.
Eine näher rückende Zeitgrenze
Als Obama die vorgeschlagene Strategie McChrystals akzeptierte, setzte er gleichzeitig eine Zeitgrenze fest, innerhalb deren sie zu Erfolg führen müsse, indem er den August 2011 als den Zeitpunkt bestimmte, an dem ein Rückzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan zu beginnen habe. Diese Zeitgrenze war, begreiflicherweise, bei den Vertretern einer massiven Strategie der „Counter Insurgency“ unbeliebt. Sie hätten lieber gesehen, dass – wie einst in Vietnam mit dem bekannten Ende, und wie auch im Falle der Sowjetunion in Aghanistan – keine Grenze ihrer Aktionen vor dem erhofften Erfolg festgelegt werde. Sie erklärten denn auch sofort, nachdem der Beschluss einer Truppenverstärkung in Afghanistan und der Durchführung der Strategie McChrystals gefallen war, so genau werde man es mit der Zeitgrenze nicht nehmen können und auch nicht nehmen. Es handle sich nur um einen theoretischen Plan. Dem gegenüber haben Obama und seine Vertrauten, kürzlich noch der Stabschef des Weissen Hauses, Emanuel Rahm, immer sehr deutlich ausgesagt, die Zeitgrenze stehe fest, und die Frist werde nicht verlängert. Diese Frage der langsam immer näher rückenden Zeitgrenze erhöht natürlich die Spannungen zwischen McChrystal mit seinen Anhängern und den zivilen Skeptikern, die in den Aktionen der Militärs mehr Misserfolge denn Erfolge zu sehen glauben.
Mittwoch, 23. Juni 2010
AFGHANISTAN/PAKISTAN: AFPAK HEUTE
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