Mittwoch, 3. März 2010

IRAK: Im Irak dominiert die Politik der Angst

Eskalierende Gewalt vor schicksalhaften Wahlen, deren Kampagne die Kluft zwischen den Bevölekrungsgruppen wieder bedrohlich vergrößert

von Birgit Cerha

Während sich 78.000 irakische und internationale Beobachter von 30 internationalen Organisationen und mehr als 300 irakischen Gruppen aufmachen, um die Parlamentswahlen am kommenden Sonntag bei unzähligen Wahllokalen im ganzen Land zu verfolgen, eskalieren die Feinde dieses demokratischen Prozesses ihren blutigen Widerstand. Drei Selbstmordattentate in Baquba, der Hauptstadt der Provinz Diyala, östliche von Bagdad, rissen vor dem Hauptgebäude der Provinzregierung, einer Polizeistation und einem Spital mehr als 30 Menschen in den Tod. Militante arabische Sunniten, die kurz vor den Wahlen eine Atmosphäre der Angst verbreiten wollen, gelten als Hauptverdächtige. In Diyala dominierte von 2003 an fünf Jahre lang die schiitische Minderheit, vermutlich mit iranischer Hilfe, über eine knappe Mehrheit arabischer Sunniten die Lokalpolitik. Die Sunniten machten durch blutigen Widerstand die Provinz jahrelang zu einer der gefährlichsten des Iraks. Die Situation änderte sich radikal nach den Provinzwahlen im Januar 2009, als Sunniten die im Provinzrat an die Macht gekommen waren, doch die Spannungen stiegen erneut, nachdem die von Schiiten dominierte Regierung in Bagdad Haftbefehle gegen einige Mitglieder der Lokalregierung wegen angeblicher Verbindungen zum gewalttätigen Widerstand erlassen hatten. Polizei und Militär in Baquba werden weiterhin von Schiiten dominiert.

Die Bluttaten steigern wieder aufkeimende Ängste, der Irak könnte nach einer Periode relativer Ruhe wieder in eine Phase brutaler Gewalt insbesondere zwischen Sunniten und Schiiten abrutschen. Ein heftiger Wahlkampf, in dem das politische Überleben Premier Malikis auf dem Spiel steht, reißt alte Wunden immer weiter auf.

Dabei hatte es noch vor wenigen Wochen den Anschein gehabt, der schiitische Islamist Maliki wachse in die Rolle eines Staatsmanns hinein, für den nationale Anliegen allerhöchste Priorität besitzen. Seine Bestätigung für eine zweite Amtszeit schien fast gewiss, nachdem seine politische Allianz „Rechtsstaat“ bei den Provinzwahlen aufkosten der bis dahin stärksten islamistischen, auch in der Regierung vertretenen Partei, des „Höchsten Rates für eine islamischen Irak“ (SIIC) große Stimmengewinne erzielt hatte. Maliki nahm für sich einen starken Rückgang der Gewalt im Lande in Anspruch. Doch er erlitt unterdessen durch mehrere massive Bombenattentate schwere Rückschläge in seinem Image als Garant von Sicherheit und Stabilität. Zunehmend machen Schiiten auch ihn für die immer noch nicht funktionierende öffentliche Versorgung mit sauberem Wasser und Strom und die katastrophale Infrastruktur verantwortlich.

Auch Malikis Versuch, sich über die zerstrittenen Fraktionen zu stellen scheiterte weitgehend, weil es ihm nicht gelang, die wichtigsten sunnitischen Bewegungen in seine Allianz zu integrieren. Demgegenüber droht ihm zunehmende Gefahr von Ex-Präsident Allawi, einem laizistischen Schiiten, der vor allem die stärkste sunnitische Partei Saleh al Mutlaqs für seine Allianz „Iraqiyya“ gewinnen und sich damit große Siegeschancen für kommenden Sonntag sichern konnte.

Derart in die Enge getrieben verlor Maliki nach Ansicht unabhängiger Beobachter in Bagdad offensichtlich die Nerven und kehrte Nationalismus und staatsmännischem Gehabe den Rücken. Ganz bewusst schürt er nun uralte Ängste, insbesondere unter Ex-Diktator Saddam Hussein so gequälten Schiiten, vor einer Rückkehr der gestürzten Baath-Partei. Ein Ausschluß von fast 500 Kandidaten zielte vor allem auf prominente Sunniten, allen voran Mutlaq, dem nun auch noch wegen angeblicher Verbindungen zu sunnitischen Rebellen ein Prozeß droht. Zugleich versucht Maliki einen anderen gefährlichen Rivalen, den unter den armen schiitischen Massen insbesondere Bagdads hochpopulären Geistlichen Moqtada el Sadr, mit Hilfe des Staatsapparates auszuschalten. Sadr hatte für Freitag seine Rückkehr nach jahrelangem Exil angekündigt, um in der Mosche von Kufa zu der großen Schar seiner Anhänger zu sprechen. Nun muß er Verhaftung fürchten, denn Maliki erneuerte einen 2004 vom US-Administrator verhängten Haftbefehl wegen des Mordes an dem Schiitengeistlichen Majid al-Khoei 2003. Zwar leugnen Regierungskreise unterdessen eine solche Maßnahme, doch die Unsicherheit bleibt. Mit dem Rückzug seiner Milizionäre aus dem gewalttätigen Widerstand hatte Sadr entscheidenden Anteil an der Abnahme der Gewalt in den vergangenen Jahren.

Während zwar der nun von den Wahlen ausgeschlossene Mutlaq eine Boykottdrohung für seine Partei zurückgenommen hatte, erscheinen Allawis Siegeschancen unterdessen wesentlich geschmälert, da möglicherweise viele Sunniten aufgrund der sie empörenden Manipulationen Malikis den Wahlen fernbleiben könnten. Nur eine starke Beteiligung dieser durch den Sturz Saddams von der Macht gedrängten Minderheit, die die ersten Wahlen 2005 boykottiert hatte, könnte aber ein Parlament hervorbringen, in dem keine Bevölkerungsgruppe mehr ausgeschlossen ist und der Irak sein demokratisches Experiment so erfolgreich weiterführen würde, dass die USA wie geplant bis zum August ihre Truppen auf 50.000 Mann halbieren und eineinhalb Jahre später vollends abziehen könnten.

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