Montag, 22. Juni 2009

Birgit Cerha: Vom Hardliner zum Hoffnungsträger

Porträt: Der erstaunliche Wandel des Mir Hussein Mussawi – Auf dem Weg der „Erneuerung“ gibt es für Irans Oppositionsführer nun kein Zurück mehr
Nun haben die iranischen Massen, die eine Woche lang – spontan - zu Hunderttausenden gegen den Wahlbetrug durch das Regime protestierten, einen klaren Führer. Mir Hussein Mussawi hat nach einigem Zögern die Herausforderung angenommen und ein „Revolutions-Manifest“ erlassen, Keiner vor ihm hat derartiges im „Gottesstaat“ je gewagt: die offene Opposition zur höchsten Autorität, Ayatollah Khamenei. Die Botschaft ist klar: ein Ende der Tyrannei, in die der Iran unter Khamenei immer tiefer geschlittert ist. Die Revolution, die sich entscheidend auf die Stimme des Volkes gestützt hätte, verfolge einen falschen Weg, indem sie „der Nation eine ungewollte Regierung“ aufzwinge. Er spricht von einer „historischen Mission“ zur „Erneuerung des Lebens“ nach den Idealen der Menschen und er akzeptiere die Last der Verpflichtung, die man auf seine Schultern geladen habe.
Dieses Manifest, in dem sich Mussawi zwar zu den Prinzipien und Institutionen der Islamischen Republik bekennt, doch fest entschlossen ist, auf friedlichen Weg „Abweichungen und Täuschungen“ zu bekämpfen, dokumentiert den erstaunlichen Wandel eines Mannes, der einst treuer Jünger Revolutionsführer Khomeinis, als Regierungschef (1982-1989) den Werten von Demokratie und Freiheit so gar keine Beachtung geschenkt hatte. In einer Zeit intensiven revolutionären Eifers zählte der 1941 in Ost-Asserbaidschan geborene Azeri zu den Hardlinern des Systems. Als Technokrat war dieser Architekt und Künstler während des iranisch-irakischen Krieges (1980 bis 88) an die Spitze der Regierung geholt worden. Und viele Iraner der älteren Generation danken ihm bis heute die Durchschlagskraft und Kompetenz, mit der er das Land aus tiefer Rezession in eine „goldene Zeit“ hob.

Zitate, die Mussawis kompromisslose Haltung gegenüber dem Westen, gegenüber den USA und seine unverbrüchliche Treue zu Khomeini dokumentieren, bleiben in Erinnerung. Unvergessen ist auch, dass er sich heftig gegen engsten Vertrauten Khomeinis, späteren Präsidenten und bis heute mächtigen Ali Akbar Rafsandschani zur wehr setzte, als dieser US-Hilfe für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Iran angestrebte. In den späteren Regierungen des Pragmatikers Rafsandschani fand der Hardliner Mussawi denn auch keinen Platz.

So zog sich der Künstler und Schöngeist zwei Jahrzehnte lang aus dem öffentlichen Leben zurück, widmete sich der Malerei und seiner Universitätslaufbahn. Als ihn einige Reformkräfte zur Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 1997 drängten, verzichtete er zugunsten Khatamis, dem er anschließend jedoch als Berater zur Seite stand. Doch dass er sich tatsächlich zu einem Reformer gewandelt haben könnte, ließ sich nicht überzeugend erkennen. Auch im Wahlkampf der vergangenen Wochen, wiewohl von Reformern aufgestellt, fand er vor allem deshalb Zulauf, weil viele der sich nach Freiheit sehnenden Iraner ihm, der auch im konservativen Establishment beträchtliche Sympathie genießt, die größte Chance gaben, Präsident Ahmadinedschad zu besiegen.

Doch die Euphorie des Wahlkampfes, die ihm entgegenschlagenden Welle der Hoffnung Hunderttausender und dann der dramatische Stimmungsumschwung nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses, der Zorn der Massen, die wie nie zuvor seit der Revolution bereit waren, ihr Leben für die Freiheit hinzugeben und auf Mussawi als ihren Führer blickten, haben diesen Mann des Systems gewandelt. Einen beträchtlichen Teil dazu hat wohl auch seine weit eloquentere, charismatischere Frau Zahra Rahnavard, Politologin und Frauenrechtlerin, in ihrem offenen Einsatz für Mussawi beigetragen.

Ehrlich gesteht Mussawi in seinem Manifest ein, dass er anfänglich der „grünen Welle“ (das Grün des Islams hatte er als Farbe seiner Bewegung gewählt) nur nachgelaufen sei. Und Demonstranten drohten: „Dein schweigen wäre Verrat.“ So nahm der ungewollte Freiheitsheld, gestützt auch von prominenten Mitgliedern des Systems, die Herausforderung an und bekennt sich entschlossen zur Führung dieser Bewegung, die primär einmal Neuwahlen fordert. Er ruft die Menschen auf, des nachts von Dächern „nieder mit dem Tyrannen“ zu schreien und gewaltfrei zu demonstrieren. Er bricht einen Wettstreit mit Khamenei um die „wahren Prinzipien des Glaubens“ vom Zaum und stützt sich auf die Hauptargumente: Nicht wir, sondern „die anderen“ (der „Führer) würden – durch Gewaltanwendung - die Gesetze brechen und durch Lügen (Wahlfälschung) die islamischen Grundsätzen in eklatanter Weise verletzen.

In dieser einzigartigen Konfrontation haben sich bereits zahlreiche führende Berater in Angst von ihm abgewandt. Seine Frau steht offen und mutig an seiner Seite, verkündete Samstag vor ihm bereits die Entschlossenheit Mussawis, seine Anhänger bis zum Ende nicht im Stich zu lassen. Wie das Ende aussehen mag, ahnt derzeit freilich niemand.

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