Montag, 11. Januar 2010

JEMEN: Ali Abdullah Saleh: der „Schlangenbeschwörer“

Die Person und die Herrschaftsmethoden des yemenitischen Präsidenten stellen den Westen vor ein großes Dilemma

von Birgit Cerha

Einst nannten sie ihn den „kleinen Saddam“. Wohl bis zu dessen Tod durch den Strang 2003 verehrte Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh seinen blutrünstigen Amtskollegen im Irak als einen großen Helden. Und obwohl ihn der Westen durch Streichung der lebensnotwendigen Entwicklungshilfe für sein Veto im Weltsicherheitsrat gegen eine gewaltsame Befreiung Kuwaits aus den Fängen der irakischen Invasionsarmee 1990 bestraft hatte, machte Saleh kein Hehl aus seiner Empörung gegen den von den USA geleiteten Feldzug zum Sturz Saddam Husseins 2003.

Dennoch zählte Saleh seit dem 11. September 2001 zu den wichtigsten Mitstreitern im Antiterror-Krieg der USA. Doch der nur knapp verhinderte Terroranschlag eines im Jemen ausgebildeten Jihadisten in den USA entlarvt ein gefährliches Doppelspiel des Präsidenten, der gewalttätigen Islamisten, insbesondere jenen mit engen Verbindungen zur Al-Kaida, Zuflucht und einen beträchtlichen Freiraum gestattete. Wenn Saleh heute auf US-Druck jenen islamistischen Terroristen den Krieg erklärt, bleiben Zweifel an seinen wahren Absichten.

Um diesen 67-jährigen, nach dem Libyer Gadafi dienstältesten Herrscher in der arabischen Welt zu verstehen, muss man zurückblicken in seine Vergangenheit. Schon im Alter von 16 trat der Sohn einer Bauernfamilie in die Armee ein, wo er rasch Karriere machte, sich am Aufstand gegen den nordjemenitischen König 1962 beteiligte und 1978 die Präsidentschaft der durch zwei Jahrzehnte des Bürgerkrieges tief erschütterten Republik Nord-Jemen antrat. Entgegen allen Erwartungen bewies sich Saleh in diesem zerrissenen, unkontrollierbaren und bitterarmen Land als politischer Überlebenskünstler höchsten Ranges. Er beschreibt sein konstantes Manövrieren und Taktieren mit den mächtigen Stämmen, Religionsgruppen und Oppositionsparteien als „einen Tanz in einem Kreis von Schlangen“.

Mit Rafinesse verstand er es, durch Nepotismus, Bestechung und Brutalität ein politisches Gleichgewicht zu schaffen, das ihm drei Jahrzehnte lang die Macht sicherte. Internationale Entwicklungshilfe sickerte in die Kanäle der Macht. So lautet ein Hauptvorwurf der heimischen Opposition gegen den unterdessen weithin verhassten Diktator, er habe die staatlichen Ressourcen vorwiegend dazu benutzt, um den Kreis seiner Unterstützer zu stärken, während der Rest des Landes in Armut und Unterentwicklung versinkt.

Als die internationalen Hilfsgelder immer spärlicher flossen und die versickernden Ölressourcen die Staatskassen kaum noch füllen, schrumpfte auch Salehs Spielraum, Gegner, Rebellen und Stämme zu kaufen. Heute kontrolliert der Präsident höchstens noch ein Drittel des Landes, während er vergeblich versucht, zwei Rebellionen unter Kontrolle zu bringen: die zunehmend erneute Sezession erstrebenden Süd-Jemeniten, die Saleh 1990 mit dem Norden vereint hatte, und die sich gegen gravierende Vernachlässigung wehrenden (schiitischen) Huthis. Wie 1994 im kurzen Bürgerkrieg gegen Südjemen setzt er gegen die Huthis in Afghanistan kriegserprobte Jihadisten ein.

So vermied der Präsident, während er sich dem Anti-Terror-Krieg anschloss, intern sorgfältig den Bruch mit der Al-Kaida, die ihm wohl als weit ungefährlicher erscheinen mag, als die anderen Kirsen. Zudem genießt die Ideologie der Jihadisten unter der sunnitischen Bevölkerung Sympathie. Zentraler Faktor in Salehs politischer Jongleurkunst ist auch die sorgfältige Rücksichtnahme auf die im Jemen hoch wallenden anti-amerikanischen Gefühle. Ein direkter militärischer Einsatz der USA gegen Al-Kaida im Jemen würde den Jihadisten enormen Zulauf verschaffen. Saleh erwies sich als Überlebenskünstler eines Landes, das er in den Untergang treibt.


Erschienen am 12.01.2001 in der "Frankfurter Rundschau"

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