Mittwoch, 17. Juni 2009

Birgit Cerha: „Tulpen wachsen aus dem Blut unserer Jugend“


Während das iranische Regime mit dem Schlag gegen die Opposition beginnt, vermag es das Volk nicht zu knebeln

„Ich will nicht mehr davonlaufen; ich will nicht mehr die Hände in den Schoß legen; ich will es nicht länger ertragen; es ist Zeit, mich zu wehren.“ Mit diesem kleinen Gedicht, verbreitet über das Internet, fasst eine junge Iranerin die Gefühle vieler Menschen zusammen, die sich durch Gewalt und Drohungen nicht mehr davon abhalten lassen wollen, in den Straßen gegen das Regime zu protestieren. Durch gezielte Verhaftungen führender Aktivisten, Menschenrechtler, Journalisten, begleitet von den strikten Bewegungseinschränkung für ausländische Medien, der Annullierung von Akkreditierungen für westliche Journalisten, kann das Regime jedoch der neuen Technologie nicht Herr werden. Der Kampf zwischen der sich nach Freiheit sehnenden Bevölkerung und den islamischen Diktatoren hat sich auch auf die Ebene des Internets verlagert und das Regime kann ihn, trotz intensiver Blockierungsversuche nicht gewinnen.

So dringen aus dem „Gottesstaat“ erschütternde Meldungen, Kommentare, Aufrufe, Fotos und Videos, die der Welt wenigstens ein wenig Einblick in die dramatischen Ereignisse bieten. Ein junger Mann etwa stellte ein Video in seinen Blog, das die Ermordung eines jungen Studenten in Isfahan durch Schlägertrupps des Regimes zeigt. Youtube habe den Film wieder abgesetzt, weil er unerträgliche Grausamkeit zeige, so der Kommentar des Bloggers. „Er zahlte sein Leben für die Freiheit“.

Der bewegende Kommentar eines anderen Bloggers, drückt die Hoffnung aus, die viele der Demonstranten und all jener, die die Protestbewegung sympathisierend beobachten, immer noch nicht verloren haben: „Tulpen wachsen aus dem Blut unserer Jugend.“

„Fürchtet euch nicht, wir stehen zusammen“, schreibt Nooshabeh Amiri in der reformorientierten Website „rooz“. „Es sieht aus wie 1979 (islamische Revolution), oder nicht? Doch 1979 hatte uns die Leidenschaft getrieben. Heute aber sind die Menschen wohl leidenschaftlich, doch zugleich weiser geworden. Sie gehen auf die Straßen, um zu sagen, was sie 1979 verschwiegen hatten: Wir stehen zusammen und stützen uns auf ein Prinzip. Wir haben unsere Hausaufgabe in Sachen Demokratie gemacht. Es muss tausende Male niedergeschrieben werden: Wir respektieren die Stimmen der anderen und die Tatsache, dass wir allein nicht die Wahrheit besitzen. Aufgrund dieser Erfahrung wissen wir, dass wir nicht zu Gewalt Zuflucht nehmen müssen.

In einem eindringlichen Appell wendet sich die derzeit im Ausland weilende Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi an das Regime, als ersten Schritt zur Beruhigung der explosiven Lage die verhafteten Aktivisten, darunter führende Menschenrechtler, Journalisten und Reformpolitiker (Abdol Fatah Soltani, Mohammad Ali Abtahi und Said Hajarian) freizulassen. Zu der Entscheidung des „Geistlichen Führers“ Khamenei, den „Wächterrat“ einen Teil der Stimmen neu auszählen zu lassen, meint Ebadi, dies würde „in der gegenwärtigen Situation nichts lösen“. Die Juristin schließt sich den Forderungen der Oppositionskandidaten Mussawi und Karrubi an: „Neuwahlen müssen abgehalten werden, doch diesmal unter Beobachtung internationaler Organisation“, um sicherzustellen, dass „die Stimmzettel die aus den Wahlurnen genommen werden, wirklich jene der Wähler sind“. Zugleich ruft Ebadi die Iraner auf, „friedlich zu demonstrieren“.

Menschenrechtsorganisationen äußerten sich Mittwoch sehr besorgt über den Gesundheitszustand Hajarians, der im Jahr 2000 als enger Berater Präsident Khatamis, bei einem Attentat fast ums Leben gekommen wäre und bis heute ständiger medizinischer Betreuung bedarf. Nicht nur in Teheran, auch in Tabriz, der Heimatstadt Mussawis, und anderen Städten wurden in den vergangenen Tagen mehr als hundert Menschen verhaftet.

Nach bisher unbestätigten Berichten wurde Dienstag Mohammad Asgari, verantwortlich für die Sicherheit des IT-Netzwerkes im iranischen Innenministerium, bei einem verdächtigen Autounfall in Teheran getöet. Asgari hat offenbar Beweise an die Öffentlichkeit gebracht, dass die Wahlen gefälscht worden waren. Laut Asgari hatte Mussawi 19 Millionen Stimmen erhalten und sollte danach eindeutig der neue Präsident sein.

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