Dienstag, 16. Juni 2009

Birgit Cerha: Proteste entlarven tiefe Spaltung im iranischen Regime


Die Konfrontation über die Wahlergebnisse erschüttert das islamische System in seinen Grundfesten

Die Szenen erinnern an die blutigen Studentenproteste in Teheran vor zehn Jahren unter Präsident Khatami. Der damalige Reformpräsident Khatami verweigerte den Demonstranten den Rückhalt. Tote waren zu beklagen und Hunderte wurden verhaftet und gefoltert. Die Studentenbewegung wurde zur Bedeutungslosigkeit eingeschüchtert. Doch im Gegensatz zu damals handelt es sich bei den Demonstrationen Hunderttausender Menschen, die brutalen Einschüchterungen durch das Innenministerium, Todesschüssen auf Protestierer trotzen und weiter in die Straßen ziehen, um ihrem Zorn über den manipulierten Wahlsieg Präsident Ahmadinedschads Luft zu lassen, nicht einfach um eine Volksbewegung. Die Demonstranten haben diesmal einen mutigen Führer, Mussawi, der – treuer Jünger Ayatollah Khomeinis – auch über beträchtlichen Rückhalt im Establishment verfügt, den Volkszorn offen teilt und es, im Gegensatz zu Khatami, wagt, sich vor die Protestierenden zu stellen. Vor allem aber setzt sich diese Massenbewegung aus vielen Angehörigen des islamischen Systems zusammen, teilen auch hohe Vertreter des Establishments über Ahmadinedschad und dessen unverhohlene Unterstützung durch den „Geistlichen Führer“ Ali Khamenei den Ärger der Masse.

Diese Entwicklung muss Khamenei erzittern lassen. Denn der Protest richtet sich in erster Linie gegen ihn und die von ihm so hemmungslos offen betriebene Wahlfälschung, mit der er sich weitere vier Jahre unter seinem Schützling-Präsidenten Ahmadinedschad sichern will. In Wahrheit geht es bei dieser explosionsgeladenen Auseinandersetzung im Iran längst nicht mehr primär um die Person des Präsidenten, auch nicht um Mussawi, dessen Reformwillen ohnedies Grenzen gesetzt sein dürften. Es geht um eine dramatische Eskalation eines Machtkampfes zwischen verschiedenen Kräften des Regimes: zwischen Khamenei und dem mächtigen Ex-Präsidenten Rafsandschani, zwischen den Neo-Fundamentalisten und Militaristen der Revolutionsgarden und paramilitärischen Bassidsch, die unter Führung ihres einstigen Mitglieds Ahmadinedschad den Iran zu den „reinen Idealen“ der Revolution zurückführen und von allen unliebsamen und korrupten Elementen, den Profiteuren des Systems, säubern wollen. Sie haben Khamenei auf ihrer Seite.

Auftakt zur Eskalation gab Ahmadinedschad in seinem Fernsehduell gegen Mussawi kurz vor dem Wahltag, als er massiv vor aller Öffentlichkeit seinen Erzfeind Rafsandschani, den er bei den Wahlen 2005 zwar besiegt hatte, doch der ihn immer wieder offen und massiv kritisiert, und dessen Söhne attackierte. Längst ist klar, dass Vorbereitungen zu einem Schlag gegen die Rafsandschanis und andere Kritiker und Gegner des Präsidenten bereits begonnen haben. Ohne Rückendeckung Khameneis hätte Ahmadinedschad Rafsandschani, immer noch einer der mächtigsten Männer im „Gottesstaat“ nicht derart bedrohen können.

Doch der Konflikt reicht viel tiefer. Große Meinungsverschiedenheiten über die Politik des „Gottesstaates“, über die Beziehungen zum „großen Satan“ USA, die Rafsandschani seit langem wieder herstellen will, lasten auf seinem 20-jährigen Zweckbündnis mit Khamenei. Rafsandschani ist der wohl engste Vertraute Khomeinis, der heute noch Fäden der Macht in Händen hält. Er war es gewesen, der den „letzten Wunsch“ des Revolutionsführers Khamenei übermittelte und damit die Nachfolge ermöglichte. Zugleich aber stört stets Rafsandschanis Ärger über die verfassungsrechtlich mächtigere Position des „Geistlichen Führers“ seit langem das Verhältnis der beiden. Khamenei war lange auf den im Ränkespiel der Macht weit gewiefteren Rafsandschani angewiesen, dies umso mehr, als es ihm nie gelang, den Respekt der Revolutionsführer seiner Generation zu gewinnen. „Es handelt sich heute um einen Kampf zwischen Khamenei und einer Generation, die ihre politische Macht und Legitimation nicht ihm verdankt“, analysiert der Iran-Experte Mehdi Khalaji. Auch die Tatsache, dass er bis heute, aufgrund seiner mäßigen religiösen Bildung nicht den vollen Rückhalt der hohen Geistlichen in der heiligen Stadt Qom erhielt, schwächte Khameneis Position.

Weil ihm der starke Rückhalt im System fehlte, baute sich Khamenei im Laufe der vergangenen Jahre seine eigene Hausmacht auf: Geheimdienst, Militär, Revolutionsgarden und paramilitärische Bassidsch. Aus diesen Kreisen kommt Ahmadinedschad, mit dessen Ideen sich Khamenei identifizieren konnte, wie nie zuvor mit einem Präsidenten. Als Ahmadinedschad schließlich Administration und Bürokratie von Technokraten säuberte und überall in das System gleichgesinnte Angehörige der Revolutionsgarden infiltrierte, stärkte er damit auch die Macht Khameneis, mit dem ihm bis heute eine Beziehung von „Lehrmeister und Schüler“ verbindet.

Zudem half Ahmadinedschads wilder Radikalismus Khamenei, sein Image als vergleichsweise moderater, besonnener Führer aufzubauen.

Mit den Revolutionsgarden, deren Oberkommandierender er ist und deren Führer er direkt bestellt, verbindet Khamenei eine Zweckgemeinschaft: Sie stützen seine Macht und er ermöglicht ihnen ihre höchst lukrative ökonomische Autonomie. Mit Ahmadinedschad als Präsidenten und den militärischen Einheiten hinter sich, wollte Khamenei es wagen, sich endgültig der so ungeliebten alten revolutionären Garde zu entledigen und mit den revolutionären Anti-Reformkräften, die Ahmadinedschad zu stärken und zu vereinen verstand, zu den „Idealen der Revolution“ zurückzukehren und eine neue Ära im „Gottesstaat“ zu beginnen.

Als Präsident zweier mächtiger Gremien, des „Schlichtungsrates“ und des „Expertenrates“, dank seines massiven politischen und ökonomischen Einflusses, besitzt Rafsandschani große Chance, solche Pläne, die seine eigene Existenz bedrohen, zu vereiteln. Schon gibt es Berichte, er sei nach Qom geeilt, um führende Geistliche zu einer Sondersitzung des „Expertenrates“ zu bewegen. Klares Ziel, entsprechend der Funktion dieses Gremiums: Khamenei des Amtes zu entheben. Rafsandschani hofft wohl, die Gefahr eines derartigen Schrittes werde reichen, um den „Geistlichen Führer“ zum entscheidenden Einlenken zu zwingen.

Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 17.06.2009

1 Kommentar:

  1. Von Georg Friedman: Western Misconceptions Meet Iranian Reality

    "That he (Ahmadinejad) won is not a mystery, the mystery is that others thought he wouldn't win"

    www.stratfor.com/weekly/friedman_on_geopolitics

    -Alfred

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