Samstag, 3. April 2010

LIBYENS „Philosophen“-Prinz

Saif als Islam Gadafi ist die Hoffnung des Westens, doch der hochgebildete Reformer bleibt Gefangener des Systems

von Birgit Cerha

Er gibt sich gern leger, mit Markenjeans und offenem Hemdkragen. Die goldumrandete Brille verleiht ihm auch äußerlich das Flair des Intellektuellen, der kahlgeschorene Schädel seine eigene Note. Ein eleganter Unterhalter, strahlt er weltmännische Noblesse aus. Saif al Islam (übersetzt: Schwert des Islam), der zweite Sohn der zweiten Frau des libyschen Diktators, gilt im Westen als Hoffnungsträger, vielleicht auch in seiner Heimat, genau weiß das niemand, da jahrzehntelang Kritik am Herrscher und dessen extravagantem System eines „Staates ohne Staat“ mit Gefängnis bestraft wurde.

Seit der heute 37-Jährige in den 90er Jahren die politische Bühne betrat, rankt sich um ihn das Rätsel der Nachfolge des dienstältesten Herrschers im Orient. Hat Muammar Gadafi diesen Eloquentesten unter seinen sechs Sprösslingen tatsächlich zu seinem Kronprinzen erkoren? Wer vermag es zu sagen? Selbst Saif klagt offen über Intransparenz des politischen Systems, in dem sein Vater raffiniert die Fäden zieht. „Es ist wahr, dass Libyen ein Rätsel ist.“ Für einen Teil der Jugend mag Saif als Vorbild dienen. „Er ist unser künftiger Philosophen-König“ heißt es in manchen Kreisen.

Keiner konnte je wie Saif ungeschoren Kritik an dem von Oberst Gadafi vor vier Jahrzehnten erfundenen System der „Massenrepublik“ (Jamahiriya) üben, die zu den härtesten Diktaturen der arabischen Welt zählt. Immer wieder erregt der junge Despotensohn mit markigen Sprüchen Aufsehen. „Wir Araber wurden zum allgemeinen Objekt des Hohns mit den hier weit verbreiteten Foltermethoden und geheimen Kerkern“, das moderne Libyen solle nichts gemein haben mit den „Dschungel-Diktaturen“ des Nahen Ostens und Nord-Afrikas. So verleiht er seinem Wunsch nach Achtung von Menschenrechten und demokratischen Reformen Ausdruck. Jüngst bezeichnete er gar die libysche Elite als „Idioten“. Zum bizarren Konflikt zwischen seinem Vater und der Schweiz meint Saif: „In unserer Kooperation mit den USA und Europa sind wir nicht seriös genug, wir senden verwirrende Botschaften aus…. Ich glaube, wir sind nicht bereit mit der westlichen Welt in der korrekten Weise umzugehen.“

Saif wuchs im Schatten von Revolution und Macht auf. Er teilt viele Vorlieben und Eigenschaften seines Vaters, wie die Liebe zu Büchern, zur Stille und Weite der Wüste, die Faszination für die Politik, Ehrgeiz und verbales Geschick. Doch im Gegensatz zu Muammar, dem Beduinensohn, zieht er seine Villen in Tripolis und London dem Zelt vor.

Saif hat ein hohes Bildungsniveau und diplomatisches Geschick erreicht, das sich andere orientalische Herrscher von ihren Söhnen nur erträumen können. Nach dem Architekturstudium in Libyen, der Business School in Wien absolvierte er auch die prestigeträchtige London School of Economics. Diese Studien haben ihn geprägt. Er zeigt sich europäisch, bewahrt jedoch zugleich seine arabische Identität und weckt deshalb im Westen Hoffnung, er werde in diesem für die ölhungrige Welt so attraktiven Wüstenreich die Rolle eines Brückenbauers spielen.

Er tat es bereits mit beträchtlichem Erfolg. Seit den 90er Jahren entsandte ihn der Vater zu heiklen internationalen Missionen, Geiselbefreiungen in den Philippinen, Entschädigungszahlungen für die Opfer des Lockerbie-Terrorakts und vieles mehr. Es war auch Saif gewesen, der 2004 Gadafis Verzicht auf die Produktion von Massenvernichtungswaffen verkündete und damit offiziell den Ausbruch Libyens aus internationaler Isolation einleitete – all dies ohne offizielle Position, einzig als Chef der Gadafi-Wohlfahrtsstiftung. Mit seiner Offensive des Charmes wurde Saif im Westen zum akzeptablen Gesicht dieses Pariah-Staates.

Intern fordert er offen Reformen, ökonomisch und politisch mehr Freiheit, mehr Liberalismus, weder sein Vater, noch die Republik habe eine andere Wahl. Eine Verfassung, die der Revolutionsführer seinem Volk bisher verweigert, unabhängige Gerichte, Meinungsfreiheit und soziale Marktwirtschaft gehören zu seinen Zielen. Doch gleichzeitig zieht er eine „rote Linie“, die auf keinen Fall überschritten werden dürfe: Muammar Gadafi, der hinter den Kulissen die Reformpläne des liberalen Sohnes blockiert. Manche Beobachter glauben deshalb an einen Machtkampf zwischen beiden. Andere meinen der Sohn teste die Reformoptionen aus, der Vater bewache scharf die Grenzen des Wandels.

Doch im August 2008 dürfte Saif die Grenze überschritten haben, als er vor Tausenden Jugendlichen direkt die Elite des Landes attackierte, sie einer „Mafia“ gleichsetzte. Kurz darauf wurde Saifs eben gegründeter Satellitensender verstaatlicht und der Rebellensohn verkündete seinen Rückzug aus der Politik. Nicht für lange, glaubten Eingeweihte zurecht. Im Oktober 2009 beauftragte der Vater führende Beamte, für Saif eine offizielle Position im Staat „ohne Zeitlimit“ zu finden. Schon tags darauf wurde der Sohn zum Chef des Organisationskomitees der „Sozialen Führungskomitees des Volkes“ ernannt, des wohl mächtigsten Gremiums zur Erhaltung der Stabilität und Kontrolle über die Stämme und Institutionen. De facto würde Saif damit zum zweitmächtigsten Mann im Staate aufsteigen. Doch er hat die Ehre bis heute nicht akzeptiert, knüpft sie offenbar an die Verabschiedung eines auf seine Initiative erarbeiteten Verfassungsentwurfs. Demokratische Institutionen und transparente Wahlen sind zwei weitere Bedingungen. Dass er es mit Reformen ernst meint, bewies er zuletzt im Dezember 2009, als er Human Rights Watch einlud, erstmals in der Geschichte der Jamahiriya auf einer Pressekonferenz in Tripolis über Menschenrechtsverletzungen im Wüstenreich zu referieren.

Saif hat mächtige Feinde nicht nur unter der um ihre Privilegien zitternden alten Garde, sondern auch in der eigenen Familie. Als sein Hauptrivale gilt Bruder Muatassim (Quelle des Konflikts mit der Schweiz), ein in Libyen und Ägypten ausgebildeter Militär, der die für den Staat zentralen Öl- und Sicherheitssektoren leitet und all die liberalen Ansichten nicht teilt. Und der Vater spielt die Söhne gerne gegeneinander aus. So dürfte er auch jetzt versuchen, die konkurrierenden politischen Kräfte im Gleichgewicht zu halten, indem er Saif zurückholt. Ob er sich damit für den Reformer als Kronprinzen entschieden hat, steht freilich in den Sternen. Auch wenn er mit dem System dynastischer Nachfolge zu liebäugeln scheint, spricht alles dafür, dass sich der in seiner Macht sonnende Diktator mit seinen 67 Jahren noch als viel zu jung für einen Abtritt aus der Politik empfindet. Saif hält – verbal zumindest – ohnedies solche dynastische Nachfolge mit der von ihm erstrebten Demokratie unvereinbar. So wird der Revolutionsführer diese Frage weiterhin offen lassen und sich auf die Ausbalancierung konservativer und progressiver Elemente zur weiteren Absicherung seiner eigenen Macht konzentrieren.

Foto: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Saif_Wadda7.jpg

Erschienen in : "Neue Luzerner Zeitung" am 04.04.2010

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