Die Iraker entschieden sich für den demokratischen Weg – Doch nun beginnt die eigentliche Kraftprobe
von Birgit Cerha
38 Tote während schicksalhafter Wahlen würde in jedem anderen Land der Welt als schwerer Schlag für die Demokratie gewertet. In dem durch sieben Jahre Krieg, blutiger Rebellion und Bürgerkrieg gequälten Irak gelten heute andere Maßstäbe. Ungeachtet der Trauer über die „Märtyrer“ der Demokratie überwiegen Gefühle des Triumphes über die bewundernswerte Widerstandskraft irakischer Bürger, die sich Sonntag bei den zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz der Diktatur Saddam Hussein 2003 nicht vom Weg zu den Wahlurnen abschrecken ließen. Tatsächlich ein „Triumph der Vernunft“, wie der UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Ad Melkert, meint.
Weit wichtiger als das Stimmenergebnis für die eine oder andere politische Allianz – das erst in einigen Tagen feststehen wird – ist die Wahlbeteiligung. Die Tatsache, dass sich nach ersten offiziellen Schätzungen etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gewagt hatten, lässt sich als Bekenntnis der irakischen Mehrheit zum demokratischen Weg nach jahrzehntelanger blutiger Diktatur werten, als eine Absage an Gewalt, die schließlich den blutigen Widerstand isolieren und völlig an den Rand des politischen Geschehens drängen könnte. Zugleich, das lassen erste Schätzungen erahnen, dürften die Iraker aber auch der Verwicklung von Religion in die Politik, die sich in den vergangenen Jahren als so fatal erwiesen hatte, eine klare Absage erteilen. Die Iraker zeigten Sonntag, dass sie, die seit Generationen als politisch unmündige Bürger missbraucht worden waren, eine Entwicklung zu politischer Reife begonnen haben. Ob sie auch ihre Entschlossenheit zu nationaler Versöhnung – eine weitere Säule für einen politisch stabilen Staat – bekundeten, müssen erst die Wahlergebnisse zeigen. Der Wahlkampf der vergangenen Wochen, in dem Premier Maliki die Ängste vor einer Wiederkehr der gestürzten Baath-Partei geschürt und radikale Säuberungen in staatlichen Institutionen geschworen hatte, könnte sich als böses Omen erweisen.
Vorerst lässt sich aber erkennen, dass sich die durch den Sturz Saddams von der Macht gestürzte und ihrer Privilegien beraubte arabisch-sunnitische Minderheit auch durch Malikis Ent-Baathifizierungs-Kampagne nicht – wie bei den ersten Wahlen 2005 – selbst aus dem politischen Prozess ausschloss, sondern vielmehr die Zukunft des Landes mitgestalten will. Damit wächst die Hoffnung, dass ein repräsentatives Parlament in Bagdad nun auch eine Regierung bilden kann, in der alle Bevölkerungsgruppen angemessen vertreten sind und so der Gewalt der Boden entzogen werden kann.
Maliki soll nach Angaben aus Regierungskreisen vor allem im überwiegend schiitischen Süd-Irak große Stimmengewinne erzielt haben. Sein stärkster Rivale, Ex-Präsident Allawi, ein säkularer Schiit, dürfte mit seiner Allianz „Irakiya“, der auch die größte Sunniten-Partei – die „Irakische Front des nationalen Dialogs“ - angehört, vor allem in sunnitischen Gebieten starken Rückhalt finden. Doch keine der Wahlallianzen wird wohl die nötige Mehrheit auf sich vereinen, um eine Regierung zu bilden. Auch wenn Maliki als stärkster Führer aus den Wahlen hervorgeht, ist seine zweite Amtszeit als Premier keineswegs gewiss. Denn er hat sich durch autoritäres Verhalten, durch den großzügigen und skrupellosen Einsatz von Staatsapparat und Staatsgeldern für seine Interessen in politischen Kreisen viele Feinde gemacht. Eine vorerst noch offene Frage ist auch, ob sich die Kurden, die seit 2003 eine Schlüsselrolle in Bagdad spielten, durch interne Rivalitäten selbst der Rolle als Königmacher beraubten. Die vor etwa eineinhalb Jahren als Opposition zu den beiden alten, als Allianz in der autonomen Kurdenregion dominierenden Parteien – „Demokratische Partei Kurdistans“ (KDP) und „Patriotische Union Kurdistans“ (PUK) – gegründete kurdische „Goran“-Partei, trat mit eigener Liste an und könnte damit die KDP-PUK-Allianz in Bagdad entscheidend geschwächt haben.
Vorerst herrscht im Irak Ruhe vor dem Sturm. Ein Orkan könnte sich rasch zusammenbrauen, wenn sich der stets latente Verdacht von Wahlmanipulation und –betrug erhärtet, wenn die Unterlegenen Ergebnisse nicht anerkennen. Das politische Klima in Bagdad ist schlecht und zutiefst beunruhigend, meint etwa auch Allawi in böser Vorahnung und der sunnitische Vizepräsident Hashemi befürchtet gar, Maliki werde im Fall einer Wahlniederlage seine Macht durch einen Militärputsch zu sichern suchen. „Doch das Volk wird schließlich siegen“, bemerkt Allawi vielsagend.
Das nun bevorstehende Gefeilsche zwischen den politischen Allianzen könnte sich Monate hinziehen. Ob die Gewalt den Irak in dieser Zeit, in der auch die Amerikaner ihre Truppen auf 50.000 Mann halbieren werden, wieder in seinen Strudel reißt, wird sich als schicksalhafter Test für die Zukunft erweisen.
Montag, 8. März 2010
IRAK: Der Triumph der Vernunft
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