Nach den Parlamentswahlen steht dem Land sein eigentlicher politischer Test erst bevor
Analyse von Birgit Cerha
Drei spannende Wochen lang haben die Iraker Stimmen ausgezählt. Das Ergebnis dieser zweiten Parlamentswahlen seit dem Sturz der Baath-Diktatur läßt vieles noch offen. Der Wettlauf der beiden stärksten Gruppierungen, der „Rechtsstaat“-Allianz Premier Malikis und der „Irakiya“ Ex-Premier Allawis, endete überraschend mit einem Sieg Allawis. Doch der Vorsprung ist so knapp, dass sich Maliki in seinen seit Tagen erhobenen Manipulationsvorwürfen bestärkt fühlt. Das Ergebnis zeigt auch eine unbehagliche Wahrheit: Der neue Irak ist tief gespalten, die Folge eines versäumten nationalen Versöhnungsprozesses. Ideologie, die Last einer grausigen Vergangenheit, persönliche Machtgier und Manipulationen durch äußere Mächte nähren stetig das Misstrauen der Bevölkerungsgruppen und ihrer politischen Vertreter gegeneinander. Die Toleranz demokratischer Gesinnung hat im Zweistromland noch nicht Fuß gefasst. Dass es bei der Auszählung zu systematischen Fälschungen gekommen sei, schließen unabhängige Wahlbeoachter aus. Doch werden die Unterlegenen ihre Niederlage in demokratischer Gesinnung akzeptieren? Dies ist der erste entscheidende Test der Nachwahl-Periode. Die Drohung Malikis vor erneuter Gewalt gibt Anlass zu beängstigenden Zweifel.
Der fast kometenhafte Aufstieg Allawis, des unter vielen Irakern als autoritäre Marionette der Amerikaner verhassten Ex-Premiers, ist die größte Überraschung dieser Wahl. Der langjährige Vertraute des US-Geheimdienstes CIA, Schiit und ehemaliger Baathist, verstand es mit einer nationalistischen, säkularen Plattform die überwältigende Mehrheit der durch den Sturz Saddam Husseins um Macht und Privilegien beraubten arabisch-sunnitischen Minderheit hinter sich zu scharen. Auch viele Schiiten, erboßt über die katastrophale Politik religiös orientierter Parteien und Malikis autoritäres Gehabe, vertrauen Allawi. Malikis verstärkte Anti-Baath-Kampagne erwies sich als Bumerang. Allawi profitierte davon und hat heute in den überwiegend sunnitischen Regionen nördlich von Bagdad den Großteil der Bevölkerung auf seiner Seite. Während Maliki viele Stimmen im überwiegend schiitischen Süd-Irak gewann. Doch auch Allawi konnte – keineswegs erstaunlich – unter den Schiiten im Süden des Landes Stimmen auf sich vereinen. Er kann sich damit glaubhafter als Maliki als ein nationaler irakischer Führer präsentieren.
Doch er besitzt nicht genug Mandate, um eine Regierung zu bilden. Der Kuhhandel um Koalitionspartner hat längst begonnen. Am meisten drängt sich eine Allianz zwischen den beiden stärksten Gruppierungen auf, die einander auch ideologisch so nahe stehen, dass sie die seit Jahren offenen konstitutionellen Fragen – wie etwa die Aufteilung des Ölreichtums oder die förderale Struktur des Landes – gemeinsam klären könnten – ein entscheidender Faktor, damit das Land aus seinem politischen Patt und somit schließlich zur Stabilität findet. Doch Allawi und Maliki entzweien tiefe persönliche Animositäten. Der Ex-Premier warf seinem Nachfolger wiederholt nicht nur Korruption, sondern auch autoritäres Verhalten vor. Auch bei den Kurden findet der ehemalige Baathist, der viele Anhänger unter den Kurden wenig freundlich gesinnten irakischen Nationalisten gewann, wenig Gegenliebe.
Maliki, Allawi doch nur knapp unterlegen, könnte doch noch eine Chance zur erneuten Machtübernahme wittern, wenn er eine Neuauflage des Bundes mit seinen religiös orientierten schiitischen Brüdern, die sich auf Initiative des Irans zur „Irakischen Nationalen Allianz“ (INA) erstrebt – eine Variante ganz im Sinne Teherans. Doch auch hier stehen tiefe Animositäten einem solchen Koalitonspakt im Wege. Innerhalb der INA hat die Partei des anti-amerikanischen Moktada Sadr derart an Macht gewonnen, dass sie gar in die Rolle eines Königsmacher schlüpfen kann. Viele Sadristen aber hassen Maliki, weil er ihre Milizen 2008 in Basra und Bagdad blutig niedergeschlagen hatte. Auch mit den Kurden hat es sich Maliki verscherzt. Schon gibt es Anzeichen, dass führende Mitglieder der „Rechtsstaat“-Allianz ihren Chef fallen lassen könnten, um selbst eine Regierung zu bilden.
Fest steht allerdings, dass nur eine Regierung, die Allawis arabisch-sunnitische Wähler, aber auch die Kurden integriert den Irak zur Stabilität führen kann. Dafür aber müssen die Politiker die demokratische Reife finden und ihre persönliche Animositäten und Machtgelüste zum Wohl des Landes überwinden.
Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 27.03.2010
Freitag, 26. März 2010
IRAK: Ein tief gespaltener Irak
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