Montag, 28. September 2009

IRAN: Was geschah im Iran?

Die wahrscheinlich gefälschten Wahlen in Iran haben die innenpolitische
Lage in der Islamischen Republik insofern geklärt, als sie die Standpukte der politischen Kräfte sehr klar umrissen haben. Seitdem diese bekannt sind, vor den Wahlen waren sie eher verschleiert, kann man sich auch ein Bild davon machen, was die führenden Kräfte denken; in anderen Worten, wie sie ihre eigene Lage und Aussichten einschätzen und welche ihre wichtigsten Ängste sind.


Es war in erster Linie der Herrschende Gottesgelehrte, Khamenei, der vor den Wahlen darauf bedacht war, seine eigene Meinung zurückzuhalten und die bestehenden Kräfte gegeneinander auszuspielen. Dies gewiss in der Absicht, seine eigene dominierende Position zu behaupten und womöglich weiter auszubauen. So kam es vor, dass Khamenei Präsident Ahmedinejad leicht tadelte und sich von ihm zu distanzieren schien. Doch es war auch zu beobachten dass er ihn dann wieder stark unterstützte.

Entscheidungszwang durch die Wahlen

Die Wahlen, so wie sie sich abspielten, haben dann klar gemacht, wo Khamenei in Wirklichkeit stand: nämlich auf Seiten des Präsidenten. – Warum trat er hinter ihn? Entweder, weil er seiner ideologischen, höchst radikalen Linie zustimmte, oder weil er sich gezwungen sah zwischen dem Präsidenten und seinem Lager zu wählen. Das hier angesprochene Lager Ahmedinejads ist primär durch die Revolutionswächter gegeben (englische Abkürzung IRGC). Dass Khamenei sich ideologisch voll mit dem stets radikal ausgerichteten Präsidenten identifizierte, scheint wenig glaubhaft. Schon wegen den Reservationen, die er gelegentlich ihm gegenüber zum Ausdruck brachte, aber auch wegen der sichtbaren Hyperbolik, die dem Präsidenten als sein demagogisch ausgerichtetes Markenzeichen dient. Khamenei ist kein Draufgänger wie „sein“ Präsident.

Die Angst vor der Gegenrevolution

Wenn die zweite Alternative zutrifft, muss man sich fragen, was Khamenei bewogen hat, die Seite des Präsidenten, und der hinter ihm stehenden Revolutionswächter, zu ergreifen. Der wichtigste Erklärungsansatz liegt wahrscheinlich im Bereich der iranischen Innenpolitik. Wer das Geschehen in Iran zurückverfolgt, erkennt leicht, dass die Unruhen vom Juli 1999 einen Wendepunkt darstellten. Der vorausgegangene Sieg des Reformkandidaten, Präsident Khatami, in den Präsidentenwahlen mit über 60 % aller Stimmen, kombiniert mit den Studentendemonstrationen, an denen sich auch die Stadtbevölkerung von Teheran zu beteiligen begann, muss den eigentlichen Machthabern, - Khamenei, Revolutionsgarden und Sicherheitskräften, sowie konservativen Islamischen Radikalen, damals voll solidarisch mit Khamenei--, klar gemacht haben, dass sie den Wahlen und den sich durch sie manifestiereden Wünschen der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr freien Lauf gewähren konnten, wenn sie ihre Machtposition bewahren wollten.

Sie hatten natürlich kein Interesse daran, diese Erkenntnis öffentlich zu proklamieren. Doch die Massnahmen, die sie trafen, sprachen für sich. Khamenei persönlich schränkte die Handlungsspielräume der Parlamentarier ein. Die von ihm indirekt ernannten und ausgewählten Richter schritten systematisch gegen die Pressefreiheit ein, die Präsident Khatami zu fördern suchte. Die Parlamentswahlen von Februar 2000 führten nocheinmal zu einem Sieg der Reformwilligen und auch Khatami wurde im Juni 2001 wiedergewählt. Im Juni 2003 gab es nochmals Studentendemonstrationen. Doch die Parlamentswahlen von 2004 wurden massiv „gesteuert“, indem die Vorauswahl der Kandidaten viel riguroser als je zuvor eine gewaltige Zahl von Reformkandidaten ausschaltete. Es gab neben den gerichtlichen noch andere weniger institutionelle Massnahmen, die auch zur Niederhaltung des auf Reform hoffenden Volkswillens beitrugen, etwa die massiven Drohungen, die Kommandanten der Revolutionswächter – natürlich völlig straflos - gegen Präsident Khatami und die hervorragendsten unter den Reformpolitikern ausstiessen. Sowie die Mordaktionen und die Verfolgungen, denen einige von ihnen schon damals durch Sicherheitsdienste und Geheimdienstagenten ausgesetzt waren.

Als Khatami sein zweites Mandat beendigte, sorgten im Juni 2005 weitere massive Steuerungsmassnahmen dafür, dass kein Reformkandidat sich zur Präsidentenwahl stellen konnte. Sie wurden alle in der Vorauswahl durch den von Khamenei abhängigen Wächterrat ausgeschieden. Die Stichwahl zwischen Rafsanjani und Ahmedinejad wurde dann wahrscheinlich ebenfalls durch Steuerung aus dem Hintergund entschieden. Rafsanjani war jedenfalls dieser Meinung. Dass bei dem Entscheid für Ahmedinejad auch alte Gegensätze, wenn nicht Feindschaften, zwischen Rafsanjani und Khamenei eine Rolle spielten, ist eine Vermutung, die durch die jüngsten Ereignisse mit den Stellungnahmen
Rafsanjanis gegen den Herrschenden Gottesgelehrten, gestärkt wurde.

Der Schein der Überparteilichkeit

Doch bei all diesen Schritten, die der Abwürgung der Reformtendenzen und der Machterhaltung der sitzenden Machthaber dienten, suchte Khamenei den Schein von Überparteilichkeit möglichst zu wahren. Er sorgte dafür, dass durch die Entfernung der Reformpolitiker Freiräume geöffnet wurden, in welche die konservativ islamstischen Minderheitstendenzen der Profiteure und Befürworter des Regimes einfliessen konnten. Sie sollten möglichst als die wahren Vertreter des islamischen Volkes auftreten. Er selbst versuchte sich im Hintergrund zu halten.

Überraschungen bei der Wahlkampagne

Doch die Vorsteuerung der zweiten Präsidentenwahl Ahmedinejads verlief fehlerhaft. Aehnlich wie schon bei den Wahlen von Khatami im Mai 1997 ergaben sich Überraschungen in den letzten Tagen der Wahlkampagne. Der bisher niedergehaltene Willen grosser Teile der Bevölkerung, mehr Freiheit, Mitspracherecht, Selbstbestimmung zu erlangen, drang schärfer durch als erwartet. Er fand die Kanäle, die ihm zur Verfügung standen, indem er sich für die Gegenkandidaten des Präsidenten einsetzte, obgleich diese durchaus altbewährte Politiker der Islamischen Revolution Khomeinis waren. Nur als solche hatten sie die Vorauswahl der Kandidaten überstanden.

Die unerwartete Schärfe der Diskussion in den Fernsehdebatten, zu der das stürmische Temperament Ahmedinejads viel beitrug, beflügelte den Wahlkampf und befeuerte die ursprünglich braven und wenig farbigen Gegenkandidaten, so dass sie scharf replizierten und dabei plötzlich unter der bisher zum Schweigen gezwungenen Bevölkerung laute Zustimmung, Beifall und loyale Gefolgsleute fanden.Die Begeisterung ihrer Gefolgsleute trug dann ihrerseits bei, den Auftritt der Oppositionskandidaten, Mir Hussein Moussawi und Mehdi Kharroubi, in erster Linie, zu stärken. Sie konnten sich
zu recht als die echten Vertreter der gebildeteren und der jüngeren Teile, wahrscheinlich sogar der überwiegenden Mehrheit, der gesamten Bevölkerung einstufen.

Die unerwartete Härte der Vorwahlpolemiken und der laute und zustimmende Widerhall, den die Oppositionskandidaten bei den gebildeten und jungen Iranern fanden, dürften jedoch auf der Gegenseite dazu beigetragen haben, dass das Wahlmanagement durch die von den Machthabern dazu Beauftragten hysterische und improvisierte Züge annahm. Die ausführenden Instrumente, Polizei, Geheimpolizei, Wahlhelfer und „Beaufsichtiger“, griffen sehr grobschlächtig ein, und aus der Wahlsteuerung wurde eine für grosse Teile
der Bevölkerung als solche erkennbare und erkannte Wahlfälschung.

Die Demonstrationen, die dann ausbrachen, waren die grössten, die es in Iran seit der Zeit der Khomeini Revolution gegeben hatte. Schon diese Tatsache musste als ein Alarmsignal auf die herrschenden Kreise wirken. Sie kannten alle aus eigener Erfahrung, damals standen sie auf der Seite der Strassendemonstranten, die gewaltige Kraft, die in solchen Demonstrationen des Volkswillens liegt. So ergab sich für sie die dringende Notwendigkeit, die Demonstrationen so entschieden wie möglich abzuwürgen.

Die Wahl Khamenei’s

Natürlich hätte sich Khamenei –theoretisch – auch für die gegenteilige Haltung entscheiden können; nämlich den Volkswillen zu akzeptieren und die Wahlen wiederholen zu lassen. Doch angesichts der Jahre vorausgegangener Machtkämpfe und der Stellungnahmen des Regimes gegen alle Reformen wäre dies Khamenei wahrscheinlich wenig bekommen. Er befürchtete, schwerlich zu Unrecht, dass ihn der Strom einer jeden Reformbewegung, der er nun freien Weg böte, hinwegfegen würde. In den Jahren Khatamis war ihm nur zu klar geworden, dass die Reformen für die herrschenden Altrevolutionäre wahrscheinlich den Anfang vom Ende bedeuten würden. Dies liess ihm keinen anderen Ausweg, als mit Nachdruck hinter Ahmedinejad zu treten, seine Wahl zu bestätigen, und den Repressionsapparat energisch dafür einzusetzen, dass die Proteste verstummten.

Weitere Fehlgriffe der Behörden

Auch bei diesem Einsatz gegen die Demonstranten, die ihrerseits Morgenluft witterten und ihre Manifestationen harnäckig fortsetzten, gab es Entgleisungen der Repressionskräfte, die weiter gingen als zweckmässig gewesen wäre. Die Schliessung des Foltergefängnisses von Kahrizak durch Khamenei selbst dokumentierte dies deutlich. Doch von solchen Einzelheiten abgesehen wurde sehr klar, dass der herrschende Gottesgelehrte gar keine andere Wahl mehr hatte,und diese Tatsache auch erkannte, als sich hinter die Kräfte zustelllen, die den Status Quo, und damit seine Herrschaft,
verteidigten.

Machtgewinn für die Garden

Der Umstand, dass sie praktisch alleine Khamenei und sein Regime stützten, war den Revolutionswächtern bewusst. Die Bassij Milizen, welche die Hauptarbeit bei der Niederhaltung auf den Strassen leisteten, können politisch gesehen durchaus als ein volkstümlicher Arm der Revolutionsgarden gelten. Die Wächter üben die Aufsicht über sie aus. Der Kommandant der Garde, Generalmajor Muhammed Ali Jaafari, umschrieb die Selbstsicht der Wächter in einer Rede, die am 2. September dieses Jahres veröffentlicht wurde und in der er in Anspruch nahm, das Regime aus der Hand seiner Feinde gerettet zu haben.

Unter Ahmedinejad, schon in seinem ersten Mandat, waren die Wächter eine aufsteigende Kraft im iranischen Staate. Der Präsident selbst entstammt ihren Kreisen und identifiziert sich und sein Regime weitgehend mit ihnen. Die Wächter haben neben den rein militärischen und geheimdienstlichen auch wirtschaftliche Ambitionen entwickelt. Sie bauen ein eigenes Wirtschaftsimperium auf. Dazu gehört auch, aber keineswegs einzig, die Aufsicht über die Atom Anreichungs Industrie. Je unentbehrlicher ihr stützender Arm für das Gesamtregime wird, die Iraner nennen es gerne „das System“, desto mehr dürfte auch ihr politischer Ehrgeiz wachsen. Viele der Minister und der Provinzgouverneure Ahmedinejads gehören zu ihren ehemaligen Offizieren. Dies droht in den Augen vieler der dem Regime zustimmenden Geistlichen Züge einer beginnenden Militärherrschaft anzunehmen, wenn sie gleich vorläufig noch revolutionär islamisch verkleidet sein mag.

Wahrscheinlich sind die gegenwärtig spürbaren Reserven in den Kreisen der geistlichen Ultra-Konservativen und Sympathisanten der Hojatiya gegenüber Ahmedinejad mindestens teilweise auf derartige Bedenken zurückzuführen. Ob Khamenei selbst die Lage völlig zufriedenstellend erscheint, muss offen bleiben. Man kann vermuten, dass er die Gefahren einer wachsenden Abhängigkeit von dem militärischen und Sicherheitsarm seiner
Waffenträger erkennt. Doch bleibt ihm angesichts der Volksstimmung zunächst nichts anderes übrig als sich von diesen Leuten verteidigen zu lassen.

Auswirkungen auf die Aussenpolitik

Diese innenpolitischen Gegebenheiten wirken sich auch unvermeidlich auf die Aussenpolitik Irans aus. Sie zementieren die Linie der Wächter und Ahmedinejads, die darauf ausgeht, Iran zu einer nahöstlichen Vormacht zu erheben, und die zu diesem Zweck einen propagandistischen, politischen und diplomatischen Kampf führen will, der sich primär gegen die bestehende aber im Urteil der iranischen Radikalen angeschlagene Vormacht, Amerika, richtet. Diplomatische Finten sind dabei als Mittel zum Zweck willkommen. Man kann sogar vom Wunsch eines „Ausgleichs mit Amerika“ sprechen. Doch in den Augen der politischen Aktivisten, welche die Wächter und ihre Gesinnungsgenossen zweifellos sind, bedeutet „Ausgleich“ soviel wie „iranische Vormacht“ in einem nahöstlichen Umfeld (Golf oder mehr – auch Jerusalem?) dessen Peripherie auszuhandeln wäre, und auch gegebenen Falls in kleinen Schritten ausgedehnt werden könnte. Das gleiche gälte von den konkreten Vorrechten, die Teheran geltend zu machen bestrebt wäre. Die Frage der Atom Anreicherung aber – wie Khamenei persönlich gerade kürzlich einmal mehr unterstrich – nicht der Atomrüstung. Mindestens vorläufig. Bildet eine wichtige Sparte im Gesamtgefüge dieser Kontestation.

Harte Verhandlungspositionen

Mit Sicherheit kann man daher sagen, die Linie der Revolutionswächter und mit ihr Ahmedinejads, sowie – für den Augenblick mehr oder minder gezwungen - auch die des Herrschenden Gottesgelehrten in den bevorstehenden Verhandlungen mit Amerika düfte auf harte Verhandlungspositionen hinauslaufen; konkret viele Forderungen an Washington und keine oder nur minimale Konzessionen. Dass davon eine Gefahr für Iran, das Regime und seine Träger ausgehen könnte, glauben die Freunde und Förderer Ahmedinejads wahrscheinlich nicht. Natürlich nehmen sie die Drohungen zur Kenntnis, die von den USA ausgingen und von Israel weiter ausgehen. Doch sie glauben, dass Israel alleine nicht wagen kann, sie anzugreifen, und dass Amerika sich auf einen dritten Nahostkrieg einlassen könnte, neben den beiden, die es in beiden Nachbarländern Irans schon führt, glauben sie auch nicht. Schon weil sie der Ansicht sind, es stünde in ihrer Macht, den Amerikanern ein solches Ansinnen gründlich zu vergällen.

Die harte Gesamtlinie in den Verhandlungen dürfte allerdings nicht ausschliessen, dass taktische Finten in der Form scheinbarer Zugeständnisse hier und dort gemacht und dann in dieser oder in jener Form wieder zurück genommen werden. Diplomatische und propagandistische Schlagsahne auf dem Uranhandschuh der Anreicherung wird mit zum Verhandlungsmenu gehören.

Macht und Ideologie

Man kann hinterfragen, wie weit die hier geschilderte reine Machtpolitik das Bewussstsein der iranischen Führung bestimmt. Es ist durchaus denkbar, dass die verschiedenen Machthaber und an der Macht Beteiligten zwar objektiv machtbewusst und machtbestimmt handeln und entscheiden, dass sie aber sich selbst gegenüber allerhand Gründe und Vorwände kultivieren, die ihre Haltung nicht als der eigenen Machterhaltung verpflichtet sondern als im Interesse des Islams, ihres Volkes und der Islamischen Republik Iran stehend rechtfertigen sollen. Das Ausland liefert ihnen viele Elemente derartiger Selbstrechtfertigung. Präsident Bush hat offen den „Regime Wechsel“ im „Schurkenstaat“ Iran befürwortet und sogar mit einigen Millionen Dollars finanziert. Seine Kriegsschiffe, Boykottmassnahmen und Drohreden gaben den Forderungen Nachdruck. Die Reformpolitiker und Demonstranten als Agenten eines solchen vom Ausland her angeregten Regimewechsels anzusprechen, war propagandistisch von Nutzen, sogar wenn die Ankläger, die solche Behauptungen handhabten, wussten, dass die angeblichen „Geständnisse“ in diesem Sinne von gefangenen und misshandelten Reformpolitikern erpresst worden waren. Die Grenzen des propagandistisch Nützlichen und des Wahren verschwimmen leicht im Bewusstsein jener, denen die Propaganda Nutzen verspricht.

Drohungen kamen auch aus Israel. Ihnen begegnete Ahmedinejad durch eine Eskalation der Polemik gegen Israel. Zuerst trug sie Züge des anti-Zionismus; dann artete sie aus in offenen Anti-Semitismus. Das angeblich absolut Böse „der Juden“ dient auch dazu, die eigene harte, angeblich auf dessen Abwehr gerichtete und deshalb „unvermeidliche“,
„vielleicht gewagte, aber jedenfalls mutige“, Position zu rechtfertigen.

Im aussenpolitischen Bereich wird die Lage umso gefährlicher je weniger die iranischen Machthaber in nüchternen Machtfragen und Machtverhältnissen denken und je mehr sie sich Einflüsterungen von ideologisch gefärbter Selbstrechtfertigung hingeben. Denn unter diesen Umständen verschwimmt die Wahrnehmung der realen Machtverhältnissse und ideologisch bedingte Fehlrechnungen treten an ihre Stelle.

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