Mittwoch, 2. Juni 2010

IRAN: Wo sind all die „grünen“ Aktivisten?


De facto führerlos, wartet Irans schwer verwundete Freiheitsbewegung auf neue Chancen


von Birgit Cerha

So manche Kommentatoren hatten von einer „grünen“ Revolution gesprochen, als nach Schätzungen bis zu drei Millionen Menschen in allen Teilen des Irans nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 Neuwahlen forderten und sich auch durch massive Brutalitäten paramilitärischer Schlägertrupps, durch Folter und Morde nicht einschüchtern ließen. Mit phantasievollen Aktionen des gewaltlose Widerstandes hielten sie die Herrscher in Atem. Doch schon bald schien klar, dass ein Sturz der sich zu gnadenlosen Tyrannen wandelnden „Gottesmänner“ noch lange nicht bevorstehen würde. Die Menschenmassen, die spontan in den Straßen ihrem Unmut über die Missstände in der „Islamischen Republik“ Luft machten, hätten sich zu einer revolutionären Bewegung formieren lassen, hätte sich eine charismatische Führerpersönlichkeit gefunden, die sie hinter einer klar definierten Ideologie einen und sie mit Hilfe eines gut ausgeklügelten Aktionsplans hätte dirigieren können. So aber konnten weder Schlagstöcke, noch Pfefferspays der paramilitärischen Bassidsch, ja nicht einmal deren tödliche Schüsse auf friedlich Demonstrierende, auch nicht Folter, Vergewaltigung und Mord in den Gefängnissen den Zorn der Massen zu einer Revolution aufheizen.


Die drei Führer der „Grünen Bewegung“ – Mussawi, Karrubi und Khatami - waren fast zufällig und ungewollt in ihre Rolle geschlüpft, alle einst treue Diener Revolutionsführer Khomeinis und der „Islamischen Republik“ im Sinne ihres Gründers verpflichtet. Sie bekennen sich bis heute voll zum Islam im politischen Leben und zur Verfassung. Sie wollen keinen Sturz des Systems oder dessen Führer Khamenei, sondern nur Reformen – ein Faktum, das ihnen wohl bisher das physische Überleben sicherte. Manche unabhängige Beobachter aber meinen, es sei gerade diese Loyalität zu dem sich als brutale Despotie entpuppenden islamischen Syste, die die Führer der „Grünen Bewegung“ zu wachsender Ohnmacht verdammt.

Um die Gefahr zu bannen, die seiner Existenz durch eine sich stetig ausbreitende Massenbewegung droht, hat das Regime eine schlaue Strategie entwickelt. Es vermied, die Oppositionsführer zu Märtyrern zu machen, die sich politisch als höchst gefährlich erweisen würden. Sie wurden deshalb weder verhaftet, noch ermordet. Politischer Tod heißt das Ziel, das durch massiven und stetigen Psychoterror erreicht werden soll. Mussawi, Karrubi und Khatami sind heute fast vollends isoliert, können kaum noch telefonieren oder per E-Mails kommunizieren, müssen sich auf Botschaften in ihren Websites beschränken. Alle ihre engen Vertrauten und Mitarbeiter sitzen im Gefängnis, zuletzt wurde Ende Mai Mussawis jahrzehntelanger Leibwächter inhaftiert.

Und „wo sind all die ‚grünen’ Anhänger hin verschwunden“, fragt der Teheraner Politologe Sadegh Zibakalam. Man sieht sie nicht mehr in den Straßen und ob sie es wagen, zum Jahrestag der Wahl Ahmadinedschads wieder zu erscheinen, ist angesichts der massiven Einschüchterungen, der Inhaftierungen unzähliger Aktivisten und der offensichtlichen Gewalt-Entschlossenheit des Regimes, höchst fraglich. Das Regime versucht alles, um seine Gegner als gescheitert zu präsentieren.

Dennoch, das beweist auch die enorme Nervosität der Herrscher, die „Grüne Bewegung“ existiert. Auch wenn sie es heute durch Aktionen nicht zu zeigen wagen, „die Gedanken, die Ansichten der Menschen haben sich nicht verändert“, gibt sich Karrubi überzeugt. Die eskalierenden Brutalitäten des Regimes beweisen nach Überzeugung Karrubis, „dass das System seine Basis im Volk verloren hat“ und sich durch massiven Druck auf die Bevölkerung zu behaupten suche. „Das ist eine der außergewöhnlichsten Perioden in der Geschichte des Irans. Alle auch in der Verfassung der „Islamischen Republik“ anerkannten Grundrechte der Menschen werden entweder verletzt, ignoriert oder drastisch eingeschränkt.“ Ja, so Karrubi, „die Bewegung wächst qualitativ und breitet sich rasch in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft aus.“

„Die Grüne Bewegung“, erklärt Mussawi, „ist eine Strömung, die sich nicht durch Verhaftungen, Einschüchterungen oder Morde stoppen lässt. Sie ist nicht zeitlich begrenzt, nicht an einen bestimmten Führer gebunden, sondern wurde aus den Bedürfnissen der Menschen geboren und in Einklang mit dem hundert Jahre langen Kampf (der Iraner) um Freiheit und Gerechtigkeit.“ Und dafür zeigen sich Mussawi, Zahra Rahnavard (Mussawis politisch engagierte Frau) und Karrubi fest entschlossen, selbst ihr Leben zu opfern.

Das Regime steckt in einem Dilemma. Es kann die Gefahr, die ihm langfristig durch die Reform- und Freiheitswünsche droht, nicht bannen. Khatami nannte jüngst in einem Treffen mit iranischen Akademikern drei Schritte aus dieser schweren nationalen Krise: bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen; Schaffung eines gesicherten Umfelds für uneingeschränkte politische Aktivität und freie Presse; wahrhaft freie Wahlen.

Bedingungen freilich, die die Diktatoren die Macht kosten könnten.

Der Iran ist tief und dramatisch gespalten, doch nur die eine Seite besitzt Waffen und sie scheut deren vollen Einsatz nicht, gleichgültig wie hoch die Opfer, um die Macht nicht zu verlieren. Doch nichts kann die tiefe Sehnsucht von Millionen Iranern, vor allem der jungen Generation, nach Freiheit, einem würdevollen Leben, nach Modernität und Anschluss an die Welt abtöten. Die Herrschaft despotischer „Gottesmänner“ bleibt bis tief in die Grundfesten erschüttert.

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