Donnerstag, 8. Oktober 2009

Birgit Cerha: Kulturelle Morgenröte über dem Golf

Ein Bildungsboom soll die Basis für eine fruchtbare Zukunft ohne Öl schaffen – Doch traditionalistische Kräfte bremsen den Aufbruch

Einst, vor gar nicht so langer Zeit, als das „schwarze Gold“ noch unberührt unter den Wüstenböden schlummerte und die Beduinen der Arabischen Wüste ein hartes Dasein fristeten, da hockten die Menschen im rötlichen Schein der untergehenden Sonne beisammen und frönten ihrer Liebe zu Reimen und Versen. Unterdessen hat der Ölsegen, haben die riesigen Beton- und Stahlbauten, die auf breiten Autobahnen dahinbrausenden Luxuslimousinen, hat ein ungehemmter Konsumrausch diese alte Tradition erstickt. Die Liebe zur Poesie aber schlummert weiter in den Herzen der Menschen Aufgeklärte Herrscher versuchen sie heute zu neuem Leben zu erwecken.

Ein Bildungsboom ohne gleichen hat die arabische Golfregion erfasst. Inmitten des Überflusses haben die Ölscheichs Wissen und Kultur entdeckt und setzen in diese hohen Werte all ihre Hoffnungen auf ein fruchtbares Dasein in einer mancherorts schon all zu bald anbrechenden Zukunft ohne Öl, in einer von Jugend dominierten Welt, in der bis zu 60 Prozent der heimischen Bevölkerung unter 21 Jahre alt ist. So springen in fast allen Hauptstädten am Persischen Golf einzigartige Kultur- und Bildungszentren aus dem Boden. Nach dem Guggenheim-Museum und dem Louvre ziehen auch deutsche Museen in die Ölreiche. Gegenseitig konkurrenzieren sich die Herrscher mit Festivals aller Art, von Theater, über klassische Musik, Film bis zur Poesie. Oman baut für sein vor einigen Jahren gegründetes Orchester ein Opernhaus, Katar eröffnete ein elegantes Museum für islamische Kunst und Bahrain hofft durch die Errichtung eines Theaterkomplexes von Weltklassenniveau von der UNESCO 2011 zur „Arabischen Kulturhauptstadt“ gekrönt zu werden.

Die Ölmonarchen nahmen sich einen alarmierenden Bericht internationaler Institutionen, wie der Weltbank zu Herzen, der einen Besorgnis erregenden Bildungsabfall, eine Analphabetenrate feststellte, die weit über jener Asiens und Lateinamerikas liege. Die Bildungssysteme auch in den reichen Golfstaaten brächten keine Absolventen hervor, die den Bedürfnissen des Marktes gerecht würden. Auch arabische Wissenschafter, wie der prominente Jordanier Raja Kamal, ziehen energisch gegen die Lehrmethoden und den niedrigen Standard von Schulen und Universitäten selbst in den ölreichen arabischen Ländern zu Felde. Vor allem: „Die überwältigende Mehrheit der Universitäten lehren ihre Studenten was sie und nicht wie sie lernen sollen.“

Doch hoffnungsvoller Wandel hat eingesetzt. In nur fünf Jahren haben die Golfstaaten 22 Mrd. Dollar springen lassen, um Forschungs- und Bildungsinstitutionen höchsten internationalen Standards, insbesondere in den Bereichen der Technik, Energie, Umwelt, Medizin und Wirtschaft, in ihre lange so steril wirkenden glitzernde Reiche zu locken. Mehr als 15 private Universitäten öffneten seither ihre Tore und viele mehr sind geplant. Dubai protzt mit einem eigenen „Knowledge Village“. Hoch angesehene amerikanische, britische, französische und deutsche Universitäten richten hier ihre Dependancen ein und Katar will gar seine „Education City“ zu einer Bildungsdrehscheibe für die gesamte islamische Welt hochziehen. Höchsten Wert legt man dabei auf die für die Region bisher unbekannte Lernkultur: Förderung der Kreativität und selbständiges Arbeiten anstelle von Auswendiglernen.

Selbst das in diesem Wettlauf nachhinkende Saudi-Arabien ließ eben durch die Eröffnung der „King Abdullah University of Science and Technology“ aufhorchen, die als Elite-Forschungs-Institution in enger Partnerschaft mit ausländischen Lehranstalten konzipiert ist.

Doch sind diese hohen Ziele von „internationalen Drehscheiben des Wissens“ bis zum Aufbau einer „wissensbasierten“ heimischen Gesellschaft nichts als eine „Fatamorgana“, wie manche Skeptiker meinen? Noch ist ein nachhaltiger Erfolg keineswegs garantiert. Ein genauerer Blick auf die Fülle von kulturellen und bildungspolitischen Initiativen aufgeklärter Herrscher am Golf weckt Hoffnungen, läßt aber auch ein fatales Verharren in festgefahrenen Strukturen erkennen, die den so ehrgeizig gesetzten Entwicklungszielen, dem Wunsch nach einer Umkehr des verhängnisvollen „Brain Drain“ bedrohlich im Wege stehen.

Der Ausgang einer heftig tobenden politischen und intellektuellen Debatte über den Zwang zur „Modernisierung kontra Authentizität“ einer in uralten Stammesstrukturen verwurzelten Kultur und Tradition ist immer noch höchst ungewiss. Dieser Konflikt nimmt häufig bizarre Formen an und steigert mancherorts, insbesondere in Saudi-Arabien oder Kuwait, die Frustrationen der jungen Generation.

Einige Beispiele mögen das Ausmaß der Problematik illustrieren. In Saudi-Arabien erregt die von staatlichen Medien als „Sprung in die Zukunft“ gefeierte King Abdullah University Aufsehen, weil sie als erste Institution des Königreiches Koedukation der Geschlechter zulässt. Darauf – und nicht auf die entscheidenden wissenschaftlichen und intellektuellen Aspekte – konzentriert sich die Diskussion. So manche Vertreter der mächtigen islamisch-wahabitischen Gelehrten fordern die Einsetzung eines „religiösen Komitees, das die Vereinbarkeit der Lehrpläne mit der Scharia (dem islamischen Recht) überprüft. „Vermischung der Geschlechter ist eine große Sünde und von großem Übel“, wettert etwa Scheich Saad al Shethi und junge Intellektuelle befürchten, auch diese jüngste Initiative des Königs könnte, wie zahlreiche andere Reformen und Modernisierungsversuche kläglich im Sand verlaufen. Denn, „das freie Denken existiert hier nicht und Widerspruch gegen den königlichen Willen ist tabu“, analysiert Ahmed al-Omran, Student an der Universität von Riad, in seiner Website „Saudi Jeans“. Shetis Forderung sei ebenso beklagenswert, wie die Tatsache, dass er unmittelbar danach per königlichem Dekret aus dem Rat führender Geistlicher geworfen und damit zum Schweigen gebracht wurde.

Zwar setzen sich saudische Schriftsteller und Intellektuelle mit größerem Mut für eine stärkere Förderung der Kultur und Wissenschaft ein. Die vor einigen Jahren vom Kulturministerium in zwölf Städten des Königreiches gegründeten Literaturclubs weckten zunächst große Hoffnung auf einer Neubelebung und Verjüngung der Literaturszene. Doch die Ultras und ihre geistlichen Hintermänner gewannen die Oberhand, verbannten Frauen aus Führungskreisen, ja der Präsident eines dieser Clubs erhielt gar Todesdrohungen, weil er eine prominente saudische Poetin zu einem Vorlesungsabend eingeladen hatte. Der Geist der Ultras, die sich von der Kultur der Welt abschirmen, bestimmt den Ton und kreative Frauen, viele begabte junge Saudis haben sich längst von den Clubs abgewandt. „Schreibt euren eigenen Blog“, um mit Hilfe des Internets die öffentliche Meinung zu beeinflussen, lautet die Empfehlung einer saudischen Dichterin.

Ähnliche Schicksale erleiden Organisationen der Zivilgesellschaft, die in den vergangenen Jahren in allen Golfstaaten aus dem Boden sprangen. Unabhängigkeit dieser Institutionen wird von den Regimes nicht geduldet und politisches Ziel noch weniger. Ohnedies wird die große Mehrheit dieser Gruppen von Mitgliedern der führenden Elite entweder direkt gegründet oder schließlich unter deren Einfluß gezwungen, in Saudi-Arabien ebenso, wie im liberaleren Dubai, Abu Dhabi oder Katar. Politischer Dissens, Kritik an den autokratischen Herrschern wird bis heute am Golf nicht geduldet. Menschenrechtsaktivisten gelten als „Sicherheitsrisiko“. Trotz der scheinbar liberalen Bildungsatmosphäre werden Publikationen streng zensuriert. Selbst in Dubai müssen alle Lehrbücher auf die Moralvorstellungen dieses islamischen Landes, in dem die Einheimischen nicht einmal ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen, zu überprüfen. Jedes importierte Medium wird streng auf eventuelle Verstöße gegen Moral und Wertvorstellungen kontrolliert. In Kuwait werden etwa 50 Prozent der importierten Filme verboten, Saudi-Arabien erlaubt überhaupt keine Kinos.

Die Jugend ist verwirrt, gefangen in tiefgreifenden Widersprüchen zwischen einer Politik, die sie vielfach ablehnen, einem traditionalistischen, religiösen Establishment auf der einen Seite und all dem über Internet und Satellitenfernsehen, sowie den regen Kontakt mit der Außenwelt auf sie eindringenden Wissen.

Doch insbesondere an Orten wie Katar, Bahrain oder den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ist die Hoffnung auch unter der wissenshungrigen Jugend auf einen nicht mehr zu stoppenden kulturellen Aufbruch nicht verflogen. Kleine Fortschritte lassen sich immerhin erkennen. Die Position der Frauen ist dafür ein Indikator. Selbst der bis heute stark anhaltende gesellschaftliche Widerstand gegen öffentliches, insbesondere politisches Engagement von Frauen konnte nicht verhindern, dass Mädchen voll in den Bildungsprozess integriert sind und teilweise sogar mehr als 70 Prozent der Universitätsstudenten stellen. In den VAE bekleiden Frauen sogar 66 Prozent der Regierungsstellen, 30 Prozent davon mit Entscheidungsgewalt. In den Emiraten gibt es heute bereits mehr als 10.000 Unternehmerinnen, die Investitionen in Höhe von über vier Mrd. Dollar jonglieren. Eine eigene Firma zu gründen, gilt für junge Akademikerinnen als besonders attraktiv, weil sie sich damit auch in der Gesellschaft emanzipieren. Schon sind unabhängige Ökonomen davon überzeugt, dass Frauen die wirtschaftlichen Führungskräfte der Zukunft stellen werden.

Ein Licht am restriktiven Meinungshorizont des Persischen Golfes bilden die vom britischen BBC geleiteten „Doha Debates“, eine Lieblingsinitiative der hochengagierten zweiten Frau des Emirs von Katar, Mozah Bint Nassser als Missned. Achtmal im Jahr diskutieren hier Experten mit 350 geladenen Studenten, überwiegend aus den Golfstaaten, über kontroverse Themen, frei von Zensur. Häufig werden hier auch radikale Ansichten präsentiert. „Die Diskussionen“, so spricht eine Studentin weitverbreitete Gefühle aus, habe sie Dinge größter Bedeutung gelehrt. „Ich habe gelernt, nicht rasch zu urteilen, sondern mit Reife und Logik zu reflektieren, nicht rasch Ansichten zu akzeptieren, sondern nach Beweisen zu fragen.“ Die Doha-Debates, das einzige Diskussionsforum dieser Art im gesamten Mittleren Osten, spielen eine entscheidende Rolle in dem Bemühen, Konflikte nicht mit Gewalt, sondern durch die Macht des Wortes zu lösen.

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