Mit seiner fatalen Fehleinschätzung hat Khamenei eine tiefe Kluft in der iranischen Gesellschaft aufgerissen
„Vielleicht werden ich und meine Freunde heute nicht mehr heimkehren. Doch wir sind bereit, unser Leben der Demokratie zu opfern.“ Solche und ähnlich dramatische Sätze dringen über „Facebook“ aus dem Iran in die freie Welt. Wie jener Schreiber, der sich selbst für die Freiheit und „meine Rechte“ opfern will, trotzten Samstag Tausende Iraner der ungeheuerlichen Drohung des „Geistlichen Führers“ Khamenei, der Freitag in einer schicksalhaften Rede den Sicherheitskräften, den Revolutionsgarden und vor allem den in der Vergangenheit oft so hemmungslos wütenden paramilitärischen Bassidsch „grünes Licht“ zur direkten Attacke auf friedlich demonstrierende Menschenmassen gegeben hatte. Und die Bassidsch schlugen von Motorrädern brutal zu, nachdem es Tausenden Polizisten nicht gelungen war, den Menschenstrom, der den Drohungen trotzte und seinen Frustrationen Luft zu machen suchte, vollends zu zerschlagen.
Noch ist das Ausmaß der menschenverachtenden Härte im Auftrag des höchsten Gottesmannes nicht voll zu erkennen. Fest steht jedoch, dass Khamenei kein Blut scheut, um seine Macht abzusichern. Der Zögerer, der sich in den zwei Jahrzehnten als höchste Autorität in der „Islamischen Republik“ durch die stete Suche nach Konsens sein politisches Überleben gesichert hatte, zeigt nun voll seine tyrannischen Züge. Monatelang, so behauptet der in den Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni nach offizieller Lesart unterlegene Hauptrivale Präsident Ahmadinedschads, Mussawi, hätte Khamenei die Wahlfälschung vorbereitet, die zu verschleiern er sich ursprünglich gar nicht die Mühe machte, auch wenn er Freitag das Machtwort sprach: „Die Wahlen waren fair.“
An der Motivation solchen Handelns herrscht wenig Zweifel. Nachdem Khamenei mit seinen engsten Vertrauten, darunter an erster Stelle die stetig an Einfluss gewinnenden Führer der Revolutionsgarden, acht Jahre lang (von 1997 bis 2005) die Reformbewegung Präsident Khatamis blockiert, zur Bedeutungslosigkeit verdammt und zugleich das Volk in totale politische Apathie versenkt hatte, witterten Millionen freiheitshungriger Iraner in Mussawi einen Führer, der wenigstens einen Teil ihrer Sehnsüchte verwirklichen könnte. Die derart wiederbelebte Reformströmung steigerte die Ängste dieses autokratischen Gottesmannes vor einer „samtenen Revolution“ nach osteuropäischem Muster bis zur Panik, Ängste, die auch die Revolutionsgarden in ihrem Organ offen bestätigen.
Im Gegensatz zur Ära Khatami aber ist diese neue Strömung viel breiter gestreut, zieht sich tief hinein in das islamische Regime. Dass sie sich vollends einschüchtern und knebeln läßt, wie in der Vergangenheit, erscheint deshalb höchst fraglich. Khameneis „eiserne Faust“ kann die gravierenden Probleme des Irans nicht lösen, ja nicht einmal mehr verdecken. „Der „Führer“ hat durch seine fehlende Kompromissbereitschaft eine tiefe Kluft aufgerissen, die ihm selbst die Macht kosten kann.
Die Lage im Iran ist zutiefst verworren. Verifizierte Informationen dringen kaum noch aus dem Land, seit das Regime die Medien – inländische und ausländische – knebelte und prominente Gegner ins Gefängnis steckte. Mussawi, so heißt es, habe seine Entschlossenheit zur Fortsetzung des Kampfes bekundet, seine Bereitschaft zum „Martyrium“. Es wäre ein bemerkenswerter, ungeheuer mutiger Wandel dieses Mannes, der als ehemaliger Premier und Mitglied des einflussreichen Schlichtungsrates Teil des Systems ist. Indem er Samstag nicht ausdrücklich zur Demonstration aufrief, hat er sich – bisher – aber nicht direkt dem „Führer“ widersetzt. Zugleich erschienen weder er, noch der ebenfalls unterlegene Reformkandidat Karrubi beim „Wächterrat“, um ihre Beschwerde über die Wahlmanipulationen vorzubringen. Sie zeigten damit deutlich, dass sie diesem von Khameneis Anhängern dominierten Gremium nicht trauen, Wahlfälschungen tatsächlich zu entlarven.
Mussawi bleiben wohl noch einige Karten, als für das Regime wohl gefährlichste ein Generalstreik im Falle seiner Verhaftung. Zugleich tobt der eigentliche Machtkampf hinter den Kulissen. Und dabei geht es vor allem um die alte Revolutionsgarde unter den immer noch so mächtigen Rafsandschani, der sich auf die Seite Mussawis und Karrubis geschlagen hat, und Khamenei, der diese unbequemen Rivalen endlich mit Hilfe von Neorevolutionären und deren Gesinnungsgenossen in den Revolutionsgarden los werden will. Die Tatsache, dass sich drei hohe Geistliche in Qom, dem hochangesehen Zentrum islamischer Lehre, offen hinter Mussawi gestellt haben, ist deutliches Zeichen von Rafsandschis Agitationen.
Noch ist unklar, ob Khamenei den „Vulkan der Frustrierten“ (so Rafsandschani) stoppen kann. Gelingt dies nicht, wird er zweifellos die Revolutionsgarden zu Hilfe rufen. Doch sie werden dafür einen Preis einfordern: Militärdiktatur in islamischem Kleid. Durch seine Fehleinschätzung wird der „Führer“ nicht nur seine im Laufe der Jahre verlorene Glaubwürdigkeit nicht wieder herstellen können, er wird auch unweigerlich einen beträchtlichen Teil der Macht einbüßen, um die er jetzt so bangt. Ob sich dies für die Iraner als Segen erweisen kann, ist allerdings keineswegs sicher.
Sonntag, 21. Juni 2009
Birgit Cerha: Die „Islamische Republik“ am Wendepunkt
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