Donnerstag, 17. September 2009

Birgit Cerha: Humanitäre Katastrophe in einem vergessenen Krieg


Während Al-Kaida im Jemen immer stärker Fuß fasst, fordert der Vernichtungskrieg gegen die Zaidi-Rebellen im Norden eine erschreckende Zahl von Opfern



„Das gesamte Gebiet wurde in ein Meer von Blut getaucht. Ich sah Teile von Körpern und verkohlte Leichen“, berichtete ein lokaler Sanitäter über die Folgen von zwei verheerenden Luftangriffen der jemenitischen Streitkräfte in der nordlichen Unruheprovinz Amran. Zahlreiche Familien, die unter Bäumen vor den Kämpfen zwischen Regierungssoldaten und schiitischen Rebellen Zuflucht gesucht hatten, waren Ziel der Attacken geworden, die meisten der etwa 87 Toten Alte, Frauen und Kinder. Es ist der bisher blutigste Angriff auf Zivilisten, seit Regierungstruppen am 11. August eine neue Offensive im fünfjährigen Krieg gegen die Rebellen begann. Während internationale humanitäre Organisation eine Untersuchung fordern, verteidigt ein Regierungssprecher die Aktion damit, dass Rebellen Flüchtlinge als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht hätten.

Der von der Welt vergessene Krieg fordert zunehmend zivile Opfer in katastrophalem Ausmaß. Hilfsorganisationen schlagen Alarm. Nicht nur haben die jüngsten Kämpfe bisher bis zu 150.000 Zivilisten in die Flucht getrieben, Tausende sind in der nördlichen Stadt Saada und deren Umgebung durch die Kämpfe von der Außenwelt abgeschnitten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz fordert dringend die Errichtung eines „Hilfskorridors“, um die Eingeschlossenen wenigstens mit den wichtigsten Lebensmitteln zu versorgen.

Die Situation im Norden hat sich seit August dramatisch zugespitzt, nachdem die schiitischen Houthi-Rebellen einen wichtigen Regierungsstützpunkt an der strategischen Straßenverbindung zwischen der Hauptstadt Sanaa und der Grenze zu Saudi-Arabien unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Präsident Saleh blies darauf hin zu einem „Krieg der verbrannten Erde“, um das Krebsgeschwür“ der Houthi-Rebellion endgültig zu vernichten. Zahlreiche Houthis, so behauptet die Regierung, seien getötet und gefangen genommen worden. Doch die Kämpfe toben weiter.

Es ist eine von drei dramatischen Herausforderungen, die die Einheit dieses bitterarmen Staates l zu zerreißen droht. Im Süden wächst der Drang nach Sezession, während immer mehr Al-Kaida Terroristen unter unzufriedenen Stämmen Unterschlupf und Aktionsfreiraum finden. Dies alles vor dem Hintergrund der durch fallende Ölpreise gravierende verschärften sozialen Probleme.

Der Krieg, der seit seinem Ausbruch vor fünf Jahren Tausenden Menschen das Leben gekostet hat, entspringt einer Mischung aus Stammesinteressen und lokalen Missständen. Seine Wurzeln reichen aber weiter in die Geschichte des Jemens zurück.

1962 hatte eine Revolution die tausendjährige Herrschaft der Zaidis, eines Zweiges des schiitischen Islams, der eine Minderheit im Jemen bildet, beendet. Saada, die einstige Hochburg der Zaidis, wurde von da an von der von Sunniten dominierten Zentralregierung in Sanaa ökonomisch stark vernachlässigt. Im Bürgerkrieg zwischen Nord- und Süd-Jemen 1994 suchte die Regierung militärische Hilfe bei den saudischen Wahabiten, einem radikalen Zweig des sunnitischen Islam, der die Schiiten als Häretiker betrachtet. Seither beklagen die Zaidis nicht nur die Unterentwicklung, sondern auch den dominierenden Einfluss der Wahabiten im Jemen. Die gewaltsame Rebellion begann bei einem Versuch der Regierungstruppen 2004, den prominenten religiösen Führer der Zaidis, Hussein al-Houthi, zu verhaften. Im Verlauf heftiger Kämpfe wurde al-Houthi getötet und sein Bruder Abdul Malik führt nun die Rebellion.

Ende August lehnte Abdel Malik al Houthi, der sich nach Einschätzung von Beobachtern militärisch relativ stark fühlen dürfte, ein Waffenstillstandsangebot der Regierung ab, das au.a. die totale Entwaffnung der Rebellen vorsieht. Der Konflikt hat auch explosive internationale Dimensionen, da das an Saudi-Arabien grenzende Rebellengebiet zunehmend Al-Kaida-Terroristen als Operationsbasis für Attacken im Königreich dienen dürfte. Ein gescheitertes Attentat auf Saudi-Arabiens Innenminister im August wurde von einem aus dem Grenzgebiet eingedrungenen Extremisten verübt. Zudem behauptet die Regierung, die al-Houthis würden vom Iran unterstützt und der Konflikt weite sich zu einem Stellvertreter-Krieg zwischen Riad und Teheran aus.

Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 18.09.2009

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