Viele Mitschuldige an einem der schwersten Giftgasverbrechen, im kurdischen Halabscha, bleiben ungeschoren und die leidenden Opfer warten vergeblich auf Entschädigung
von Birgit Cerha
Mehr als zwei Jahrzehnte, nachdem das schwerste Giftgasverbrechen an einer Zivilbevölkerung die nord-irakische Kurdenstadt Halabscha heimgesucht hatte, wurde Sonntag der Hauptverantwortliche für dieses gigantische Gräueltaten, Ali Hassan al Madschid – Vetter Saddam Husseins und eine der Schlüsselfiguren dieses despotischen Regimes – zum Tode verurteilt. Von den Kurden „Chemie-Ali“ oder „Schlächter Kurdistans“ genannt, war einer der skrupellosesten und gefürchtetsten Stützen des Diktators. Er „repräsentierte das Schlimmste des irakischen Regimes, und das heißt viel“, charakterisierte Kenneth Roth von „Human Rights Watch“ diesen Mann, der eine entscheidende Rolle „im Genozid von 1988 ( an den Kurden) gespielt hatte und die Verantwortung für andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit trägt“.
Als das irakische Sondertribunal zur Aburteilung der Verbrecher des saddam’schen Regimes Sonntag in Bagdad nach langen, auch im Fernsehen übertragenen Anhörungen das Todesurteil verkündete, verhehlten Angehörige der Halabscha-Opfer im Gerichtssaal ihre Genugtuung nicht. Es mag ein kleiner Trost für diese Menschen sein, die seit mehr als zwei Jahrzehnten vergeblich auf Gerechtigkeit, Mitgefühl und effizienten Beistand in einer immer noch verzweifelten Lage hoffen.
Es ist das vierte Todesurteil gegen Madschid, der bereits wegen seiner Verantwortung für die Verbrechen der „Anfal“-Kampagne“ – der brutalen Vernichtungsfeldzüge der irakischen Armee an den Kurden, denen etwa 180.000 Menschen, überwiegend Zivilisten, von 1986 bis 1989 zum Opfer gefallen waren – zur Höchststrafe verurteilt worden war, sowie wegen besonders grausiger Repressionen an Schiiten im Süd-Irak und in Bagdad in den 90er Jahre. Die Kurden hoffen nun auf eine rasche Exekution. Madschid kann noch Berufung gegen das Urteil, das schließlich vom dreiköpfigen Präsidentschaftsrat unter Führung des kurdischen Präsidenten Jalal Talabani bestätigt werden muss.
Die Beweise seiner Hauptschuld waren erdrückend. Als Generalsekretär des nördlichen Büros der herrschenden Baath-Partei hatte Madschid von März 1987 bis April 1989 Befehlsgewalt über alle staatlichen Behörden in der Kurdenregion, sowie über das erste und fünfte Armeekorps, das Oberste Sicherheitsdirektorat und den militärischen Geheimdienst. In dieser Zeit, im März 1988, kreisten irakische Jets über Halabscha und besprayten die Zivilbevölkerung mit einer tödlichen Mischung der Nervengase Tabun, Senfgas, Sarin und VX. Drei Viertel der Toten – mindestens 5000 - waren Frauen und Kinder. Es war eine Racheaktion wegen kurdischer Hilfe für die iranische Armee, die in diesen letzten Monaten des achtjährigen Krieges zwischen beiden Ländern dem irakischen Kriegsfeind die Eroberung Halabschas und anderer Grenzgebiete ermöglicht hatte. Unverhohlen hatte Madschid den Massenmord mit den in einem 1988 aufgenommenen Audiotape angekündigt: „Ich werde sie mit chemischen Waffen töten. Wer wird etwas dagegen sagen? Die internationale Gemeinschaft? Scheiß auf sie – die internationale Gemeinschaft und jene, die auf sie hören.“
Tatsächlich blieb die Reaktion der westlichen auf dieses gigantische Verbrechen mehr als mager, denn der ölreiche Irak war ein wichtiger Handelspartner und Bollwerk gegen die expansionslüsterne „Islamische Republik“. Und die Sowjets bezeichneten Behauptungen über dieses Verbrechen als reine westliche Propaganda gegen ihren „Bruderstaat“.
Einige westliche Staaten nahmen Verwundete zu medizinischer Betreuung auf. Doch die Hilfe blieb bescheiden. Die Bewohner Halabschas, das in den drei Kurdenprovinzen liegt, die von 1991 bis zum Sturz Saddam Husseins 2003 unter amerikanisch-britischem Schutz standen, leiden bis heute unter gravierenden Folgen des Giftgases. Dazu zählen schwere Erkrankungen der Atemwege, gravierende Augenleiden, Unfruchtbarkeit, Missbildungen bei Neugeborenen und an dramatischer Anstieg von Leukämie. In Fällen von Senfgasverseuchung etwa nehmen die medizinischen Probleme mit der Zeit nicht nur nicht ab, sondern stetig zu, solange der Betroffene lebt. Zudem hat das Gas auch die Umwelt verseucht. Hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Gesundheitsversorgung und mangelhafte Hygiene machen der Bevölkerung bis heute noch zusätzlich zu schaffen.
Hinzu kommt gravierend das Schweigen der Welt. Außer Gedenkveranstaltungen fanden sich im Westen nur einige humanitäre Organisationen zur Hilfe an die Opfer bereit. Die Frage der Mitverantwortung westlicher Regierungen und westlicher, vor allem auch deutscher, Firmen, ohne deren Exporte der Irak sein chemisches Waffenarsenal gar nicht hätte aufbauen können ist striktes Tabu. Saddam Hussein wurde im Dezember 2006 rechtzeitig noch rasch in Bagdad exekutiert, bevor er eine Liste von Lieferanten bekannt geben konnte. Einzige Ausnahme bleiben die Niederlande, wo der Geschäftsmann Franz van Anraat 2005 wegen seiner Exporte an Chemikalien für Saddams Gasprogramm zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt worden war.
Sonntag, 17. Januar 2010
IRAK: Viertes Todesurteil für Iraks „Chemie-Ali“
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen