Sonntag, 7. März 2010

IRAK: Iraker trotzen der Gewalt und wählen

Extremisten konnten bei den Parlamentswahlen die Hoffnung auf demokratische Veränderung nicht zerstören

von Birgit Cerha

Als Sonntag Abend im Irak die Wahllokale schlossen, stand rasch eine bemerkenswerte Entwicklung fest: Nach drei Jahrzehnten brutalster Diktatur und darauf folgender fast siebenjähriger Gewalt zeigt sich ein großer Teil der irakischen Bevölkerung entschlossen, Terror und Extremismus zu trotzen und das gequälte Land fest auf den Weg der Demokratie zu lenken.

Noch vor Öffnung der Wahllokale für die zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein hatte eine Serie von Granat- und Sprengstoffattacken insbesondere in arabisch-sunnitischen Regionen begonnen. Insbesondere in Bagdad kamen in den ersten Morgenstunden mindestens 38 Menschen durch Terror ums Leben, durch den Extremisten das demokratische Experiment vollends zu vereiteln suchten. Mindestens 110 Personen wurden verletzt. Während viele Bürger zunächst ihre Häuser nicht zu verlassen wagten. Folgten sie ab Mittag in beträchtlichen Zahlen den erneuten Aufrufen politischer und religiöser Führer, ihre Stimme abzugeben. Die Erklärungen einer alten, in ihre schwarze Abaya verhüllten Frau, die über die arabische Fernsehstation Al-Jezira verbreitet wurde, sie lasse sich nicht einschüchtern, sie werde unter allen Umständen ihre Stimme abgeben, erscheint symptomatisch für die weitverbreitete Stimmung.

Ungeachtet der Gewalt und eines riesigen Sicherheitsaufgebots, beschrieben unabhängige Beobachter aus mehreren Landesteilen eine beinahe feierlich-fröhliche Atmosphäre, die ein älterer Mann in Bagdad mit dem Gefühl erklärte: „Wir haben die Tage der Repression hinter uns gelassen und uns voll für den demokratischen Weg entschieden. Wir können reden und unsere Meinung frei äußern.“

Erste Berichte von unabhängigen irakischen und westlichen Wahlbeobachtern aus verschiedenen Landesteilen lassen einen möglicherweise signifikanten Trend erkennen An den Orten, wo Terroristen die Bevölkerung gewaltsam einzuschüchtern versucht hatten, wie vor allem in Bagdad, warteten viele Bürger zunächst ab und drängten sich schließlich in den Nachmittagsstunden zu den Wahlurnen. Westliche Beobachter gewannen den Eindruck, dass der Terror sogar nach einigem Zögern die Menschen anspornte, ihre Stimmen abzugeben. Hauptmotivation schien für die meisten die Hoffnung auf „Veränderung“ zu sein, wiewohl dieser Begriff für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Bedeutung haben mag.

Aus arabisch-sunnitischen Regionen berichteten Beobachter ebenfalls eine rege Wahlteilnahme, die von entscheidender Bedeutung für die Repräsentativität des nächsten Parlaments und der aus ihm hervorgehenden Regierung ist und damit auch für die Chance auf Stabilität. Die Zersplitterung der schiitischen Parteien dürfte insbesondere im überwiegend schiitischen Süd-Irak ebenfalls viele Wähler angespornt haben, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen. Insgesamt dürfte die Wahlbeteiligung, so schätzen Beobachter, nicht unter den Erwartungen von 40 bis 60 Prozent liegen. Mit ersten vorläufigen Ergebnissen ist Dienstag zu rechnen.

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