Mittwoch, 6. Januar 2010

IRAN: Die „langsame Revolution“ gegen den „Gottesstaat“

Die „Grüne Bewegung“ ist aus der Larve geschlüpft und lässt mehr und mehr das Gesicht eines neuen Iran erkennen

von Birgit Cerha

Sie sind überall. Gleich einem Schreckgespenst tauchen sie auf, verschwinden wieder, nur um erneut in Erscheinung zu treten. Selbst wenn sie nicht in Massen demonstrieren, sind sie allgegenwärtig als oft stille Bedrohung eines zunehmend in die Enge getriebenen Regimes, das in wilder Brutalität um sich schlägt. Irans „Grüne Bewegung“ für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie filtert immer tiefer in die Kanäle der Gesellschaft des „Gottesstaates“. Fromme Frauen in schwarzen Schadors schlossen sich ihr ebenso an, wie Männer, die sich mit ihren Bärten zu den Grundsätzen der khomein’schen Revolution bekannten oder vielleicht sogar immer noch bekennen. Die wachsende Schar der sozial Schwachen, der über Misswirtschaft und Korruption Erboßten stärkt ihre Reihen ebenso, wie Eltern, Freunde der Opfer immer brutaler werdender Repressionen durch das Regime.

Auch Massenverhaftungen, Folter, Mord in Gefängnissen und auf den Straßen, konstante verbale und physische Bedrohung hat den freiheitshungrigen Iranern nicht den Mut geraubt.Zunehmend unerschrocken zeigen sie sich bereit, selbst ihr eigenes Leben zu riskieren in dem wachsenden Wunsch, das Schicksal ihrer Heimat selbst in die Hand zu nehmen und die Geschichte zu lenken.

Auf Banknoten schreiben sie mit grüner Farbe ihre Botschaften, in den Geschäften fordern sie einander flüsternd zum Boykott von Waren aus der Produktion staatlicher Institutionen auf, insbesondere jene aus Fabriken der für die Repressionen verantwortlichen Revolutionsgarden. Aktivisten der „Grünen“ drängen Bürger, keine Produkte von Mobil-Telefonfirmen zu kaufen, die das Regime mit Technologie versorgen. Die Hilflosigkeit des Regimes gibt ihnen immer neuen Mut, so etwa der Vorsprung, den sie in einem harten Wettlauf mit Graffitis errangen.

„Nieder mit dem Diktator“ ist längst der wichtigste Slogan der „Grünen“ geworden, in Teheran ebenso, wie in Shiraz, Karaj, Qom, Isfahan und anderen Städten im ganzen Land. „Nieder mit dem Diktator“ wird auch in riesigen Lettern auf Häuserwände, Geschäftsportale in armen und reichen Vierteln Teherans geschrieben. Eilig versucht das Regime den Affront zu übermalen, doch die Kritzler sind schneller. Die Verzweiflung, die Irans Despoten durch ihre Gegenkampagne entlarven, ermutigt die Rebellen, so etwa, wenn Fußballmatches im Fernsehen nur noch in Schwarz-Weiß übertragen werden, damit das Volk nicht erkennt, dass die Masse der Zuschauer Grün trägt.

Was Irans Theokraten besonders beunruhigen muss, sind starke Anzeichen dafür, dass der Geist der Demokratie nicht nur die Studenten, die vor drei Jahrzehnten eine entscheidende Rolle zum Sieg der islamischen Revolution über den Schah gespielt hatten, sondern auch die Schulen zu erobern beginnt. Damit könnte sich die „Grüne Bewegung“ zur größten und umfassendsten politisch-kulturellen Strömung der jüngeren Geschichte des Irans entwickeln. In einer Mittelschule in Teheran etwa widersetzten sich die Schüler der Anordnung des Direktors: Statt „Marg bar Amrica“ (Tod Amerika) brüllten sie „Marg bar Dicatator“. An einer Schule in Karaj weigerten sich Schüler, zur Feier des 30. Jahrestages der Besetzung der US-Botschaft am 4. November amerikanische Flaggen zu verbrennen. Als der Direktor rote, grüne und weiße Ballons (die Farben der iranischen Flagge) verteilte, zerstachen die Jugendlichen die roten und weißen und hielten die grünen in ihren Händen. Anderswo widersetzte sich eine zwölfjährige Arbeitertochter nach einem Bericht von „Mianeh“, einer neuen unabhängigen Web-Initiative, ihrem Lehrer, der sie aufgefordert hatte, auf eine auf dem Boden liegende US-Flagge zu steigen, bevor sie das Klassenzimmer betritt. „Menschen in einem anderen Land lieben diese Flagge“, sagte das Mädchen, „warum soll ich sie missachten?“

Solche Aktionen des passiven Widerstandes in den Schulen stellen das Regime vor unlösbare Herausforderungen, können doch die paramilitärischen Bassidsch oder die Revolutionsgarden nicht wie gegen die Demonstranten in den Straßen mit aller Gewalt in die Schulen des Landes eindringen. Selbst der „Geistliche Führer“ Khamenei, der sich über jedes Gesetz erhebt und sogar vor Attacken gegen religiöse Institutionen und Traditionen nicht mehr zurückschreckt, kann es nicht wagen, diese rote Linie zu überschreiten.

Die symbolischen Führer der „Grünen Bewegung“, Mir Hussein Mussawi, Mehdi Karrubi und mehr im Hintergrund Mohammed Khatami, verfolgen die zunehmend aus ihrer Larve entschlüpfende Massenströmung mit einer Mischung aus Erstaunen, Ohnmacht und Angst. Sie alle, treue Jünger Khomeinis, bekannten sich bisher energisch zur Verfassung des „Gottesstaates“, dem sie lediglich ein wenig Demokratie, Transparenz und die Achtung der Menschenrechte einhauchen wollten. „Wir fordern die uneingeschränkte Durchsetzung der Verfassung und die Rückkehr zu den ethischen Grundlagen der Islamischen Republik. Wir fordern eine „Islamische Republik, nicht ein Wort mehr und nicht ein Wort weniger.“ Diesen zentralen Wahlspruch seiner Kampagne aber wiederholt Mussawi seit November nicht mehr.

„Sie (die Oppositionsführer) wollten eine Omelette kochen, ohne die Eier aufzuschlagen. Nun mussten sie erkennen, dass (das Volk) rascher voranschreitet als sie sich vorgestellt hatten“, analysiert ein enger Berater Mussawis.

Ein anderes wichtiges Ziel mussten Karrubi und Mussawi aufgeben. Nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni hatten sie sich jeder direkten Kritik an Khamenei in der Hoffnung enthalten, mit dem „Führer“ einen Pakt auszuhandeln, in dem sie sich zur Verteidigung des Atomprogramms verpflichteten, im Gegenzug für ein Ende der Repressionen. Die Massen aber riefen unterdessen: „Gebt die Urananreicherung auf. Tut etwas gegen die Armut“ und boykottierten damit derartige Pläne. Die Demokratie-Bewegung hegt kein Interesse an einem Kompromiss mit Khamenei, den sie des Verrats an seiner konstitutionellen Rolle als unparteiischer Schiedsrichter bezichtigen, da er sich noch vor Bekanntgabe der offiziellen (manipulierten) Wahlergebnisse im Juni bedingungslos hinter Präsident Ahmadinedschad gestellt hatte. Mussawi hat unterdessen auch Pläne zur Gründung einer – bisher allerdings erst vage entworfenen – „Grünen Organisation“ in der Erkenntnis aufgegeben, dass diese Anti-Regime-Bewegung zu mannigfaltig, vielleicht auch zu widersprüchlich ist, um in ein zentral kontrolliertes Gefüge gepresst zu werden, vereint sie doch Jung und Alt, modern und traditionalistisch Denkende ebenso, wie gläubige Muslime und Säkularisten.

Die Bewegung, die mit dem Slogan „Wo ist meine Stimme“ im Juni aus Protest gegen die Wahlmanipulation, durch die der Präsidentschaftskandidat Mussawi um seinen Sieg betrogen worden war, begonnen hatte, brach unterdessen mit den höchsten Tabus der „Islamischen Republik“ und erstrebt nicht weniger als den Sturz des Regimes. Darauf zumindest lassen die populärsten Slogans schließen, die Demonstranten in allen Landesteilen rufen.

Im Laufe der Wochen aber hat der wenig charismatische Mussawi dennoch an Popularität gewonnen, manche meinen er sei gar zu einem echten Reformer, wenn auch nicht Revolutionär, gereift. Durch seine jüngst über seine Website bekundete Bereitschaft, selbst sein Leben für Demokratie, Menschenrechte und ein transparentes System, wiewohl nicht dessen Sturz, zu opfern, hat er sich zunächst seine Position als symbolischer Führer der „Grünen Bewegung“ erhalten. Einen tatsächlichen Führer aber hat die „Grüne Bewegung“ ebenso wenig wie eine klar umrissene Ideologie. Die bekannten Khatami nahe stehenden Reformer sitzen im Gefängnis, wurden massiv eingeschüchtert, ebenso prominente Journalisten und andere Intellektuelle. Es sind Studenten, Hausfrauen, Arbeiter aller Altersgruppen, Angehörige der Mittelklasse, die oft ganz spontan Demonstrationen organisieren. Ihre Waffen sind das Internet, Mobiltelefon oder Youtube, Flugzetteln und Mundpropaganda. Sie werden über das Web auch von Exil-Iranern instruiert. Einer der prominenteste unter ihnen ist der einstige Mitstreiter Khomeinis Mohsen Sazegara. Mitbegründer der Revolutionsgarden, geriet er schon in den 80er Jahren in Konflikt mit den autoritären Zügen des Systems und lebt nun in den USA. Fests davon überzeugt, dass das islamisch-demokratische Experiment gescheitert ist, versucht er nun die „Grüne Bewegung“ mit Hilfe von täglich zehnminütigen über das Internet verbreiteten Videoaufnahmen in Methoden des zivilen Ungehorsams auf der Basis der eigener Erfahrungen aus der islamischen Revolution zu instruieren.

Eine empfohlene Methode ist das Gespräch mit Angehörigen der Revolutionsgarden aus der Nachbarschaft, die öffentliche Darstellung der Repressionen auf Plakaten, um die Sicherheitskräfte zu demoralisieren. Ein Effekt lässt sich bereits erkennen: Nicht Protestierende verhüllen ihre Gesichter, sondern die auf sie einschlagenden paramilitärischen Bassidsch und Revolutionsgarden.Sazegaras Ratschläge sollen täglich an die 500.000 Iraner hören und sehen.
Von einem gewaltsamen Umsturz will Sazegara nichts wissen und er teilt damit wohl eine im Iran weit verbreitete Ansicht. Gewaltlosigkeit ist für ihn ein entscheidender Faktor für einen nachhaltigen Erfolg. Eine „langsame Revolution“ mit den Methoden der Überredung, Zermürbung, des zivilen Ungehorsams, die Schritt um Schritt das ganze Land in ihren Bann zöge, sei der einzige Weg zum Sieg. Diese erste „post-moderne Rebellion“, so Sazegara, brauche keine Führerpersönlichkeiten, sie gleiche vielmehr einer Kette, deren jedes Glied ein Führer sei. Dabei öffnet sich die Kluft zwischen den Demonstrierenden und ihren „symbolischen Führern“ immer weiter.

Zugleich hat Khamenei durch seine bedingungslose Allianz mit Präsident Ahmadinedschad drastisch an politischen Spielraum verloren, vollends abhängig von den wahren neuen Machthabern, den Revolutionsgarden. Deren Brutalitäten rauben dem „Geistlichen Führer“ nun auch noch zunehmend seine eigene islamische Basis. Immer mehr Ayatollahs gehen auf Distanz zu ihm. Durch die hartnäckige Weigerung, einen Kompromiss mit der „Grünen Bewegung“ zu suchen, die Radikaleren von den im System verbleibenden Kritikern zu trennen, riskiere das Regime nach den Worten des gemäßigt konservativen Parlamentssprechers Ali Laridschani „den Zusammenbruch des Landes“. Warum? Darauf findet die unabhängige iranische Politologin Farideh Farhi eine schlüssige Antwort: Nach einer im Iran weit verbreiteten Überzeugung, hatte der Schah zu Beginn der Massendemonstrationen gegen ihn 1978 durch wichtige Zugeständnisse die Revolutionäre derart ermutigt, dass sie damit letztlich den Sieg errangen. Khamenei, selbst einer dieser Revolutionäre, habe die Lehre aus der Geschichte gezogen. Unnachgiebigkeit, Härte und Mobilisierung eigener Anhänger zählten deshalb zu den Rezepten, die einen erneuten Umsturz verhindern sollten, auch um den Preis eines Bürgerkrieges.

Und gestand Sazegara jüngst in einem Interview mit dem amerikanischen CBC Radio International: „Ich bin optimistisch. Beherrschte vor drei Jahrzehnten die revolutionäre islamische Ideologie den Diskurs, so haben heute selbst religiöse Intellektuelle eine demokratische Version des Islams mit einem Minimum an religiösen Ideen entwickelt.“ Die Vorstellungen von Demokratie, Freiheit, Toleranz und Achtung der Menschenrechte geben heute den Ton an. Sazegara strebt, wie eine wachsender Zahl insbesondere unter den iranischen Intellektuellen, nach einer säkularen Demokratie. Und er übermittelt seiner großen Zahl von „Schülern“ ein Rezept für die Zukunft: „Die säkulare Demokratie kann ich niemandem aufzwingen.“ Nach dem Sturz des Regimes Khamenei sollten vielmehr mit Hilfe internationaler Organisationen die Iraner in einer Volksabstimmung entscheiden, ob sie tatsächlich das Ende der „Islamischen Republik“ erstreben. „Lehnen sie diese ab, dann schreiben wir einen neuen Verfassungsentwurf, und ich werde mich für eine demokratische, säkulare Republik engagieren.“

„Wir haben es nicht eilig“, meint der sich zum säkularen Demokraten gemauserte Jünger Khomeinis. „Wir spielen Schach mit den Revolutionsgarden (der Schlüsselkraft des Regimes), die nur eine Methode kennen: Unterdrückung, Haft und Folter. Das Volk hat viele Optionen.“


Erschienen in Auszügen im „Rheinischen Merkur“ am 6.1.2010

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