Warum die Nachbarn die Parlamentswahlen mit Hochspannung verfolgen: Werden pro-westliche oder anti-amerikanische Kräfte dominieren?
von Birgit Cerha
Für UNO-Vertreter in Bagdad besteht kein Zweifel: „Es sind die wichtigsten Wahlen in der Geschichte des Iraks. Wenn die Iraker kommenden Sonntag bei den zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 ihre Stimmen abgeben, dann entscheiden sie über weit mehr als die Zusammensetzung ihres Parlaments und ihrer politischen Führung für die kommenden vier Jahre. Ihre Stimmen werden eine wichtige Rolle in dem bitteren Kampf um regionale Vorherrschaft zwischen den USA und der Islamischen Republik Iran spielen. Die stetig eskalierende Machtprobe zwischen Teheran und Washington über Irans Atomprogramm könnte zunehmend auf irakischem Boden ausgetragen werden. Wer dabei in Bagdad den Ton angibt, kann dieses Kräftespiel entscheidend mit beeinflussen.
So verwundert es nicht, dass Iraks Nachbarn diese Wahlen mit weit größerem Interesse verfolgen als die durch Terror, Korruption ihrer Führer, durch Armut und immer noch äußerst mangelhafte Infrastruktur zermürbten und politikmüden Iraker selbst. Und der direkte wie indirekte Einfluss von außen lässt sich nicht übersehen. Für die Amerikaner besitzen die Wahlen entscheidende Bedeutung, um unter Wahrung ihres Gesichts als verantwortungsbewusste Supermacht wie geplant alle Truppen bis Ende 2011 abzuziehen und ein Land zu hinterlassen, das nicht nur den Weg von einer der brutalsten Diktaturen des vorigen Jahrhunderts zu demokratischer Stabilität gefunden hat, sondern sich auch in Zukunft als verlässlicher strategischer Partner zur Stärkung in der gesamten Region erweisen wird.
Konkret bedeutet dies nun für Washington, dass die Wahlen ein die gesamte Bevölkerung des Iraks repräsentierendes, von säkularen Kräften dominiertes Parlament hervorbringen, in dem insbesondere auch die von der Macht gestürzten arabischen Sunniten vertreten sind, ja vielleicht sogar ehemals führende Mitglieder der Baath-Partei Saddam Husseins, deren radikale Anhänger bis heute blutigen Widerstand schüren. Teheran verfolgt genau das gegenteilige Ziel und beide Staaten beschuldigen einander – zurecht – der aktiven Einmischung in irakische Politik.
Während US-Vertreter – vergeblich – versuchten, den von einer Bagdader Kommission verfügten Ausschluss von fast 500 Kandidaten wegen angeblicher Verbindung zur Baath rückgängig zu machen, wirft Teheran offen den USA vor, sie wollten „ihren alten irakischen Verbündeten aus der Saddam-Ära“, die Baath, wieder an die Macht hieven. Um dies zu verhindern, half Tehern einem neuen Bündnis religiös orientierter schiitischer Gruppierungen, der „Irakischen nationalen Allianz“ auf die Beine. Zugleich halten sich Gerüchte über geheime iranische Aktivitäten, von Geldspenden, über Stimmenkäufe bis Infiltration iranischer Bürger mit gefälschten irakischen Dokumenten, die am Wahltag ihre Stimme in Teherans Interesse abgeben sollen. Denn der Iran hat insbesondere im irakischen Süden durch massive Manipulationen starke Animositäten geweckt, die seinen irakischen Verbündeten beträchtlichen Schaden zugefügt haben.
Während Teheran naturgemäß großes Interesse an der Bildung einer mit ihm verbündeten religiös orientierten, von Schiiten dominierten Regierung in Bagdad hegt, besitzt jedoch die anti-amerikanische Orientierung der künftigen Führer des Nachbarstaates für die Iraner noch weit größere Priorität. Einen Siegeszug des pro-westlichen säkularen schiitischen Ex-Premiers Iyad Allawi zu verhindern, ist deshalb für die Iraner von größter Bedeutung.
Auch die arabischen Nachbarn blicken besorgt auf den Irak in der festen Überzeugung, dass sich – so die angesehene „Asharq al-Awsat“„der regionalpolitische Konflikt künftig im und um den Irak ausweiten wird“. Zudem irritiert die arabischen Autokraten der Region die Aussicht auf einen möglichen nachhaltigen Erfolg des demokratischen Experiments im Zweistromland, der einen auch sie gefährdenden Bazillus stärken würde. Die von arabischen Sunniten regierten Nachbarn, allen voran Saudi-Arabien, dürften sich unterdessen allerdings mit der unvermeidlichen Tatsache abgefunden haben, dass eine irakische Regierung auch in Zukunft von Schiiten beherrscht wird. Es geht ihnen nun primär darum, das pro-iranische Kräfte nicht die Oberhand behalten. Deshalb empfing auch Saudi-Arabiens König Abdullah jüngst Allawi, eine Begegnung die weites Echo in der gesamten arabischen Welt fand.
Auch Irans Verbündeter Syrien, vor allem aber die Türkei versuchen ebenfalls eifrig – auf indirektem Wege – ihre Interessen zu steuern. „Wie kann irgendjemand vor diesem Hintergrund von unparteiischen und fairen Wahlen sprechen“, bemerkt der unabhängige politische Analyst Abdul Jalil al Jaba in Bagdad. Und Khalefa Mohammed al Shammary, einflussreicher sunnitischer Scheich, beklagt sich bitter, dass seine Heimat zum Schlachtfeld amerikanisch-iranischer Rivalitäten geworden sei. „Wir suchen nun Führer, die uns aus diesem düsteren Schatten ziehen. Der Irak muß voll in irakischen Händen sein. Gelingt dies nicht, steht uns eine finstere Zukunft bevor.“
Freitag, 5. März 2010
IRAK: Im Irak steht die regionale Vorherrschaft auf dem Spiel
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