Unterentwicklung, Korruption, Mismanagement und Kriege treiben das ärmste arabische Land in den Untergang - Lassen sich der Jemen und sein gequältes Volk noch retten?
von Birgit Cerha
Ganze zwei Stunden beraten heute, Mittwoch, hohe Vertreter aus 21 Ländern in London über eine Strategie, um die westliche Welt vor der wachsenden Terrorgefahr zu retten, die ihr aus dem Jemen, dem zunehmend attraktiven Tummelplatz der Al-Kaida, droht. Aber für einen Nachmittagstee sollen die besorgten Delegierten noch Zeit finden. Der nur knapp fehlgeschlagene Anschlag auf ein amerikanisches Flugzeug in Detroit am 25. Dezember, den der jemenitische Al-Kaida-Flügel geplant hatte, schreckt die internationale Gemeinschaft auf. Dabei steht der Jemen, eines der ärmsten Länder der Welt, schon seit vielen Monaten ganz knapp am Rande des Abgrunds. In seinem Chaos finden gewalttätige Fanatiker eine weitgehend sichere Heimstätte und regen Zulauf.
Am Vorabend der Londoner Konferenz warnte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) eindringlich davor, sich in London keineswegs nur auf die Sicherheitsgefahren zu konzentrieren, die aus dem Jemen drohen. Dann nämlich wäre jede Hilfe von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Noch nie war die Lage des krisengeschüttelten Landes so verzweifelt wie heute. Eine extrem schwache und tief korrupte Zentralregierung kontrolliert nur noch einen Bruchteil des Landes, während im Süden die Schar der Sezessionisten wächst, die Wirtschaft zusammenbricht, die Öl- und vor allem auch die Wasserquellen versiegen und eine hoffnungslose Jugend im islamischen Extremismus Trost sucht. Doch jede Hilfe für das Land müsse wirkungslos versiegen, warnt das IKRK, wenn die internationale Gemeinschaft sich nicht endlich der gravierenden humanitären Katastrophe zuwendet, die mindestens 150.000 Menschen im Norden schon seit Monaten in Obdachlosigkeit, Hunger und Verzweiflung treibt. Der Krieg zwischen der von Saudi-Arabien unterstützten Zentralregierung und den sich gegen Diskriminierung wehrenden schiitischen Zaidis unter Abdul Malek al Houthi hat Zehntausende von jeder Hilfe abgeschnitten. Niemand kennt das Ausmaß ihres Leidens. Eine Fortsetzung des Konflikts würde jegliche Stabilisierungsversuche des Landes sinnlos machen.
Jemens Krisen freilich haben ein derart dramatisches Ausmaß erreicht, dass es schier unmöglich erscheint, sinnvolle Prioritäten zu setzen. Auch mit einer Steigerung der Hilfe um 400 Prozent, die etwa das bisher großzügigste Geberland, Großbritannien, für die nächsten fünf Jahre verspricht (auf 83 Mio. Dollar pro Jahr) ist keine entscheidende Besserung zu erwarten, und schon gar nicht mit der von Washington zugesagten Verdoppelung der Militärhilfe auf 120 Mio. Dollar, bei einer gleichzeitigen zivilen Hilfe von 24 Mio. Dollar (1,6 Dollar pro Kopf).
Wo aber sollte begonnen werden?
Das wegen seiner einst so blühenden Landwirtschaft von den Römern gepriesene „Arabia felix“ vegetiert heute in verzweifelter Armut mit einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 600 Dollar, einer Arbeitslosigkeit von 40 Prozent. Ein ebenso hoher Prozentsatz der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, muss täglich mit weniger als zwei Dollar auskommen. Die Unterernährungsrate von Kindern zählt zu der höchsten der Welt, während täglich fünf Millionen
der etwa 23 Millionen Jemeniten hungrig zu Bett gehen. Im Mai warnte die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, dass eine wachsende Zahl von Jemeniten sich nur noch eine Mahlzeit pro Tag leisten könnten. Zugleich treibt eine völlig unterentwickelte Infrastruktur die Menschen in Verzweiflung, das katastrophale Gesundheitssystem ebenso wie der Bildungssektor. Die Hälft der Erwachsenen-Bevölkerung kann nicht lesen und schreiben, unter den Frauen erreicht die Rate gar 70 Prozent.
Ein ungehemmtes Bevölkerungswachstum von 3,4 Prozent verschlingt jeden möglichen ökonomischen und sozialen Aufschwung. Nach Schätzungen wird sich die Bevölkerung in den nächsten zwei Jahrzehnten fast verdoppeln. Misswirtschaft, himmelschreiende Korruption und Kriege sind eine der Ursachen für die verzweifelte Lage des Landes. Sogar die jemenitische „Kontroll- und Auditing-Behörde“ gesteht ein, dass 30 Prozent der staatlichen Einkünfte nie in Regierungskonten landen. Präsident Saleh pflegt seit Jahrzehnten seine Position durch Nepotismus und Bestechung gegen die mächtigen Stämme abzusichern. Zunehmend vergeblich, da die Ölquellen versiegen und die internationale Hilfe in den vergangenen Jahren schrumpfte. Derzeit liefern Ölexporte 75 Prozent der staatlichen Einkünfte. Damit könnte es aber schon in zehn – manche Experten befürchten sogar in fünf – Jahren vollends vorbei sein.
Während Saleh sich auf kriegerische Auseinandersetzungen konzentriert und mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Kriegskassen fließen lässt . die siebenthöchste Rate der Welt – sind ein Drittel der offiziell mit 100.000 Mann angegebenen Streitkräfte „Geister-Soldaten“, die entweder nicht existieren oder nie zum Dienst erscheinen. Ihre „Kommandanten“ beziehen aber Gehälter und verkaufen die zugedachten Waffen und andere Güter, wie Treibstoff, auf dem Schwarzmarkt. Westliche Geberländer wollen denn auch großzügigere Hilfe an effektive Reformen knüpfen.
Doch der Schlüssel zur Stabilisierung des Landes liegt in der Landwirtschaft, die heute nur noch 25 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs zu decken vermag, obwohl 43 Prozent der arbeitsfähigen Männer Bauern sind. Doch sie konzentrieren sich auf den Anbau der milden Biodroge Kat, der 80 Prozent der Bevölkerung verfallen sind und die ohne große Mühe rasch sechsmal so hohen Ertrag einbringt als die Produktion von Getreide und anderen Nahrungsmitteln. Nicht nur lähmt der Kat in katastrophaler Weise die Produktivität der Menschen, er verschlingt auch riesige Mengen von Wasser. Seit Jahren sinkt deshalb der Grundwasserspiegel um jährlich zwei Meter. Viele Quellen drohen vollends zu versiegen und schon befürchtet man, Sanaa werde bald einen zweifelhaften Rekord als erste Hauptstadt der Welt ohne Wasser aufstellen.
Die internationale Gemeinschaft sollte nach Ansicht von Experten raschest Strategien entwickeln, um Jemens Bauern die Umstellung der Produktion von Kat auf Nahrungsmittel attraktiv zu machen. Eine entscheidende Rolle kommt vor allem aber auch den reichen Nachbarn am Persischen Golf zu, die seit Salehs Unterstützung für den Iraker Saddam Hussein den Jemeniten weitgehend ihren Arbeitsmarkt versperren und damit Zehntausende Familien der Basis für ihre Existenz berauben. Eine Jugend ohne Perspektive finden leicht Trost in radikalen Ideen und ist offen für jedes auch noch so kleine finanzielle Trostpflaster.
Dienstag, 26. Januar 2010
JEMEN: Die neue Front gegen Al-Kaida
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