Großrazzia gegen mutmaßliche Al-Kaida Zellen verstärken Zweifel am Erfolg eines hoch gepriesenen Rehabilitations-Systems
von Birgit Cerha
Im Königshaus Saudi-Arabiens, der Geburtsstätte Osama bin Ladens und seines Al-Kaida-Terrornetzwerkes, wächst wieder die Nervosität. Trotz massiver Sicherheitsaktionen und einem einzigartigen Rehabilitierungsprogramm für inhaftierte islamistische Terroristen ist es Riad nicht gelungen, die Terrorgefahr im Königreich zu bannen. Spektakuläre Razzien als Höhepunkt einer großangelegten monatelangen Sicherheitsoperation, bei der nach offiziellen Angaben 113 mit Al-Kaida verlinkte Extremisten verhaftet wurden, beweisen, wie groß Saudi-Arabiens Sicherheitsbehörden die Gefahr für die Stabilität der Monarchie immer noch einschätzen. Signifikant ist die Tatsache, dass unter den 66 festgenommenen Ausländern 51 Jemeniten sind. Und hier liegt eine der Wurzeln saudischer Ängste.
Seitdem der südliche Nachbarstaat aufgrund einer Serie interner Krisen immer mehr ins Chaos rutscht, sehen die saudischen Behörden die Terrorbedrohung wieder wachsen. Während massive Sicherheitsmaßnahmen der heimischen Al-Kaida beinahe das Genick gebrochen hatten, fanden saudische Extremisten zunehmend in dem durch eine Rebellion gegen die Zentralregierung in Sanaa unkontrollierbaren Nord-Jemen Zuflucht und verstärkte Schlagkraft, als sie sich im Vorjahr mit jemenitischen Islamisten zur „Al-Kaida in der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) zusammenschlossen. Als Ziel nennt ihr stellvertretender Führer Said al-Shihri „die Amerikaner und der Kreuzzügler“, die „überall ihre Interessen haben“, und erteilt seinen Anhängern den Auftrag: „Attackiert sie und eliminiert so viele Feinde wie möglich“.
So bekannte sich AKAH im Dezember auch zu dem fehlgeschlagenen Anschlag auf eine US-Passagiermaschine in Detroit. Was die Saudis besonders beunruhigt, ist die Tatsache, dass es Terroristen jüngst wiederholt gelang, vom Nord-Jemen aus in ihr Territorium einzudringen.
Fieberhaft versuchen die Sicherheitskräfte, die poröse und teils unzugängliche Grenze im abzuriegeln.
Der jüngste Schlag gegen Extremisten beweist nach Ansicht von Experten, dass sich AKAH intensiv bemühe, ein Netzwerk in Saudi-Arabien aufzubauen. Ihre Hauptziele sind laut Innenminister Mansour al Turki die saudischen Ölanlagen, sowie Polizei und Geheimdienst des Königreiches. Eine geplante Anschlagserie sei, so heißt es offiziell, verhindert worden. In ihren Publikationen rief AKAH den saudischen Staat immer wieder als Feind aus. Die Kritik am Königshaus konzentriert sich auf dessen enges Bündnis zu den USA und auf den Herrschaftsstil der Al-Sauds. Wiewohl Saudi-Arabien nach den Grundsätzen des islamischen Rechts regiert wird, ist dessen Durchsetzung nach Überzeugung dieser Fanatiker viel zu lax. Die Jihadisten erstreben deshalb den Sturz der Monarchie und die Errichtung eines „Islamischen Kaliphats“.
Seit 2003 ist es den Behörden durch massive Sicherheitsmaßnahmen gelungen, zahlreiche Anschläge und Komplotte zu vereiteln. Zugleich läuft seit einigen Jahren in den Gefängnissen ein international beachtetes Rehabilitierungsprogramm. Islamische Geistliche und Psychologen versuchen extremistischer Ideologie, die in der im Königreich verbreiteten Lehre der Wahabiten (der puritanisch-fundamentalistischen Staatsreligion) ihre Wurzeln findet, entgegen zu wirken, indem sie Toleranz predigen, das Verbot jeglicher Gewaltanwendung auch gegen Nicht-Muslime und die einsitzenden wegen Terror verurteilten Extremisten lediglich als „ideologisch Irregeleitete“ – und nicht als gefährliche Jihadis - charakterisieren. Die staatlichen Medien veröffentlichen regelmäßig Reuebekenntnisse ehemaliger Angehörigerer von Terrorzellen. In Sondergefängnissen wurden Beratungszentren für ehemalige Jihadis, aber auch deren Familien
eingerichtet. Seit Jahren laufen auch Programme zur Reintegration in die Gesellschaft, bei denen reumütige Gefangene Arbeitsplätze, Wohnungen und sogar Autos, sowie finanzielle Unterstützung erhalten . eine Großzügigkeit, die zunehmend als „Verwöhnen“ kritisiert wird. Insgesamt verschlingt das Rehabilitations-Programm gigantische Summen und verfehlt damit die Vorbildwirkung für andere Staaten, wie etwa Afghanistan.
Die saudischen Behörden sind aber vom Erfolg des Projektes überzeugt. Rund 700 von 2.000 verhafteten Militanten, darunter zahlreiche von den Amerikanern aus dem Gefangenenlager Guantanamo repatriierte Saudis, wurden inzwischen wieder freigelassen. Doch als der „rehabilitierte“ Said al-Shehri, Guantanamo-Gefangener Nr. 372, im Vorjahr auf einem Al-Kaida-Video zur Ermordung „jedes Christen, den wir in unseren Ländern finden, und zur Zerstörung westlicher Interessen“ aufrief, geriet diese „religiöse Re-Indoktrination“ ins internationale Schussfeld. Elf der 120 von Guantanamo entlassenen und vom Rehabilitationszentrum betreute Extremisten dürften sich unterdessen wieder dem Jihad angeschlossen haben. Die Umschulung versagt nach Angaben der Saudis insbesondere bei jenen Gefangenen, die schwere Folterqualen erlitten hatten. „Wir haben ein Problem der Rache im Nahen Osten“, bemerkt der zuständige saudische General Mansur al-Turki. Doch die Re-Indoktrination sei bei 80 Prozent der „Schüler“ erfolgreich und eine solche Rate übertreffe andere Rehabilitations-Programme.
Die Tatsache aber, dass Saudi-Arabien nun neue Gefahr aus dem Jemen droht und dass der weitaus höchste Prozentsatz ausländischer Jihadis, die etwa im Irak, aber auch in Afghanistan blutige Gewalt verbreiten, aus Saudi-Arabien stammt, beweist, dass auch Riad mit seinen Methoden die Ursachen der Gewalt noch längst nicht behoben hat.
Donnerstag, 25. März 2010
SAUDI-ARABIENS verzweifelter Kampf gegen den Terror
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