Freitag, 15. Januar 2010

IRAN: Irans Dilemma in Afghanistan

Mit der Strategie des „gemanagten Chaos“ hofft Teheran, die Gefahren aus dem turbulenten Nachbarstaat zu bannen - Kooperation mit den USA oder doch lieber nicht?

von Birgit Cerha

Es ist kaum neun Monate her, dass der Iran in dem ersten offiziellen Treffen mit einem hohen Vertreter der USA seit drei Jahrzehnten Zusammenarbeit im krisengeschüttelten Afghanistan versprach. Seither aber hat sich in den unterdessen radikalisierten Führungskreisen des „Gottesstaates“ der Hass auf den „Großen Satan“ bis zur Paranoia gesteigert. Washington schüre die seit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni tobende interne Rebellion – so der Vorwurf - und verschärft zugleich den Druck zum Stopp des Atomprogramms. Teherans Bereitschaft zur Kooperation sackte auf den Nullpunkt ab. Totale Distanz zu den „Mächten der Arroganz“, wie sie Revolutionsführer Khomeini einst gebot, gewinnt in Führungskreisen neue Attraktivität. Die Tatsache, dass Obama bei Vorbereitungen zur Afghanistan-Konferenz den Iran nicht einmal erwähnte, mag die herrschenden Radikalen in ihrer Position bestärken. Seit langem ist Irans Hilfe in Afghanistan ein Tabu-Thema im Westen. Dennoch wird sich Außenminister Mottaki am 28. Januar in London an den Verhandlungstisch setzen.

Dass der „Islamischen Republik“ eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung ihres östlichen Nachbarn zukommt, ist längst unbestritten. Dabei haben der Iran und dessen Erzfeind USA gemeinsame Interessen und gemeinsame Aversionen: Beide wollen eine Regierung in Kabul, die Aufständische, insbesondere die radikalen Sunniten der Taliban und Al-Kaida, in Schach zu halten vermag, dem blühenden Rauschgifthandel Einhalt gebietet, den totalen Zusammenbruch des Staates und damit erneute Massenflucht in den Iran verhindert.

So hatten die Iraner den USA 2001 beim Sturz des Taliban-Regimes wertvolle Hilfe geleistet, hatten Kämpfer der mit den USA verbündeten afghanischen Nord-Allianz bewaffnet und trainiert. Doch als US-Präsident Bush dies offiziell nicht nur nicht anerkannte, sondern den Iran auch noch in seine „Achse des Übels“ einschloss, brach in Teheran alter Zorn über die „Weltarroganz“ neu auf.

Dennoch erwiesen sich die Iraner auch anschließend als weit bessere Nachbarn als das von Washington hofierte Pakistan. Das erkennt auch Präsident Karzai offen an. Teheran investiert Millionen in den Wiederaufbau von Infrastruktur und Industrie in den West-Provinzen, baut Straßen und Zugsverbindungen, unterstützt ein Autobahnprojekt durch West-Afghanistan nach Indien, errichtet Schulen und Hospitäler, gewährt humanitäre Hilfe, versucht die lange, poröse Grenze gegen Rauschgiftschmuggler abzuriegeln und hält sich von größeren Intrigen in Kabul fern.

Iran verbinden historische, religiöse und kulturelle Bande mit den Minderheiten West- und Zentral-Afghanistans, den (schiitischen) Hazara, den Tadschiken und Usbeken. Dank iranischen Beistandes geht es diesen Menschen heute ökonomisch weit besser als der Bevölkerung des Ostens. Teheran lässt auch beträchtliche Mengen an Bargeld in die Taschen von Stammesführern fließen, um sich in der Region Einfluss zu erkaufen. Zusätzlich hilft dabei das so oft bemühte

Argument: „Die Amerikaner bleiben vielleicht zehn oder 20 Jahre hier - wir für immer.“

Die verschärften Spannungen mit den USA bringen die Iraner aber in ein schweres Dilemma. Eine Rückkehr der Taliban, die ihr „Geistlicher Führer“ Khamenei als „Affront gegen den Islam“ verdammt, wollen sie unter allen Umständen vermeiden. Ebenso wenig liegt die Stabilisierung einer fest mit dem Westen verbündeten Regierung in Kabul im Interesse des „Gottesstaates“, solange dieser sich nicht selbst mit den USA ausgesöhnt hat. Nicht zuletzt könnten die USA ihre Militärstützpunkte in Afghanistan für einen Präventivschlag gegen Irans Atomanlagen nützen. So bereiten sich die Iraner auf eine mögliche Konfrontation mit den Amerikanern im Osten vor. Dabei gewinnt die Todfeindschaft mit den Taliban untergeordnete Bedeutung. Iranische Waffen und Sprengstoff gelangen - allerdings in geringem Ausmaß – in die Hände von Taliban-Kämpfern. Konkrete Beweise für eine direkte Verwicklung des iranischen Regimes fehlen allerdings.

Teheran verfügt aber zweifellos über diverse Mittel, den Amerikanern in Afghanistan schwer zuzusetzen. Der Kommandant der für Auslandseinsätze zuständigen „Quds-Einheit“ der Revolutionsgarden, General Suleimani, hatte schon im Irak höchst erfolgreich mit den von ihn ausgebildeten schiitischen Milizen zuerst gegen die USA und später in derem Interesse agiert. Er dürfte sein Augenmerk nun auf Afghanistan gelenkt haben, wo er, so westliche Militärkreise, ein geheimes Netzwerk und eine geheime Infrastruktur aufbaut, um – wenn zweckmäßig - gegen US-Truppen loszuschlagen. Auch politisch kann der Iran, die Amerikaner und deren Verbündete in Kabul massiv unter Druck setzen, indem er Gruppen der Hazara, Tadschiken und Usbeken, von denen viele die Nord-Allianz unterstützen, zum Widerstand gegen Karzai ermutigt

Vorerst aber deutet nichts darauf hin, dass sich die Iraner zu einem derart radikalen Schritt entscheiden würden. „Teheran würde viel mehr verlieren als die USA, wenn Afghanistan wieder zu einem von der Al-Kaida verseuchten und den Taliban kontrollierten Rauschgiftstaat entartet“, meint Iran-Experte Marim Sadjapour. „Gemanagtes Chaos“ erscheint Teheran deshalb in Ermangelung einer klaren Strategie das Zauberwort.

Die Suche nach einem Ausweg aus diesem Dilemma löst heftige Debatten in der iranischen Führung aus, wo seit Juni aber jene den Ton angeben, die jegliche Kooperation mit den USA ablehnen. Anderseits aber irritiert das Regime die Möglichkeit, Obama könnte mit seiner Strategie, gemäßigte Taliban in einen Stabilisierungsprozess einzubinden, Erfolg haben und den Iran aus einem solchen Konzept vollends ausschließen. So drängen etwa Kreise im Parlament auf ein Maß an Zusammenarbeit mit den USA. Solange aber Irans interne Krise nicht gelöst ist, wird sich das Regime zu keiner klaren Strategie durchringen können. Denn es geht auch in Afghanistan primär um die seit den Tagen der Revolution virulente Streitfrage des Umgangs mit dem „Großen Satan“.


Erschienen am 21.1.2010 im "Rheinischen Merkur"

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