Während die Iraker tief beunruhigt auf die Ergebnisse der Parlamentswahlen warten, zeichnet sich eine klare Absage an religiös-fundamentalistische Gruppen ab
von Birgit Cerha
Am Tigris hat die Stunde der Astrologen geschlagen. Während die Iraker auch zehn Tage nach den Parlamentswahlen am 7. März immer noch über die Ergebnisse rätseln, kommt ihnen ein prominenter Fernseh-Astrologe zu Hilfe und weissagt nach intensivem Blick in die Gestirne, was die Wahlorganisatoren bisher nicht vermochten. Denn sie haben bisher kaum mehr als 60 Prozent der Stimmen ausgezählt. Unter der Bevölkerung wachsen angesichts dieses unverständlich langwierigen Zählprozesses der ersten allgemeinen Wahlen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein, in denen die Iraker die alleinige Verantwortung tragen, Unbehagen und Nervosität. Müssen sie deshalb so lange auf die Ergebnisse warten, weil sie massiv manipuliert würden, fragen sich immer mehr besorgte Bürger. Und tatsächlich mehren sich die Berichte, die befürchten lassen, dass die Wahlen nicht internationalen Standards entsprechen. So sollen nach einer Beschwerde mehrerer Nicht-Regierungs-Organisationen etwa irakische Sicherheitskräfte bei den Wahllokalen nicht nur für Ruhe gesorgt, sondern auf Wähler Druck ausgeübt haben, ihre Stimmen bestimmten Listen zu geben. Tausende Bürger, insbesondere auch in der zwischen Kurden, Arabern und Turkmenen umstrittenen Ölstadt Krikuk, fanden ihre Namen nicht auf den Wählerlisten. Und der gefährlichste Rivale Premierminister Malikis, Ex-Premier Iyad Allawi, beschwerte sich noch vor Beginn der Auszählung heftig über Manipulationen. So hätten auch bis zu 250.000 Soldaten aufgrund von Verfahrensfehlern nicht wählen können.
Internationale Beobachter halten die Anschuldigungen für übertrieben, sie bergen dennoch höchst gefährlichen Sprengstoff. Denn weit wichtiger als das Ergebnis ist die Glaubwürdigkeit dieser Wahlen. Wenn die unterlegenen Kandidaten die Resultate nicht akzeptieren, wird die neue Regierung nicht die Legitimität finden, die nötig ist, um den Irak zur Stabilität zu führen und damit einen reibungslosen Abzug der US-Truppen wie geplant zu ermöglichen.
Nach bisherigen Ergebnissen zeichnet sich ein klares Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Malikis „Rechtsstaat“-Koalition und der nationalen Liste „Irakiyya“ des säkularen Schiiten Allawi ab. Doch das Juwel in der Krone ist noch nicht erobert: Bagdad, wiewohl Maliki in der Hauptstadt einen Vorsprung ausbauen dürfte.
Dennoch lassen sich bereits einige klare Trends erkennen. Wie zu erwarten dürften die Iraker religös orientierte, fundamentalistischen Gruppen weitgehend eine Absage erteilt haben. Insbesondere die bisher größte im Parlament vertretene arabisch-sunnitische Allianz, die „Tawafuk“ verlor ihre Hochburgen in Salaheddin und Diyala wurde von den Wählern vermutlich zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Die die pro-iranische Schiitenliste „Irakische Nationale Allianz“ (INA), deren stärkste Partei, der „Höchste islamische Rat im Irak“ (SIIC), bei den Regionalwahlen im Januar 2009 im Süden des Landes schwere Niederlagen hinnehmen musste, hat diesmal aber wieder etwas besser abgeschnitten und ein anderer INA-Partner, der Rebellengeistliche Moqtada Sadr wird seine Position innerhalb der Allianz wesentlich stärken können.
Südlich des autonomen Kurdistan lassen sich drei Hauptgruppierungen erkennen: Malikis „Rechtsstaat“, „Irakiyya“ und INA. Während Maliki in Bagdad und in weiten Teilen des Süd-Irak gut abschneidet, dürfte er nördlich der Hauptstadt kaum Stimmen gewinnen, insbesondere in solch wichtigen sunnitischen Hochburgen wie Anbar und Mosul wird er kaum die Zwei-Prozent-Marke erreichen, was das tiefe Misstrauen erkennen lässt, dass ihm die arabischen Sunniten entgegenbringen. Demgegenüber kann Allawi mit einer breiter gestreuten Unterstützung rechnen. Während er mit seiner nationalen Allianz eine große Zahl von Sunniten anzieht, dürfte er sich selbst in seinen schwächsten Regionen auf zehn Prozent der Stimmen stützen können. Dies ist umso bemerkenswerter, als er – im Gegensatz zu Maliki – weder den Staatsapparat, noch eine Miliz zur Wahlwerbung einsetzen konnte.
Dennoch dürfte jetzt schon feststehen, dass der „Rechtsstaat“ nördlich von Bagdad und „Irakiyya“ südlich zu schwach sind, ein Faktum freilich, dass Maliki nicht anerkennt. Sein Anspruch auf das Amt des Premiers sei „nicht verhandelbar“, stellt ein Sprecher bereits klar, während sich sowohl INA, als auch Allawi als Hauptziel gesetzt hatten, eine zweite Amtsperiode des Premiers, der sich durch seinen autoritären und erratischen Regierungsstil in den vergangenen vier Jahren viele Feinde gemacht hat, zu verhindern. Dabei streben sowohl Maliki, als auch Allawi eine „Regierung der nationalen Partnerschaft“ an. Selbst wenn Maliki mit seiner Allianz als stimmenstärkste Gruppierung ins Parlament einzieht, ist es höchst fraglich, ob er Koalitionspartner finden wird, die ihn als Regierungschef akzeptieren. Eine Schlüsselrolle wird dabei wohl wieder den Kurden zukommen, die – ungeachtet ihrer beträchtlichen Konflikte, die sie mit dem Premier in der Vergangenheit ausgetragen hatten, Maliki dem nationalistischeren Allawi vorziehen, der vor allem auch in den zwischen Kurden und Arabern umstrittenen Gebieten des Nord-Iraks, insbesondere der Ölstadt Kirkuk, einen großen Teil der Sunniten hinter sich scharen konnte und damit seine Position gegenüber kurdischen Ansprüchen verhärten dürfte.
Die eigentliche politische Schlacht steht den Irakern nun erst bevor. Viele fürchten, sie könnte Monate währen und Al-Kaida könnte der Versuchung kaum widerstehen, ein langes Machtvakuum ohne Regierung zur blutigen Destabilisiserung des Landes zu missbrauchen.
Dienstag, 16. März 2010
IRAK: Iraks neue politische Landschaft
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