Donnerstag, 17. September 2009

Arnold Hottinger: Rettet oder verliert Obama den Nahen Osten?

Seitdem Bush durch seinen unverständigen „Krieg gegen den Terrorismus“ die USA nicht nur politisch und wirtschaftlich (dies waren sie schon vorher) sondern auch kriegerisch unrettbar in den Mittleren Osten verstrickt hat, hängt die Zukunft der ganzen Region in erster Linie von Amerika ab. Leider kann man heute nicht mehr über den Nahen Osten und seine Gegenwart und Zukunft nachdenken, ohne die amerikanische Politik als einen hauptsächlichen Bestandteil aller denkbaren Entwicklungen miteinzubeziehen.

Ueber die Zukunft der Region wird heute in Washington entschieden. Zugleich muss man erkennen: falsche Entscheide über die Region, die in Washington getroffen werden, werden in erster Linie schwer vorstellbares weiteres Elend über deren Bewohner bringen, aber auch in zweiter Linie und auf längere Sicht Amerika und den ganzen sogenannten „Westen“ schwer belasten, wenn nicht sogar ins Verderben führen. Aus diesen Gründen ist es unumgänglich, auf die amerikanische Politik zu schauen und sie in Rechnung zu stellen, wenn man versuchen will, die gegenwärtige Lage und die Aussichten der nahöstlichen Länder zu klären (hier sei mit diesem Begriff der ganze islamische Nahe Osten von Libanon bis Pakistan, oder sogar von Marokko bis Pakistan, einschliesslich Afghanistans und Israels, angesprochen).

Amerika hat sich an drei entscheidenen Stellen nicht nur diplomatisch und wirtschaftlich sondern auch militärisch engagiert: in Israel, im Irak und in Afghanistan. Israel rechne ich dazu, weil Washington dort zwar nicht seine eigenen Soldaten verwendet, jedoch die von den israelischen Streitkräften eingesetzten Truppen entscheidend bewaffnet und finanziert.

Obama hat erkannt, dass sein Land in Gefahr schwebt, in eine kriergerische und politische Dauerkonfrontation mit immer zunehmender Ausdehnung im Nahen Osten gezogen zu werden, wenn es ihm nicht gelingt, sich beizeiten aus der Region zurückzuziehen. Er weis auch: eine solche Dauerkonfrontation mit mehr und mehr „failed states“ und deren Guerrilla ginge auf lange Sicht über die Kräfte der USA. Er zog den Schluss, Amerika und der Nahe Osten brauchen einen Rückzug der amerikanischen Armeen und Kriegswaffen aus der Region. Dieser müsste Hand in Hand gehen mit einer „Versöhnung“, das heisst einer neuen amerikanischen Politik der Suche nach gemeinsamen Interessen (die gemeinsam, nicht einseitig, formuliert werden müssten) und deren Verfolgung durch Amerika und die betroffenen Staaten.

Die amerikanische Politik unter Obama zeigt Ansätze zu einer Verwirklichung dieser Ziele in Bezug auf Israel und auf den Irak; bisher keine brauchbaren in Bezug auf Afghanistan und Pakistan.

Die Lösungskonzepte

Im Falle Israel- Palästina ginge es bekanntlich um eine Zweistaatenlösung, die Stabilität und Frieden bringen müsste. Im Falle Irak um einen Rückzug der Amerkianischen Armeen, ohne dass der heute bestehende und von Amerika abgestützte irakische Staat zusammenbräche. Auch in Afghanistan gäbe es theoretisch eine Lösung. Sie hiesse Schaffung eines demokratischen afghanischen Staates, der auf eigenen Füssen stehen könnte und Abzug der amerikanischen und der Nato Truppen. Doch die Entwicklung verläuft zusehends im umgekehrten Sinne, so dass die ins Auge gefasste Lösung immer mehr als eine Utopie, nicht eine erreichbare Lösung, erscheint.


Kommt es zu einer Zweistaatenlösung?

Die Machtmittel über die Amerika gegenüber Israel verfügt, scheinen mehr als ausreichend, um eine Zweitstaatenlösung gegenüber Israel durchzusetzen. Doch die Frage ist, wieweit sieht sich Obama in der Lage, ja wieweit ist er überhaupt willig, diese Machtmittel einzusetzen? Die Hemmnisse, dies zu tun, liegen bei der amerikanischen Innenpolitik.

Nicht nur in Israel sondern auch in weiten Kreisen in Amerika gilt die „Sicherheit Israels“ als eine Priorität der Nahostpolitik, hinter der alle anderen Fragen zurückstehen müssten. Der Sicherheitsbegriff, der dabei zur Anwendung kommt, ist stark aggressiver Natur. Er dient auch dazu, eine expansive Territorialpolitik der herrschenden konservativen Kreise in Israel zu rechtfertigen, die in Wirklichkeit auf die Annektion weiter Teile der Besetzten palästinensischen Gebiete sowie auf die militärische, wirtschaftliche und politische Domination der nicht direkt in Besitz genommenen und von grösseren Mengen von Palästinensern bewohnten „Bantustans“ abzielt.

Indem sie diese Ziele der regierenden israelischen Rechtsparteien zu den ihrigen machen, identifizieren sich viele Amerikaner bis weit in die Kreise der Senatoren und Repräsentanten hinein mit einer Politik, die der offiziell angestrebten Zweistaatenlösung diametral entgegensteht. Wie weit sie dies selbst durchschauen oder wieweit sie sich von einer systematischen Propaganda benebeln lassen, die versucht, die Fakten zu verschleiern, sei dahingestellt. Festzuhalten bleibt, dass Obama selbst (aus Opportunitätsgründen oder aus Ueberzeugung, muss ebenfalls dahingestellt bleiben) dem credo der „Sicherheit Israels“ Lippendienst leistet, ohne in der Oeffentlichkeit darauf einzugehen, wie weit dieser Sicherheitsbegriff gerechtfertigt sei und inwieweit er als politischer Vorwand für die Aggressionspolitik der israelischen Rechten dient.

Mit der Forderung Washingtons konfrontiert, den Bau von weiteren Siedlungen endgültig und völlig einzustellen (was natürlich nur ein erster Schritt dazu wäre, um Verhandlungen über eine echte Zweistaatenlösung wieder Glaubwürdigkeit zu verschaffen), hat Tell Aviv bisher erfolgreich elastischen Widerstand geleistet. Die Vorgespräche mit dem Sondervermittler George Mitchell gleiten ab. Zuerst war von völligem Stillstand die Rede. Dies unterlief die Natanyahu Regierung, indem sie ja, aber.. antwortete und gleichzeitig beschleunigt fortbaute und weiter enteignete. Zur Zeit scheint nur noch ein vorläufiger Stillstand, unter Ausklammerung von Jerusalem, Verhandlungsgegenstand mit den Amerikanern zu sein, wobei gleichzeitig gefordert wird, um dies zu bewirken, müsste auch „die arabische Seite“ Konzessionen eingehen. Zugleich wird immer wieder versucht, die Frage der iranischen Atomanreicherungen ins Spiel zu bringen, und ein Eingehen auf die amerikanischen Wünsche davon abhängig zu erklären, dass auch die „viel dringendere Gefahr“ einer iranischen Atomrüstung „vorrangig“ aufgegriffen und endgültig gebannt werde - mit welchen Mitteln auch immer.


Die begabte palästinensische Kommentatorin Nadia Hijab hat kürzlich fünf Massanhmen aufgezählt, die der amerikanischen Regierung erlauben würden, aus „einer Position der Stärke mit Israel zu verhandeln“, wie sie es formulierte. Kurz zusammengefasst wären dies nach Nadia Hijab, 1) Fordere „Räumung“ der palästinensischen Gebiete, nicht bloss Stillegung der Siedlungen. 2) Untersütze die Kreise in den USA, die sich gegen die Gruppen wenden, welche illegale Siedlungen finanzieren. 3) Bremse mit bureaukratischen Mitteln die Zusammenarbeit mit Israel in Fragen der Bewaffnung, Militrätechnologie, Militrärhilfe, Sicherheiten für Anleihen u.a. mehr. 4) Unterhandle mit Hamas, um die Wiedervereinigung der Palästinenser zu fördern und Gaza zu retten. 5) Ermutige die Europäischen Staaten, etwas Druck auf Israel auszuüben. Sie sind der wichtigste Handelspartner Israels.

(Siehe vollständiger: http://www.agenceglobal.com/article.asp?id=2089 ). Es genügt, sich diese Empfehlungen anzuschauen, um zu erkennen, wie weit die Obama Regierung davon entfernt ist, wirklich etwas in Israel bewerkstelligen zu wollen. Wobei wiederum unbestimmt bleiben muss, wie weit sie es sich nicht leisten kann, oder nicht leisten zu können glaubt. Das letztere genügt als Begründung. Gegenwärtig kämpft Obama um sein politisches Leben in der heiss umstrittenden Frage der Krankenversicherungen; er steht unter schwerem Druck durch all seine Feinde, zu denen ohne Zweifel neben anderen auch jene Kreise gehören, welche die Israel- und die Nahostpolitik Politik Bushs inspirierten. Am innenpolitischen Horizont in den USA steht weiter die Frage der Bankenregulierung, die ebenfalls ein heisses Eisen zu werden verspricht, das die anti-Obama Kräfte benützen wollen, um ihn zu schwächen.

Ob und wann dieser innenpolitische Druck soweit abnehmen könnte, dass Obama frei würde, energischer in der Frage der Zweitstaatenlösung vorzugehen – falls er dies wirklich vorhaben sollte – ist gegenwärtig nicht abzusehen.

Natürlich tragen auch die anderen beiden ungelösten Hauptprobleme Amerikas im Nahen Osten dazu bei, dass der auf Obama lastende Druck sich leicht noch weiter verschärfen, und sich weiterhin in den verschiedensten Formen auswirken könnte.


Das irakische Labyrinth

Für Irak hat Obama klar gemacht, dass er einen Abzug der amerikanischen Truppen anstrebt. Natürlich möchte er ihn dermassen durchführen, dass dabei der immernoch sehr geschwächte irakische Staat möglichst erhalten bleibt und nicht noch weiter zusammenbricht. Angesichts der grossen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Spannungen, denen das Land sich ausgesetzt sieht, ist dies kein leichtes Unterfangen. Für den Augenblick gilt: die Amerikaner halten sich an den Abzugsvertrag, den Bush ausgehandelt und unterschrieben hat. Er sah vor, dass die amerikanischen Truppen die Städte bis Mitte 2009 räumen. Was sie auch getan haben. Und dass sie das ganze Land bis Ende 2011 evakuieren. Ausnahmen können, auf irakischen Wunsch dadurch entstehen, dass die irakische Regierung das Verbleiben von Kampftruppen anfordert und die amerikanische dem zustimmt. Auch Ausbildungsfunktionen für amerikanische Ausbilder können fortauern. Dies dürfte besonders für die geplante irakische Luftwaffe gelten. Die von Irak bestellten Kamppflugzeuge werden erst 2011 eintreffen. Bisher gibt es nur die amerikanische Luftwaffe im Irak.

Ausserhalb der Städte verbleiben noch realtiv grosse Zahlen amerikanischer Soldaten. Sie sollen bis zum kommenden Januar bleiben, um dafür zu sorgen, dass die dann bevorstehenden politischen Wahlen möglichst sicher durchgeführt werden können.


Die irakische Politik dreht sich mehr und mehr um diese Wahlen. Sie werden die ersten Parlamentswahlen sein, in denen die Sunniten mitstimmen, ohne sie zu boykottieren. Dies spricht dafür, dass das gegenwärtige absolute Mehr im Parlament, das durch Schiiten und Kurden zustande kommt, sich verschieben dürfte. Dies umsomehr als die bisher bestehende Koalition der schiitischen Parteien wahrscheinlich nicht mehr so vollständig in die Wahlen ziehen wird wie das 2005 der Fall gewesen war. Die Partei des regierenden Ministerpräsidenten, Nuri Malekis, Da’wa, hat sich bis jetzt geweigert, mit den anderen schiitischen Gruppen gemeinsame Sache zu machen. Sie macht vielmehr Anstalten, die Wahlen als eine Partei der Mitte zu bestreiten, die den Anspruch erhebt, für einen zentral gesteuerten, ungeteilten Irak einzutreten, und sie sucht Unterstützung sowohl bei den Schiiten wie bei den Sunniten. Malekis Da’wa Partei hat bereits im Januar in den Lokalwahlen die gleiche Haltung eingenommen und ist dabei über Erwarten gut gefahren. Dies dürfte den Ministerpräsidenten in seiner Haltung bestärken.



Eine neue Lage für die Kurden


Allerdings führt diese Grundhaltung dazu, dass die bisherigen Verbündeten der Schiiten, die kurdischen Gruppierungen, in einen immer schrofferen Gegensatz zum Regierungschef und seiner Partei geraten.

Ihr ganzes Bestreben geht dahin, möglichst viel von Kurden bewohntes Land unter eine möglichst weitgehende kurdische Autonomie zu bringen. Dabei geht es nicht nur um die drei als kurdisch anerkannten Provinzen sondern auch um bestimmte Randgebiete derselben, die kurdische Mehrheiten beherbergen aber zu arabophonen Provinzen geschlagen wurden, und besonders auch um die umstrittene Erdölstadt Kirkuk und ihre Umgebung. Heute stehen kurdische Peshmerga innerhalb der arabischen Nachbarprovinzen Kurdistans in den an die kurdischen Provinzen anliegenden, ebenfalls von Kurden bewohnten, Gebieten. Truppen der Zentralregierung, die aus Schiiten und Sunniten zusamengesetzt sind, stehen ihnen gegenüber. Man spricht von der „Abzugslinie“ (Trigger-Line), wo sich die beiden konfrontieren und gelegentlich Schiessereien leisten.

Für weitere scharfe Gegensätze sorgt die Erdölpolitik der Kurden, die auf Widerspruch der Regierung und ihres Erdölministers stösst. Die Kurden pochen auf ihre Autonomie, um internationalen Erdölgesellschaften Konzessionen für die Erdölsuche und mögliche künftige Ausbeutung auf ihren Gebieten zu erteilen. Die Zentralregierung will diese Verträge nicht anerkennen, weil sie der Ansicht ist, sie sei in Erdölfragen für das ganze Land zuständig.

Die Autonomiewünsche der Kurden sind bei den Sunniten wenig beliebt, und es heisst, eine jede Konfrontation mit den Kurden, steigere die Zustimmung, die Maleki von Seiten der Sunniten erlangt. Dies ist für ihn natürlich eine Ermutigung, sich gegen die kurdischen Ansprüche zu stellen.



Zur Zeit und wohl bis zu den Wahlen von Januar sorgen die Amerikaner dafür, dass es nicht zu grösseren Kämpfen kommt. Doch Obama fordeert, nach den Wahlen habe der Truppenabzug rüstig voranzuschreiten. Seine Offiziere vor Ort sind jedoch eher vorsichtig; sie möchten sich möglichst wenig festlegen. Die Lage ist zu explosiv als dass sie sichere Versprechen abgeben könnten. Die Anschläge haben in den letzten Monaten wieder zugenommen, ohne die Höhepunkte der bösen Jahre 2006 und 2007 zu erreichen. Dafür scheint die Korrpution, bis hinauf an die Spitzen der Ministerien und bis hinein in die Polizei- und Sicherheitskräfte sowie in die Armee ungeahnte Höhepunkte zu erreichen. Die Versorgungslage an Benzin, Elektrizität, Medikamenten, Trinkwasser u.a. ist noch immer ungenügend, die Arbeitslosigkeit sehr hoch, die Abwanderung von qualifizeren Arbeitskräften aus dem Mittelstand ungebremst und das Problem der irakischen Flüchtlinge innerhalb und ausserhalb des Landes nicht überwunden.



Was tun mit den Sahwa Milizen?

Immernoch gibt es Spannungen zwischen der Regierung und den von den Amerikanern ausgehobenen und bewaffneten, aber nun der Regierung unterstellten und von ihr finanzierten Stammesmilizen aus den sunnitischen Landesteilen (sahwa genannt), die gegen die sunntische Guerrilla angetreten sind und gekämpft haben. Sie erwarten, in die reguläre Armee eingegliedert zu werden. Doch Maleki und seine Minister zögern, dies zu tun, weil sie eine sunnitische Unterwanderung der Regierungsarmee fürchten, die, so argwöhnen sie, soweit gehen könnte, dass die sunnitischen Regierungssoldaten mit ihren sunnitischen Stammes- und Glaubensbrüdern in der Guerrilla heimlich zusammenarbeiteten, - oder auch bewirkte, dass sunnitische Offiziere, wie einst zur Zeit Saddams und schon viele Jahrzehnte zuvor, die Vormacht in der Armee übernähmen.

Die Maleki Regierung hat deshalb vorgezogen, grosse Zahlen von bisherigen Sahwa Kräften in den Ministerien als Beamte unterzubringen, auch wenn sie dort keine nützliche Beschäftigung finden. Viele Beamte mit wenig zu tun, fördern natürlich die Korruption in dem Ministerien. Korruptionsgelder zu erpressen kann zur Hauptbeschäftigung werden.



Spannungen innerhalb der Hauptblöcke

Es gibt nicht nur Gegensaätze zwischen den grossen Gemeinschaften: Sunniten, Schiiten, Kurden, mit der Partei Malekis in der Mitte zwischen den Dreien, sondern auch Spannungen innerhalb dieser Blöcke: Rivalitäten unter den schiitischen Parteien und Parteiungen; scharfe Feindschaft zwischen den sunnitischen Sahwa Milizen und ihren einstigen Freunden aus der Guerrilla (diese sehen die Sahwa Leute als Verräter an und stellen ihnen mit Bomben nach); alte Rivalitäten zwischen den beiden kurdischen Hauptgruppen, denen nun seit den kurdischen Wahlen vom vergangenen Juli eine neue Opposition gegenübertritt; Streit zwischen Zentralregierung und den arabischen Bevölkerungsteilen mit den kurdischen Freiheitskämpfern um die kurdischen Gebiete innerhalb der arabischen Randprovinzen, etwa in der Provinz Ninive mit der Grosstadt Mosul, wie auch insbesondere um Kirkuk.



Beunruhigkte Nachbarstaaten

Die umliegenden Staaten werden in diese Gegensätze hineingezogen. Für die Sunniten, besonders die Gruppen des Widerstandes, alt-Baathisten und gewalttätige Islamisten, sind die Schiiten „Iraner“, Hörige und Instrumente Teherans. Die irakischen Schiiten sehen in Teheran einen Freund und eine Stütze. Für die In saudischen Augen sind sie eine Gefahr für den wahren, wahhabitischen, Islam und für die Arabische Halbinsel.

Für die Türkei sind die irakischen Kurden ein gefährlicher Präzedenzfall, der sich auf ihre eigenen Kurden auswirken könnte. Die türkische Armee droht, in irakisch Kurdistan einzuschreiten, falls die irakischen Kurden Kirkuk erhielten. Die türkischen Generäle wollen nämlich nicht zulassen, dass die irakischen Kurden in ihrer Autonomie prosperieren. Sie glauben, dies würde sich auf das Verhalten der türkischen Kurden auswirken.

Syrien und der Irak haben kürzlich die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, weil Maleki glaubt, der grosse Anschlag auf das irakische Aussenministerium von Bagadad vom 19. August dieses Jahres sei von baathistischen Aktivisten vom syrischen Exil aus gesteuert worden, Damaskus jedoch diese Anschuldigungen emphatisch zurückweist.

Man kann die Gesamtlage als die eines Kochtopfs beschreiben, der solange auf kleinem Feuer fortbrodelt als die Amerikaner präsent bleiben. Wenn sie gehen, dürfte di Gefahr eines Ueberkochens viel akuter werden. Dass es ihnen gelingt, vor ihrem Abzug die Lage noch soweit zu stabilisieren, dass der Irak ohne Bürgerkrieg als irgendwie funktionierender Staat zurückbleiben kann, mag nicht ganz ausgeschlossen sein, doch wirkt es wenig wahrscheinlich.


Spätestens im Jahr 2011 wird die Frage an Obama herantreten, ob er nun seine Truppen endgültig abziehen kann, ohne einen Zusammenbruch im Irak zu riskieren. Die dann an der Macht befindliche Regierung von Bagdad wird ihrerseits entscheiden müssen, ob sie den Abzug der Amerikaner endgültig hinnehmen will, oder ob sie um Verlängerung der amerikanischen Besetzung bitten müsse. Wenn sie das zweite tut, wird sie ihr Ueberleben kurzfristig absichern; doch sie wird jede Popularität verlieren. Denn die irakische Bevölkerung neigt dazu, der amerkanischen Präsenz die Hauptschuld für alle Uebel zuzusprechen, die sie zu erleiden hat.




Defensivkrieg in Afghanistan


In Afghanistan stehen die Amerikanischen und die Nato Truppen in der Defensive. Es sind die Taleban, welche die Offensive führen, und zwar an den Orten ihrer Wahl. Diese liegen verstreut über ein riesiges Gebiet, das die Natoarmee und die halb ausgebildeten afghanischen Soldaten und Polizisten nicht abzusichern vermögen. Die afghanische Bevölkerung steht in den paschtunischen Landesteilen nicht auf der Seite der westlichen Truppen sondern eher auf jener der Taleban. Dabei spielt der Zwang, den deren Bewaffnete ausüben können, ebenso eine Rolle wie die Gruppensolidarität der Pathanen. Doch auch die Bevölkerung der Gebiete, die unter den Taleban besonders gelitten hatten, als diese vor 2001 die Macht ausübten, Tajiken, Hazara, Uzbeken verhalten sich zweideutig. Die Sicherheit, welche ihnen die Zentralregierung von Kabul und die sie stützenden westlichen Truppen zu gewähren vermögen, ist zu prekär, als dass sie es sich leisten könnten, den Taleban die Zähne zu zeigen. Die Erfahrung zeigt ihnen, dass Widerstand gegen sie mit grosser Wahrscheinlichkeit in den Tod führt. Dies besonders in den Gebieten, in denen es neben den nicht-paschtunischen Merheitsbevölkerungen auch paschtunische Minderheiten gibt.

Das Prestige der Regierung und der mit ihr verbündeten Kräfte leidet unter der allumfassenden Korruption, welche die Regierungskreise von oben bis unten durchsetzt und sich bis auf die Polizei hinab auswirkt. So dass die Bevölkerungen –die über wenig Korruptionsgelder verfügen – nicht auf den Schutz der Sicherheitsleute zählen können sondern vielmehr damit rechnen müssen, von ihnen ausgebeutet zu werden.

Dazu kommt die Wut über die Kampfmethoden der Amerikaner und der übrigen westlichen Streitkräfte. Sie ziehen es vor, aus der Luft zuzuschlagen, weil dies das Leben der eigenen Soldaten schont. Doch die Luftwaffen- und Raketenschläge führen regelmässig zu zivilen Opfern, deren überlebende Angehörige dann eine Rachepflicht an den fremden Besetzern ihres Landes zu üben haben. Theoretisch hat Oberbfehlshaber McChrystal erkannt, dass die zivilen Opfer seiner Sache Schaden zufügen. Doch in der Praxis dürfte es nicht so einfach sein, die Militärs dazu zu veranlassen, ihr eigenes Leben und das ihrer Kameraden aufs Spiel zu setzen, indem sie gerade dort, wo sie uneingeschränkte Ueberlegenheit besitzen, nämlich im Luftkrieg, darauf verzichten, ihre Macht einzusetzen.

All dies zusammen bewirkt, dass sich in Amerika und in Europa eine gewisse Kriegsmüdigkeit ausbreitet. Immer mehr Leute aus dem Publikum und unter den militärischen Zuständigen fragen, was denn der teure und immer verlustreichere Krieg in Afghanistan überhaupt bezwecke. Die einzig gültige Antwort darauf, dürfte lauten: er will dafür sorgen, dass die Taleban nicht wieder zur Macht zurückkehren. Doch die Frage drängt sich auf: bewirkt er dies wirklich? Oder ist es nicht vielmehr so, dass er den Taleban die Möglichkeit gibt, sich allmählich des ganzen Landes zu bemächtigen? – Die führenden Militärs sprechen davon, dass eine „Umkehr“ in einiger Zeit und bei verstärkten Einsätzen von noch mehr Truppen erreicht werden könne. Doch bisher ist sie nirgends erkennbar. Vielmehr scheint die Hochflut der Taleban Macht immer weiter zu steigen.

Auch hier wird früher oder später die Frage an Obama herantreten, ob er das Engagement in Afghanistan aufgeben soll, oder ob er gewillt und in der Lage sei, es immer weiter zu führen.



Die Pakistanischen Taleban

Pakistan hängt mit Afghanistan eng zusammen, weil die Taleban in den pakistanbischen Grenzgebieten Hilfe und Unterschlupf finden. Von dort aus konnten sie sich neu organisieren, nachdem die Amerikaner sie 2002 aus Afghanistan vertrieben hatten. Heute dienen ihnen die Stammeszonen und die anderen Grenzräume als Zufluchts- und Rückzugsgebiete, von denen aus sie immer neu auf Afghanistan zugreifen können. Sie dienen auch dem Drogenschmuggel, der die Taleban zu grossen Teilen finanziert.

Die Amerikaner haben es bisher vermieden, ihre Truppen auf pakistanischem Gebiet einzusetzen. Auch in den Zonen, in denen die pakistanische Regierung keine wirkliche Kontrolle ausübt, das heisst in den berühmten Stammeszonen der paschtunischen und der belutschen Grenze, wo die Stämme Autonomie geniessen oder sogar, wie in den belutchischen Wüsten, im Aufstand gegen Pakistan stehen.

Bis zum Sommer dieses Jahres war ungewiss, wieweit überhaupt die pakistanische Armee unter der Führung ihres Geheimdienstes des ISI gewillt war, gegen die pakistanischen Taleban vorzugehen. Diese waren ja ursprünglich weitgehend Schöpfung des ISI gewesen, weil der Geheimdient der Ansicht war, sie könnten als inoffizielle Kämpfer in Kashmir dienen und auch dazu verwendet werden, Afghanistan als islamistischen Staat auf der pakistanischen Seite in die Konfrontation mit dem Erbfeind Indien eingliedern.

Die Geheimdienste Pakistans hatten zwischen 1945 und 1980 die Erfahrung gemacht, dass ein nationalistisch-paschtunisch regiertes Afghanistan eher der indischen als der pakistanischen Seite zuneigte.

Die Amerikaner übten unter Bush und noch unter Obama massiven Druck auf Pakistan aus, die Armee nicht nur verbal sondern auch tatsächlich gegen die in Pakistan eingenisteten Taleban und Qaeda-Führer einzusetzen. Drohungen, die Waffenlieferungen und Hilfsgelder einzustellen oder zu reduzieren, von denen die pakistanische Armee entscheidend abhängt, wurden ergänzt durch Raketenschläge mit ferngesteuerten Drohnen, die in Pakistan gelegene, angeblich von Taleban benutzte, Ziele zerstörten und dabei jedesmal die Zivilbevölkerung dezimierten. Dies war den pakistanischen Militärs und den Behörden doppelt verhasst; weil es die Bevölkerung gegen die Amerikaner aufbrachte, die doch die Hauptverbündeten des Landes waren und weil es die eigene Regierung und das eigene Militär bei der Bevölkerung diskreditierte. Es machte deutlich, dass die Sicherheitskräfte nicht in der Lage waren, die Bevölkerung vor den Amerikanern zu beschützen, welche sich ungeniert an der Landeshoheit Pakistans vergriffen.

Unter diesem Druck entschloss sich die pakistanische Armee im April, im Swat Tal eine Grossoffensive durchzuführen, um die dort zur Macht gelangten lokalen Taleban auszurotten.

Die pakistanischen Taleban sind Gesinnungsbrüder der afghanischen und unterstützen sie nach Kräften, Doch sie verfolgen nicht die gleichen Ziele wie diese. Ihnen geht es darum, in Pakistan die Regierungskräfte zu ermüden und zu diskreditieren, um dort über möglichst weite Gebiete die Macht zu ergreifen und auszuüben.


Nach langwierigen und zähen Kämpfen gelang es der Armee die bewaffneten Islamisten aus Mingora, der Hauptstadt von Swat zu vertreiben. Doch die Reinigungsarbeiten dauerten länger als vorgesehen und die Taleban Führer scheinen sich aus der Stadt in Sicherheit gebracht zu haben, bevor die pakistanischen Truppen sie voll kontrollierten. Die Kämpfe bewirkten, dass fast alle Bewohner die Stadt verlassen mussten. Sie gelangten als Flüchtlinge in elende Lager weiter im Inneren Pakistans. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge aus Swat wurde auf zwei Millionen Menchen geschätzt.


Nach der Besetzung der Hauptstadt durch die pakistanischen Truppen kehrten einige der vertiebenen Einwohner wieder in ihre mehr oder minder zerschossenen Häuser zurück. Doch die Kämpfe im Swat Tal dauern immernoch an. Viele Flüchtlinge sind noch nicht heimgekehrt. Die pakistanische Regierung erwies sich als unfähig und offenbar wenig interessiert daran, den Flüchtlingen wirksam zu helfen.

Während die offizielle Armee in Swat beschäftigt ist, haben die Taleban Zeit, sich in anderen Teilen der weit ausgedehnten Grenzregion festzusetzen. Die langsamen Fortschritte unter grossen Verlusten an Menschenleben und Wellen von pakistanischen Flüchtlingen dürften die pakistanische Armee schwerlich ermuntern, auch in anderen Regionen Offensiven zu wagen.



Die Streitkräfte Pakistans sind für einen konventionellen Krieg, primär gegen Indien, bewaffnet und ausgebildet. Sie besitzen keinerlei Ausbildung oder Erfahrung im Krieg gegen Guerrilla Truppen, und ihre Kampfmethoden haben sich in Swat als dementsprechend schwerfällig erwiesen. Was vor allem die Zivilbevölkerung zu spüren bekam.


Für Afghanistan wie für Pakistan gilt: die Regierung und ihre Sicherheitstruppen, in Afghanistan einschliesslich der fremden Soldaten der Nato, sind nicht in der Lage, die Sicherheit der Dörfer und der verstreuten Gehöfte in den pashtunischen Gebieten beider Länder wirklich zu gewährleisten. Wo sie am Tag vertrieben wurden, kommen die Taleban nur zu oft nachts wieder zurück. Das gibt den dort lebenden, im besten Fall schlecht bewaffneten, Zivilisten keine andere Wahl als entweder zu fliehen oder sich mit den Taleban zu verständigen, das heisst, sich ihnen unterzuordnen.


Es dürfte zutreffen, dass die grössten Teile der Bevölkerung im pakistanischen Hinterland und sogar in den Stammesgebieten die Taleban als eine Gefahr ansehen von dersie am liebsten befreit sein wollten. Die nördlichen Grenzprovinzen Pakistans haben sich in den letzten Lokalwahlen klar gegen alle Islamisten und für die säkular ausgerichtete Awami Partei ausgesprochen. Doch wenn die Zivilbevölkerung durch bittere Erfahrung lernt, dass die Polizei und die Streitkräfte Pakistans ihr keine Sicherheit gegen die bewaffneten Islamisten bieten, sieht sie sich gezwungen, deren Weisungen zu folgen und sich schrittweise immer mehr von ihnen beherrschen zu lassen. Dies scheint die wirkliche Lage zu sein, sowohl in den pakistanischen Grenz-und Stammesgebieten wie auch in weiten Teilen das pathanischen Südens Afghanistans. Die afghanischen Taleban stehen ausserdem auch in der Offensive in vielen nicht pathanischen Gebieten der eiden Nachbarstaaten, indem sie mit Bomben, Selbstmordanschlägen und Strassenüberfällen arbeiten. Ihr Ziel ist dabei, auch in diesen Gebieten genügend Angst unter der Zvilbevölkerung zu verbreiten, so dass diese sich ihnen unterstellt und ihre Weisungen ausführt.

Unter solchen Umständen ist die Korruption der Regierungsvertreter besonders gefährlich. Sie bewirkt, dass die Zivilbevölkerung nur dann damit rechnen kann, effektiv von der Regierung beschützt zu werden, wenn sie ihren Vertretern in Polizei und Armee sowie in der Verwaltung Protektionsgelder bezahlt. Wer keine oder nur ungenügende hat, sieht sich gezwungen, bei der Gegenseite, jener der Taleban, Schutz und ein Minimum von Sicherheit zu suchen. Mit Religion hat dies alles viel weniger zu tun als nach aussen hin vorgegeben wird. In Wirklichkeit geht es um Macht.



Alles Schuld der Amerikaner?


Man kann abschliessend fragen: warum sollen die Vereinigten Staaten (und einige Nato Truppen in ihrem Gefolge) die einzig Verantwortlichen für die bestehenden Zustände sein? Tragen nicht auch die betroffenen Völker Verantwortung für ihre eigene Lage?

Darauf gibt es zwei Antworten, eine kürzere, die sich rein auf die heutige Lage bezieht, aber auch eine viel längere und komplexere, die auf die Vorgeschichte der heutigen Nahostkrise eingehen müsste, beginnend mit dem 19. Jahrhundert.

Die kurze Antwort: Die Amerikaner seit Bush haben versucht mit konventionellen militärischen Mitteln einen „Krieg gegen den Terrorismus“ zu führen, der nur zu oft zu brutalen konventionellen und höchst zerstörerischen Kriegen gegen islamische Völker wurde. Ohne den Willen Bushs und seiner neokonservativen Inspiratoren wären sie nicht geschehen. Die Folgen davon sind nun sichtbar geworden und sie erstrecken sich primär auf die zerstörten Staaten und Territorien aber auch in ihren Auswirkungen auf die Vereinigten Staaten.

– Die Nahostkrisen sind aber natürlich viel älter als die von Bush ausgelösten Explosionen. Hier wird die langfristige Antwort relevant. Seit rund 1800 und immer andauernd seither wirken sich die überlegnenen Machtmittel der Europäer und später der Amerikaner im Nahen Osten aus wie auch in der weiteren islamischen Welt. Diese Machtmittel wurden und werden noch eingesetzt, um den nationalstisch eng umschriebenen Interessen der jeweiligen Machthaber zu dienen. Dabei wird auf die Zustimmung der Dominierten wenig geachtet. In den seither verflossenen 20 Jahrzehnten hat sich die Einflussnahme verstärkt, sie ist vom militärischen auch auf den wirtschaftlichen und kuturellen Schauplatz übergegangen und hat auch Vielerorts zur territorialen Herrschaft der kulturell fremden Zivilsationen und Machttechniken geführt. In kolonialen Zeiten war dies offensichtlich, in den post-kolonialen ging der Prozess als indirekte Domination weiter und konnte sich nach kurzen Episoden unvollständiger Unabhängigkeit sehr weitgehend durchsetzen. Heute bezeichnet man ihn als Globalisierung.

Was von den Neocons und Gesinnungsgenossen als „Terrorismus“ angesprochen wird, war und ist immernoch überwiegend eine Reaktion von Verzweiflungstätern auf diese Lage. Die Verzweiflungstäter bilden Randgruppen in der islamischen Völkerwelt. Doch der Einsatz extremer und flächenzerstörender Gewalt gegen ganze Völker, statt gezielt gegen die spezifischen Randgruppen vorzugehen, hat die Zahl der Sympathisanten mit diesen Randgruppen gewaltig vermehrt und verschafft den Tätern weit ausgedehnte Angriffsflächen, über die sie ohne das blinde höchst destruktive Eingreifen der Amerikaner nie verfügt hätten. Die islamischen Völker selbst drohen in vielen Fällen Opfer dieses Prozesses zu werden, den nicht sie sondern die westlichen Mächte, Europa zuerst und in einem zweiten Stadium primär Amerika, ausgelöst haben.

Was sich auf dem sehr ausgedehnten, wenig übersichtlichen und in den Einzelheiten sehr unterschiedlichen Schauplatz der Islamischen Staatenwelt abspielt, geschieht in einem viel übersichtlicheren und daher auch symbolisch greifbaren engen Rahmen zwischen dem vom Westen zur Macht gebrachten und von ihm weiter verteidigten Kleinstaat der Juden und dem palästinensischen Territorium, in das er eingepflanzt wurde und über das er sich unerbittlich weiter ausdehnt. Dabei sind die gleichen Verzweiflungssympthome bei der lokalen, überwiegend islamischen Bevölkerung aufgetreten, die sich später in dem viel weiteren Bereich der gesamten islamischen Welt wiederholen sollten. Die besonders scharf umrissene Sichtbarkeit des dortigen Geschehens erhebt es zu einer Symbolhaftigkeit, die den weit ausgedehnten Parallelerscheinungen von Tschetschenien bis nach dem Sudan und von Marokko bis nach Urumchi und Bali Identifikations- und Vernetzungsmöglichkeiten verschafft.

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