von Peter Wald
15. bis 18. Dez. Jerusalem:
Wer einen Besuch im besetzten Westjordanland plant, der möge in Jerusalem eine längere Rast einlegen, zwei, drei Tage/Nächte mit Quartier im Ostteil der Stadt bleiben. Nicht nur wohnt er dicht vor oder gar in der Altstadt preiswerter als im feineren Westen Jerusalems. Er (oder sie) erlebt auch die arabische Atmosphäre, die einen auf Bethlehem, stärker auf Jericho, Ramallah oder Nablus einstimmt.
Und noch etwas: Man hat es nicht weit zum Educational Bookshop in der Salah Ad-Din Straße, wo es Dutzende von alten, neuen und neuesten Titeln zum Palästina-Konflikt gibt. Ebenso finden politisch Wissbegierige, so sie nicht Arabisch lesen können, dort die für sie unentbehrlichen englischsprachigen Tageszeitungen: The Jerusalem Post, die International Herald Tribune mit der Beilage von Ha’aretz, die englische Wochenendausgabe der ägyptischen Zeitung Al Ahram. Die „Post“ vertritt in den Kommentaren meistens die Ansichten des Establishments und steht der Regierung nahe, sogar der scharf rechts orientierten jetzigen Regierung Benjamin Netanyahus. Ha’aretz, linksliberal, bietet den kritischen und selbstkritischen Stimmen Israels Raum, zum Beispiel den meistens überaus kritischen Kommentaren Gideon Levys. Beiträge von Akiva Eldar, dem Ko-Autor des auch in Deutschland veröffentlichten Buchs über die israelische Siedlerbewegung in Ost-Jerusalem und dem Westjordanland seit 1967, sind ebenfalls zu finden. (Idith Zertal/Akiva Eldar: Die Herren des Landes, München 2007, ISBN 978-3-421-04268-2)
Die gründliche Lektüre der Jerusalem Post und der Ha’aretz vermittelt auch dem wieder zugereisten Nahost-Kenner neue Informationen und Erkenntnisse. Zum Beispiel wusste ich noch nicht, dass den engsten Angehörigen von palästinensischen Gefangenen aus dem Gaza-Streifen in Israel ein Recht vorenthalten wird, das meiner Mutter bis tief in die Zeit des Zweiten Weltkrieges hinein zugestanden worden war: Ihren Ehemann, meinen Vater, im Zuchthaus, wo er als politischer Gefangener einsaß, erst zweimal, dann nur noch einmal je Jahr (ab 1943) zu besuchen. Ehefrauen, Mütter, Schwestern u. Brüder im Gaza-Streifen dürfen überhaupt nicht zu ihren Gefangenen in Israel, nicht etwa, weil die machthabende islamische Hamas sie nicht ausreisen lässt, sondern weil zuletzt auch der oberste israelische Gerichtshof ihnen dieses Menschenrecht „aus Sicherheistgründen“ verweigert hat.
Von Ha’aretz erfährt man zu diesem Zeitpunkt, dass die Vertreibung palästinensisch-israelischer Familien aus Häusern eines früher jüdischen Wohngebiets des Stadtteils Scheich Jarrah fortgesetzt wird. Allerdings waren die Häuser der Neu-Vertriebenen bis zur israelischen Staatsgründung 1948 in jüdischem Besitz gewesen und die jüdischen Eigentümer waren damals in das neue Israel geflohen oder vielleicht auch vertrieben worden. Erst 1967, nach der Eroberung Ost-Jerusalems durch Israel, waren jene Häuser wieder für Juden zugänglich. Da ist es doch eigentlich verständlich, wenn die ehemaligen jüdischen Besitzer oder die Erben ihr Eigentum zurück verlangen, geht einem durch den Kopf. Doch Ha’aretz weiß es besser: „Die palästinensischen Familien haben auf den Grundstücken seit 1948 gelebt. Sie wurden nicht entfernt (removed), um den Nachkommen der früheren Besitzer, sondern um Siedlern einer extremistischen Organisation Platz zu machen, die daran arbeitet, Jerusalem – ganz Jerusalem – mit Juden zu bevölkern.“ Auch dazu geht dem Nahost-Kenner etwas durch den Kopf. Natürlich müssen Juden überall in Jerusalem leben können, doch ebenso arabische Israelis und ausgebürgerte und nur „geduldete“ Palästinenser. Und wäre es nicht an der Zeit, aus einem Lastenausgleich-Fonds den aus Scheich Jarrah vertriebenen palästinensischen Familien neue Wohnstätten zu finanzieren? Schließlich leben in Jerusalem hunderte von jüdischen Familien in Häusern, die bis 1948 oder 1967 Palästinensern gehört haben.
Die meisten der rund 500.000 israelischen Siedler im Großraum Jerusalem und im Westjordanland hätten aus wirtschaftlichen, nicht aus ideologischen Gründen Wohnung im besetzten Gebiet genommen, so hört man immer wieder. Das mag ja sein. Die Wohnhäuser, vorzugsweise festungsartig auf den einst grünen Hügeln Palästinas zusammengeballt, sind hoch subventioniert und kosten viel weniger als vergleichbarer Wohnraum in Kern-Israel. Die extra für sie gebauten „Sicherheitsstraßen“, auch Siedlerstraßen genannt, bringen die Ernährer der Familien in vielleicht 30 Minuten (Jerusalem) bis 90 Minuten (Tel Aviv, Jaffa usw.) an ihre Arbeitsplätze. Unter solchen Umständen kann man es auch ertragen, wenn die ideologisch motivierten Siedler, eine kleine Minderheit, immer lauter für die ganze Masse reden. Die Fundamentalisten der israelischen Siedlerbewegung sind zu vielem fähig. Im Umfeld der Siedlung Ofra (Efra) haben einige von ihnen Kampfhunde gegen palästinensische Bauern in Stellung gebracht, um diese daran zu hindern, ihre eigenen Felder zu bestellen. Die Siedler möchten sich noch mehr Land der palästinensischen Bauern aneignen. Auch das lässt sich der israelischen Presse entnehmen.
Israelische Siedlung Har Homa bei Bethlehem. Wird weiter ausgebaut, obwohl schon ein großer Leerstand besteht.
19. Dez. Jericho/Bethlehem:
Ehe man das Tagesziel Bethlehem erreicht, bietet sich die Gelegenheit, eine Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Jericho zu einem Jahresabschluss-Treffen der von ihm betreuten palästinensischen Akademiker wahrzunehmen. Wiedersehen mit Jericho. Zuletzt waren wir 1994 hier, also nicht lange nach dem Abschluss der Verträge von Oslo, die den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern einleiten und zügig zum Friedensschluss führen sollten. 16 Jahre sind seither vergangen – und der Frieden ist immer noch nicht in Sicht. 1994 war Ramallah die Hauptstadt des neugeschaffenen Autonomiegebietes. Diesen Rang musste die „36 km nordöstlich von Jerusalem auf 250 m unterhalb des Meeresspiegels gelegene Stadt“ (so ein Reiseführer) inzwischen an Ramallah abgeben. Jericho bleibt aber der Ruhm, der „tiefste bewohnte Ort auf der Welt“ (derselbe Reiseführer) zu sein, ein warmer Winterkurort, in dem auch schon so mancher reiche Golfaraber in Immobilien investiert hat, jedoch jetzt innehält, weil der künftige Status wieder völlig ungeklärt ist.
Sehr eindrucksvoll das Akademiker-Treffen in einem Gartenlokal. Aus allen Universitäten des besetzten Gebietes sind an diesem Freitag Professoren und Dozenten gekommen, darunter Naturwissenschaftler, die sich nach Meinung unserer Gastgeberin zur Spitzenklasse im Weltmaßstab rechnen dürfen. Auch Frauen sind eingeladen. Manche tragen Kopftuch, andere nicht; manche sind die Ehefrauen der eingeladenen Akademiker, manche sind selber Professora. Für einige Stunden sind die Schwierigkeiten eines Lebens unter Besatzungsregime, und das schon über 42 Jahre lang, wenn auch nicht vergessen, so doch in den Hintergrund gedrängt.
20. bis 22. Dez. Bethlehem/Beit Sahour:
Wieder in das Hotel Paradise eingerückt, wie schon zu Weihnachten 2006. Ein Mittelklassen-Hotel mit viel Platz, moderaten Preisen und freundlichem Personal. Nicht nur aus Gewohnheit haben wir dieses Hotel erneut gewählt, sondern weil es von dort nur rund 600 Meter bis zu einem Abschnitt der israelischen Sperrmauer in Richtung Jerusalem sind. In dem Abschnitt hatten wir vor drei Jahren einige Fotos für unsere Ausstellungen „Bilder und Texte an Mauern“ aufgenommen. Jetzt wollten wir sehen: „Was gibt es Neues?“ Es gab Neues, doch nicht nur Gutes. Einige der bemerkenswerten Graffiti - Bilder oder Sprüche - sind schon verunstaltet, beschmiert von Touristen mit ihren Namenszügen oder Liebeserklärungen an eine Jenny oder einen Amir. Auch Präsident John F. Kennedys im Angesicht der Berliner Mauer ausgerufenes Bekenntnis „Ich bin ein Berliner“, das seit 2008 auf der israelischen Sperrmauer zu lesen ist, hat eine Verunstaltung erlitten. Die besten Sprayer kamen in den ersten Jahren des acht Meter hohen Betonmonsters.
Sehr bald Kontakt mit Raouf Azar, dem stark beschäftigten Chefarzt, Direktor und nun auch persönlichen Freund, der seit einigen Jahren das Medizinische Zentrum in Beit Sahour leitet. Obschon er Anfang 2009 den ihm aufgenötigten Posten in der Zentrale des genossenschaftlichen Gesundheitswesens abschütteln konnte, muss der Doktor doch jeden Mittwoch-Nachmittag nach Ramallah zum Rat der Klinikleiter. Neben dem Betrieb der Ambulanz, in der er auch als Urologe praktiziert, überwacht Raouf Azar noch die Fertigstellung des Krankenhaus-Neubaus. Stark beansprucht wie er ist, kommt er an seinem freien Sonnabend – Freitag und Sonnabend machen in Israel und in Rest-Palästina das Wochenende aus – nach Beit Sahour, um uns den Neubau zu zeigen und zu erläutern. Neun Jahre lang wurde gebaut, eine sehr lange Zeit für ein nur dreistöckiges Haus, auch wenn es eine palästinensisch-tradionelle Natursteinfassade besitzt. Waren die Arbeiter so faul? Gab es Engpässe beim Baumaterial? Was behinderte das Vorhaben?
Ein Wunder, dass seit 2001 überhaupt gebaut wurde, wo man doch damals fast kein Eigenkapital hatte. Noch hinderlicher: Die zweite Intifada, die diesmal auch auf palästinensischer Seite nicht mehr gewaltfreie Auflehnung gegen das Besatzungsregime, war gerade richtig ingang gekommen. Sie führte zum Ausnahmezustand mit tage- oft wochenlangen Ausgangssperren, brutalen Razzien des israelischen Militärs nach Selbstmordanschlägen, dem Ausschluss zehntausender palästinensischer Arbeitskräfte aus dem Wirtschaftsleben Israels und dem Anstieg innerer Konflikte auf palästinensischer Seite, schließlich zum Beginn des Baus einer israelischen Sperranlage. Ein Wunder, dass es unter solchen Umständen überhaupt zur Grundsteinlegung für ein Krankenhaus neben der seit 1988 bestehenden Ambulanz gekommen ist. Für das Großprojekt mussten dann ausländische Förderer gefunden werden. Weil Fördermittel vorwiegend in einzelnen Margen bewilligt werden, wurde das Vorhaben in kleine Abschnitte zerlegt. In den Jahren 2001 bis 2003 entstanden das Keller- und das Erdgeschoss. 2006 wurde der erste Stock im Rohbau fertig, 2008 der zweite Stock. Jetzt konnten wir die drei auch innnen ausgebauten Etagen mit zwei Operationssälen besichtigen, konnten im bettenbreiten Aufzug hinauffahren und auch die Patientenzimmer inspizieren. Laut Raouf Azar ist es sozusagen nur noch eine Meile bis zur vollen Inbetriebnahme des Neubaus. Es fehlt noch ein ca. 10 m langes Verbindungskabel zwischen dem Neubau und einem Transformator, der dem Krankenhaus – das auch mit unseren und anderer privater Vereine Spenden finanziert wurde – die unerlässliche Hochspannungs-Elektrizität zu bringen.
23. Dez. Hebron:
Raouf Azar hat die Teilnahme an den Beratungen im Gesundheitswesen an diesem Mittwoch in Ramallah abgesagt, um die Besucher aus Deutschland nach Hebron fahren zu können. Je näher man der nach Ost-Jerusalem größten Stadt des Westjordanlands (160 000 Einwohner) kommt, desto urbaner aber auch „freundlicher“ wird die Landschaft. Hebron ist von zahlreichen kleinen Ortschaften umgeben, zwischen denen es mehr Obst- und Weingärten als Ackerland gibt. Die Gärten sind sehr gepflegt. Nähe zum Toten Meer macht sich klimatisch bemerkbar. An mehreren Straßen- und Wege-Kreuzungen stehen allerdings 10 bis 20 Meter hohe Wachtürme der israelischen Streitkräfte. Sie „bewachen“ die Zufahrten nach Kiryat Arba, eine der ältesten israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Die Siedlung entstand ab 1970. Moshe Dayan, damals der im Sechstage-Krieg von 1967 siegreiche Verteidigungsminister Israels, hatte nur wenige Tage nach der Besetzung des Westjordanlandes ihren Bau angeordnet. Heute wären die Wachtürme eigentlich nicht mehr erforderlich. Kiryat Arba, Hochburg religiös motivierter Siedler, ist längst von der bekannten acht Meter hohen Betonmauer umgeben.
Für Palästinenser versperrte Gasse mit einem von jüdischen Siedlern besetzes Haus in Hebron.
Einfahrt nach Hebron. Man ist überrascht: Eine arabische Großstadt wie viele andere, quirlig, die Straßen von Menschen und Autos überlastet, ambulante Händler überall. Raouf findet schließlich doch einen Parkplatz und weiter zu Fuß. Je näher man dem Suq, dem Markt kommt, desto voller wird es. Nur wer sich mit den Trachten arabischer Landbevölkerung auskennt, kann jetzt noch unterscheiden, ob dies etwa der Suq von Damaskus, Amman oder Bethlehem ist. Ein gleichartiges Warenangebot überall. Allerdings führt der Gang durch den Kleidermarkt schnurgerade zu dem Altstadt-Kern, der zu einem Brennpunkt Hebrons wurde. Hier also beginnt am Rande der Marktstraße die Häuserzeile, in deren oberen Etagen jüdische Siedler leben und unten der arabische Suq brodelt. Lange war dies ein virulenter Konfliktherd. Die Siedler hatten insofern die Oberhand, als bewaffnete israelische Soldaten den Zugang zu ihren Häusern sicherten, während man von oben den palästinensischen Feind mit Wurfgeschossen und Unrat bewerfen konnte. Schließlich erwirkte die palästinensische Stadtverwaltung von der Besatzungsmacht eine Genehmigung, Drahtnetze über der umstrittenen Straße aufspannen zu dürfen. Jetzt lagern auf den Drähten unwirksam gewordene Wurfgeschosse wie Kleiderbügel, ein halber Stuhl, ausgelatschte Schuhe, ein Handwaschbecken, leere Flaschen, zerbrochene Krüge. Nur vor flüssigen Abwehrstoffen der Siedler ist man auf der Marktstraße nicht geschützt. Aber zur Zeit soll Waffenruhe herrschen. Die rund 500 israelischen Siedler in Hebron werden von bis zu 4000 israelischen Soldaten geschützt. Hoffentlich treten die Soldaten auch den Siedlern entgegen, wenn sie, was häufig genug vorkommt, Palästinenser bedrohen.
Zum Schutz der palästinensischen Marktbesucher vor Wurfgeschossen der Siedler mussten Netze gespannt werden
Juden müssen auch in Hebron leben dürfen, sagt sich der Besucher, zumal sie hier früher sehr präsent waren. Juden wie Muslime verehren gemeinsam eine Höhle (seit Jahrhunderten mit einer Moschee überbaut), die der Legende nach dem alttestamentarischen Propheten Abraham (für die Juden) oder Ibrahim (für die Muslime) als Grabstätte für seine Frau Sahra gedient hat. Die Verehrung verlief friedlich bis 1929, als im Zeichen einer stark vermehrten jüdischen Einwanderung eine Serie von Aufständen der palästinensischen Bevölkerung gegen die britische Mandatsmacht losbrach. In Hebron führte das zu Auseinandersetzungen zwischen Juden und Muslimen. Nachdem in einem grässlichen Massaker 67 Juden ermordet worden waren, evakuierte die Protektoratsmacht die restliche jüdische Bevölkerung aus Hebron. Genau 50 Jahre nach dem Hebron-Massaker setzten sich Siedler aus Kiryat Arba wieder in der Altstadt von Hebron fest und gelangten dort schnell unter den Schutz des Militärs, sodass ihre Stadt-Siedlung wachsen konnte. Abermals 15 Jahre später, am 25. Februar 1994, ereigneten sich weitere Massaker: Der israelische Siedler Baruch Goldstein drang während des Morgengebets in die Haram al-Ibrahimi-Moschee ein, eröffnete aus einer Maschinenpistole das Feuer auf die Betenden, tötete 29 und verwundete fast 200 von ihnen, ehe er selbst getötet wurde. Als es darauf nahe dem Hebron Krankenhaus, wo die Verwundeten eingeliefert worden waren, zu Unruhen kam, erschoss das israelische Militär 12 Palästinenser. Welche selbsttragende Lösung für ein friedliches Miteinander in Hebron wird es nach soviel Blutvergießen im Fall der Unabhängigkeit Klein-Palästinas geben?
24. Dez. Bethlehem/Jerusalem:
Der Vormittag des 24.12. gehört in Bethlehem immer den christlichen Pfadfindern. Etwa acht Stunden ehe für die katholischen und evangelischen Christen sowie für die ihnen assoziierten orientalischen Gemeinden (es gibt z.B. griechisch-katholische und armenisch-katholische) der Heiligabend beginnt, kommen die weiblichen und männlichen Pfadfinder in ihren bunten Uniformen zu Demonstrationen auf die Straßen. Natürlich säumen viele Angehörige der marschierenden Mädchen und Jungen die Straßenränder, um ihre Lieblinge beim Vorbeimarsch zu fotografieren. Schnell sind die meist engen Gassen Alt-Bethlehems von scheinbar endlosen Marschkolonnen verstopft. Dazu gibt es einen hohen Geräuschpegel, denn marschiert wird nach den Takten von Trommeln, Pauken und Becken; dazu gibt es auch immer wieder Musik von Dudelsäcken, Pfeifen, Saxophonen und Trompeten. So hatten wir es Weihnachten 2006 hier schon einmal erlebt. Damals konnten einem die jungen Leute in ihrer leichten Bekleidung fast leid tun, denn es war kalt und nass. Weihnachten 2009 bahnte sich mit viel Sonne und für die Jahreszeit zu hohen Temperaturen an. Diesmal schwitzen statt frieren.
Nicht nur das Wetter regte zum Vergleich zwischen den Demonstrationen 2006 und 2009 an. Vor drei Jahren führte jeder Zug mindestens ein arabisch und englisch beschriebenes Transparent mit. „Gefangene im eigenen Land“ und „Schluss mit der Besatzung!“ und „Es lebe ein unabhängiges Palästina!“, lauteten die Parolen. Am 24.12.2009 gab es überhaupt keine Transparente, keine vorab publizierten Parolen. Am Abend, bei einem wunderbaren Weihnachtsessen mit Freunden in Ost-Jerusalem, kommt das zur Sprache. Die überaus kenntnisreiche Freundin H. merkt an , dass die Spitze der Autonomiebehörde die Parole ausgegeben habe, „keine Parolen“. Mahmud Abbas und Salem Fayat wollten sich jetzt, da der sogenannte Friedensprozess in einer Sackgasse stecke, da alles in der Schwebe sei, die absolute Meinungsführerschaft vorbehalten.
25. Dez. Bethlehem:
Am ersten Weihnachtstag erwacht die Geburtsstadt Jesu spät. Wieviele der einheimischen Christen waren gestern wohl zur Mitternachtsmesse in der Geburtskirche oder mindestens auf dem Platz vor ihrem Haupteingang? Das ist unmöglich zu erraten oder gar zu ermitteln. Aber annehmen darf man schon, dass die wenigsten Menschen in der dichtgedrängten Masse in und vor dem Gotteshaus Bethlehemer Christen waren, denn man gelangt zur Mitternachtsmesse nur mit zuvor bezogenen Eintrittskarten. Diese aber sind wochenlang vorher zu fast 100 Prozent in den Händen von Reiseveranstaltern, die damit ihre Weihnachts-Pilgerer und Pilgerinnen bedienen.
Der 25. Dezember ist diesmal ein Freitag, also der Wochenendfeiertag der muslimischen Einwohnerschaft. Auch das mag die lange Morgenruhe in der Stadt erklären. Laut und unruhig wird es erst gegen 12 Uhr mittags. Ein halbes Dutzend Polizei-Mannschaftswagen mit schwarz-uniformierten, schwer bewaffneten Polizisten sammelt sich am Busbahnhof. Es sind palästinensische Bewaffnete, Angehörige einer der Brigaden, die - mit Wissen und Billigung der israelischen Regierung - im benachbarten Jordanien von amerikanischen Ausbildern trainiert werden. Ach ja, 12 Uhr mittags an einem Freitag! Gleich ist das Mittagsgebet zu Ende und die nahegelegene Moschee wird sich entleeren. Das ist immer eine spannungsgeladene Situation. Wie und was hat der Imam in der Moschee gepredigt? Hat er die Gemüter der Gläubigen aufgewühlt, hat er gar zum Widerstand oder Kampf gegen „ungerechte Herrscher“, auch die eigenen, aufgerufen? In gehöriger Entfernung haben sich die Polizisten in Bereitschaft gestellt. Falls notwenig, könnten sie schnell eine erregte Menge einkesseln. Doch das ist hier jetzt nicht nötig. Friedlich verlassen die Muslime ihre Moschee, steigen in ihre abenteuerlich geparkten Autos, verursachen ein Verkehrschaos. Nach 20 Minuten ist jedoch alles vorbei und sind auch die Bereitschaftspolizisten abgefahren.
26. Dez. Bethlehem:
Zweiter Weihnachtstag? Ist dieser zweite Feiertag nicht überhaupt eine deutsche Erfindung, während man anderswo in Europa am 26. wieder dem Tagewerk nachgeht? Aber sowieso ist ja Samstag, Feiertag der jüdischen und folglich auch der palästinensischen Israelis. Während einige der internationalen Pilger-Gruppen schon ebgereist sind, treffen zahlreiche palästinensisch-christliche Familien aus Kern-Israel in Bethlehem ein. Ihnen ist die Ausreise in das besetzte Westjordanland erst an diesem Tag gestattet worden. Sie unterziehen sich den mühseligen Kontrollen der Aus- und später – noch mühseligerer – der Wiedereinreise schon deswegen, weil sie Angehörige, die „Gefangene im eigenen Land“ sind, hier wiedersehen können. Dazu gibt es nur zweimal im Jahr Gelegenheit, eben zu Weihnachten und zu Ostern.
Uns ist an diesem 26.12. der Termin für einen Besuch in Nablus und Jenin geplatzt. Was also tun mit dem angebrochenen Tag? Auf die Schnelle lässt sich ein Besuch im größten Flüchtlingslager der Region, im Lager Deheische am Rande von Bethlehem, organisieren. Man verweist uns an IBDAA, „eine Selbsthilfe-Organisation, die erzieherische und soziale Programme für Kinder, Jugendliche und Frauen des Flüchtlingslagers Deheische entwickelt und ausführt“, so erklärt ein Faltblatt. Wem bei dem Wort „Flüchtlingslager“ die Vorstellung von langen Reihen von Zelten oder dürftigen Baracken erscheint, der irrt. Die Zelte verschwanden Mitte der fünfziger Jahre, denn die hier lebenden Flüchtlinge waren bis zur Staatsgründung Israels 1948 zum größten Teil in den Dörfern nahe größeren Städten wie Jerusalem, Hebron, Jaffa und andere zuhause. Von dort wurden sie vor nunmehr 62 Jahren vertrieben oder flohen aus Angst vor den Folgen der Kämpfe zwischen jüdischen und arabischen Freischärlern. Zunächst unter jordanische Herrschaft geraten, war an eine Rückkehr in die Heimatdörfer nicht zu denken. Also begann man in Deheische Container zu beziehen, kleine Hütten zu bauen, ersetzte diese nach und nach durch festere Steinhäuser.
Ein herbeigerufener junger Mann, 19 Jahre alt, Abiturient mit guten Englischkenntnissen, führt uns durch das „Lager“.
Es ist in Wirklichkeit ein Vorstadt-Viertel, eine Mischung von Slums und Armenquartier. Unser Führer erklärt, dass hier auf knapp einem qkm über 11.000 Menschen leben, davon etwa die Hälfte noch Kinder. Zum Lebensunterhalt tragen die Rationen der UNRWA (United Nationen Work and Relief Agency) bei, doch kann man von ihnen allein nicht leben. Früher fuhren die Familienväter täglich zum nahegelegen Jerusalem, um als Gelegenheitsarbeiter, manche sogar als Dauerbeschäftigte, Geld zu verdienen. Das geht nach den Selbstmordanschlägen in Israel in der ersten Hälfte dieser abgelaufenen Dekade nicht mehr. Wohl der Familie, die einen oder mehrere im Ausland tätige Angehörige hat und Geld zugeschickt bekommt. Weniger glückliche Familienväter müssen sich im Westjordanland zum Beispiel als Taxifahrer, als Gelegenheitsarbeiter, Straßenfeger, als Verkäufer durchschlagen. Wie war wohl den Palästinensern zumute, denen wir 2006 zusahen, wie sie unter strenger israelischer Militäraufsicht noch zusätzlich Stacheldraht-Verhaue auf der acht Meter hohen Sperrmauer montierten?
Ein Wunschtraum der Frustrierten; palästinensisches Mädchen visitiert einen israelischen Soldaten. Wandbild im Lager Deheische.
27. bis 29. Dez. Jerusalem/Ramallah/Jaffa:
Heute wollen wir wieder in Jerusalem Quartier beziehen, um nicht etwa durch unvorhergesehene Ereignisse im Westjordanland hängen zu bleiben und den Rückflug am 29. zu versäumen. Freundin H., die dank ihrer Jerusalemer Autonummer und ihres Ausweises fast immer nach Blickkontakt mit den diensttuenden Soldaten durch die israelischen Kontrollstellen fahren kann, holt uns in Bethlehem ab. Das ist wunderbar bequem, eine große Erleichterung, da wir reichlich Gepäck dabei haben. Und doch meldet sich wieder dieses schlechte Gewissen: Man ist jetzt überaus privilegiert. Dass Freundin H. diese Vorzugsstellung besitzt, ist schon in Ordnung, sie hat fast täglich auf beiden Seiten, auf der israelischen wie auf der palästinensischen, zu tun. Aber für Millionen von Palästinensern, mit denen wir uns solidarisch fühlen, bringt die Sperrmauer eine dramatische Einschränkung ihrer Lebensqualität. Außerdem trägt sie neben den israelischen Siedlungen samt ihren Sonderstraßen dazu bei, das Westjordanland zu zerstückeln und damit als Grundlage für einen selbständigen palästinensischen Kleinstaat untauglich zu machen.
Trotz des schlechten Gewissens freuen wir uns, dass Freundin H. uns noch Ramallah zeigen will, ehe sie uns in Ost-Jerusalem zum Hotel bringen wird. Bethlehem liegt südlich, Ramallah nördlich von Jerusalem. Als Gäste von Freundin H. durchqueren wir einfach das Gebiet von Groß-Jerusalem, das Israel bald nach dem Sechstagekrieg von 1967 unter Missachtung des Völkerrechts geschaffen hat, indem es erobertes Land annektierte. So gelangen wir, auch immer wieder an Teilstücken der Mauer entlang, trotz eines Autostaus in knapp einer Stunde nach Ramallah. Ein Palästinenser, der mit dem Auto von Bethlehem nach Ramallah fahren will, muss einen mindestens doppelt solangen Weg nehmen. „Gefangene im eigenen Land“.
Grabmal des verstorbenen Palästinenserführers Jassir Arafat in der Mukatta zu Ramallah.
Wie stark ist doch dieses Ramallah in den letzten Jahren gewachsen! Zusammen mit dem früher eigenständigen Nachbarort al-Bireh hat es fast die 100.000 Einwohner erreicht. Die vielen Hügel der Stadt sind endlich einmal nicht von israelischen Siedlungen besetzt, sondern von Neubauten palästinensischer Eigentümer, wobei die architektonische Gestaltung nicht in jedem Fall den besseren Eindruck macht als die der Siedlungen. Man spürt, dass Ramallah seit 1995 Sitz der Autonomiebehörde der Palästinenser ist, das Zentrum der von Israel entliehenen Macht. Da die Behörde gleich die Fiktion einer eigenstaatlichen Struktur bieten wollte, ließ sie Ministerien bilden und baute diesen auch Bürohäuser. Die Vertreter ausländischer Mächte ließen sich in Ramallah nieder, ebenso internationale Hilfsorganisationen und zahlreiche NGO’s (Non Governemental Organisations). So floss natürlich viel Geld nach Ramallah, besonders als noch die Illusion herrschte, dass bald nach der Unterzeichnung neuer Abkommen (Oslo II) zwischen dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Yizak Rabin und dem PLO-Chef Jassir Arafat die palästinensische Eigenstaatlichkeit kommen würde. Doch Rabin wurde rund fünf Wochen nach der Unterzeichnung (am 4. Nov. 1995) von einem Anhänger der israelischen Siedlerbewegung ermordet und der sogenannte Friedensprozess wurde immer langsamer, bis er schließlich ganz stecken blieb.
Im März/April 2002 kam sogar der israelisch-palästinensische Krieg wieder nach Ramallah zurück. Damals war Ariel Scharon israelischer Ministerpräsident. Dieser Haudegen glaubte, er könne die auf dem Höhepunkt befindliche zweite Intifada dadurch beenden, dass er Arafat töten oder mindestens wieder in ein Exil abschieben lässt. Scharon ließ Arafat monatelang in der Mukatta, einem Kasernenkomplex in Ramallah aus der britischen Militärzeit, belagern. Kein Zweifel, dass die Israelis den Amtssitz Arafats hätten stürmen können, denn seine Leibwächter hätten sich mit leichten Waffen gegen Panzer, Geschütze und Kampfhubschrauber verteidigen müssen. Scharon hätte auch die Mukatta so zusammenschießen lassen können, dass Arafat schließlich tot unter den Trümmern des Hauptquartiers gelegen hätte. Aber so ganz sicher war man auf israelischer Seite nicht, wie der amerikanische Partner diese offenkundige Mordtat aufnehmen würde. So zerstörte man den größten Teil der Mukatta und ließ den im Inneren versteckten PLO-Chef, mit dem Yitzak Rabin 1995 einen Friedensschluss vorverabredet hatte, auf engstem Raum leben. Im Herbst 2004 erkrankte Arafat ernstlich, wurde mit israelischer Genehmigung nach Paris ausgeflogen und starb dort am 11. Nov. 2004.
Am nächsten Morgen in Jerusalem warten auf Freundin H., denn wir wollen den letzten vollen Aufenthaltstag für einen Besuch in Nablus und Jenin nutzen. Doch die Verabredung platzt. Gestern, etwa als wir uns im zur Zeit friedlichen Ramallah aufhielten, wurden in Nablus drei Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen. Die offizielle Verlautbarung liest sich wie folgt: „A force of undercover Israel Defense Forces troops in Nablus killed three Fatah terrorists who had murdered a settler two days before.“ (Eine Spezialeinheit der Israelischen Verteidigungs Streitkräfte in Nablus hat gestern drei Terroristen der Fatah getötet, die zwei Tage zuvor einen Siedler ermordet hatten.) In derselben Pressemeldung heißt es weiter, die drei Palästinenser seien verdächtig (!), den Rabbi Meir Hai aus der Siedlung Shavei Shomron ermordet zu haben. Die getöteten Palästinenser seien keine jungen Männer, sondern gestandene Familienväter gewesen. Wieder wörtlich. „Therefore, if Israel’s suspicions (!) are correct, this aspect of the attack would be unusual.“ (Sollten sich Israels Verdächte (!) bewahrheiten, wäre das ein ungewöhnlicher Faktor.“) Wie ist das Ganze zu verstehen? Doch wohl so, dass die drei getöteten Palästinenser des Mordes an Rabbi Meir Hai verdächtigt aber noch keineswegs überführt waren. Sie wurden also auf den Verdacht (!) hin von einer israelischen Spezialeinheit erschossen.
Am 28. Dez. findet in Nablus die Beisetzung der drei erschossenen Palästinenser statt. Deswegen muss man mit einer Art Ausnahmezustand in der Stadt rechnen. Überhaupt rät die erfahrene Freundin H. von einer Fahrt in den Norden des Westjordanlandes unter solchen Umständen ab. So entfällt auch Jenin, auf das Edith sich besonders gefreut hat. Doch es gibt einen Trostpreis. Am späten Nachmittag soll in Jaffa eine Demonstration unter dem Motto „befreit Gaza!“ stattfinden. Daran kann man teilnehmen und sich vorher noch den historischen Teil der alten arabischen Hafenstadt anschauen. Ein Teil der dichtbesiedelten Altstadt hatte allerdings 1936 die britische Protektoratsverwaltung abreißen lassen, weil sie in ihm ein Zentrum des arabischen Widerstandes gegen die zionistische Einwanderung erkannt hatte. In den letzten zwanzig Jahren wurde viele Häuser der restlichen Altstadt restauriert oder renoviert und zu Galerien, Ateliers, Geschäften und Luxuswohnungen umgewandelt.
Wir haben wenig Zeit für den touristischen Teil unseres Besuchs, müssen den Ausgangspunkt der angekündigten Demonstration suchen. Es dämmert schon als wir den von viel Polizei umgebenen Sammelplatz erreicht haben, und es ist dunkel, ehe ein Zug von 300 bis 400 Menschen in Bewegung kommt. Die Teilnehmer sind anscheinend überwiegend israelische Palästinenser, aber auch einige jüdische Israelis sind dabei. So begegnen wir Adam Keller, dem Sprecher der Organisation Gush Shalom (Frieden jetzt). Ein wunderbarer Mensch. Kein junger Mann mehr, scheint er doch unermüdlich zu sein in dem Bemühen, die israelische Friedensbewegung nicht untergehen zu lassen. Zusammen mit Uri Avnery, dem ehemaligen Helmut Ostermann aus Beckum und Hannover, (und zusammen mit einigen zehntausend Juden in Israel, Europa und den USA) verkörpert Keller das andere, das friedenswillige Israel.
Knapp eine Woche vor dem ersten Jahrestag des barbarischen Gazakrieges demonstrieren also 300 bis 400 Menschen (es ist schon dunkel) in Jaffa. Diese Menschen erinnern jetzt daran, dass immer noch rund 1,5 Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen wie in einem sehr restriktivem Gefangenenlager eingesperrt sind. 12 Monate nachdem die israelische Luftwaffe dort schwerste Verwüstungen anrichtete und rund 1.400 Palästinenser einen gewaltsamen Tod starben, toleriert es die Weltgemeinschaft, dass Israel keine substanzielle Aufbauhilfe in den seit 1948 immer wieder geschundenen Gaza-Streifen einbringen lässt. Wie lange noch? Unglaublich! Dass wir unbehelligt zusammen mit den Einheimischen demonstrieren können, erleichtert uns etwas die Bürde der Erinnerung an das damals noch intakte Gaza. Edith und ich hatten es erstmalig gemeinsam 1993 besucht und dort gute Freunde gefunden.
29. Dez.:
Heimreise Tel Aviv – Köln ohne besondere Vorkommnisse.
Nachschrift:
In den ersten Tagen des neues Jahres bemühten sich 1400 Friedensaktivisten aus aller Welt, die israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Sie nahmen große Strapazen, Gefahren und Zusammenstöße mit der ägyptischen Polizei inkauf und erzielten schließlich einen Teilerfolg. Wenigstens ihr Hilfskonvoi konnte in den Gazastreifen einfahren und wertvolle Hilfsgüter einbringen. Hochachtung den Friedensaktivisten! Allerdings löst der Teilerfolg nicht das Problem. Jeden Tag müssten große Mengen an Hilfsgütern und Aufbaumaterialien von Israel und Ägypten aus in den Gazastreifen geliefert werden, um die Menschen dort wieder mit mehr als dem Überlebensminimum auszustatten. Israel hält jedoch die Blockade aufrecht. Ägypten ist gerade dabei, bei Rafah Stahlschilde in die Erde einzurammen, die den Palästinensern den Bau unterirdischer Schmuggeltunnels unmöglich machen sollen. Anscheinend handelt es sich um eine Absprache zwischen Kairo und Tel Aviv, den Menschen im Gaza-Streifen solange das Leben zu erschweren, bis sie die im Westen verhasste islamische Hamas-Regierung stürzen. Ein zynisches Spiel, das so nicht zum Erfolg führen wird.
Ebensowenig ist Erfolg für den neuesten amerikanischen Ansatz zu erwarten, wieder Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern zu fordern und zwar ohne jede Vorbedingung. Israel hat im Mai 2003 die sogenannte road map for peace gegenüber den USA, der Europäischen Union und Russland angenommen. Als Voraussetzung für den Beginn des Marschs zum Frieden war der Abbau mindestens der „illegalen Siedlungen“ in den besetzten Gebieten (alle Siedlungen sind nach internationalem Recht illegal) vereinbart worden. Darauf warten die Palästinenser immer noch vergeblich. So durfte jetzt der palästinensische Leiter früherer Verhandlungen, Saeb Erekat, zu Recht sagen: „Warum sollten wir Verhandlungen ohne Vorbedingungen über die Grenzen eines palästinensischen Staates führen, dessen Territorium durch den Bau weiterer Siedlungen aufgezehrt wird?“
Peter Wald, im Januar 2010