Freitag, 26. Juni 2009

Birgit Cerha: Terror versetzt Iraker erneut in Angst und Schrecken

Während sich US-Truppen bis 30. Juni aus den Städten zurückziehen, verschärften Extremisten und politische Gruppen ihren Kampf um Macht und Kontrolle
75 Tote in Kirkuk, 72 Tote in Bagdads Sadr City, 15 Tote auf einem belebten Markt in Bagdad. Seit Monaten verloren nicht mehr so viele Iraker bei Terroranschlägen ihr Leben wie in den vergangenen Tagen. Ziel der Attentäter, die auf belebten Plätzen zuschlagen, ist es offensichtlich, so viele Menschen wie möglich zu töten.

Der Zeitpunkt der Eskalation einer Gewalt, die die Iraker endlich zu überwunden gehofft hatten, liegt auf der Hand. Am 30. Juni werden sich die US-Besatzungstruppen aus allen Städten und Dörfern des Landes zurückgezogen haben. Nur in besonders kritischen Plätzen, wie Bagdad und die nördliche Stadt Mosul, immer noch ein Zentrum der Al-Kaida Terroristen, werden US-Militärs auch weiterhin ihre – wiewohl möglicherweise verminderte – Präsenz aufrecht erhalten.

Mehrfache Motive treiben Extremisten zu willkürlichem Töten gerade jetzt an. Al-Kaida im Irak und radikale Reste der gestürzten Baath-Partei Saddam Husseins sehen nun eine besondere Chance, das Land und die von den USA unterstützte Regierung zu destabilisieren, den Eindruck zu erwecken, dass die von den Amerikanern ausgebildeten irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage sind, die Bevölkerung vor Gewalt zu schützen und das Land in eine friedliche Zukunft zu führen. Der im Untergrund seit langem agierenden Baath, wie auch vielen von den Bagdader Behörden zutiefst enttäuschten arabischen Sunniten geht es letztlich darum, die Regierung Maliki zu Fall zu bringen. Insbesondere al-Kaida aber sieht den Irak als wichtiges Schlachtfeld gegen den Erzfeind USA. Sie wollen wohl US-Soldaten dazu bewegen, wieder in die Städte zurückzukehren und sich so als Ziel für ihren Terror zu präsentieren.

Es sind aber auch bittere Rivalitäten zwischen schiitischen Gruppen, die die Gewalt speisen. Die Milizen des schiitischen Rebellengeistlichen Moqtada Sadr sehen nun wieder eine Chance, die Regierungssoldaten, die im Vorjahr die Kontrolle über Sadr-City übernommen hatte, aus dieser Schiiten-Hochburg zu verjagen. Im Norden spitzt sich mit dem Rückzug der US-Truppen ein schwerer Konflikt zwischen Kurden und der Zentralregierung in Bagdad zu. Dabei geht es um den bis heute nicht gelösten Streit um die Ölstadt Kirkuk, wo US-Soldaten die Konfliktparteien auseinander halten.

Als erste Stufe eines endgültigen Abzugs aus dem Irak werden sich die US-Truppen ab 30. Juni nur noch außerhalb der Städte positionieren. Sie bleiben jedoch im Einsatz, um den irakischen Sicherheitskräfte, wenn nötig, beizustehen. Nach einem Ende des Vorjahres mit Bagdad abgeschlossenen Sicherheitspakt, der allerdings noch Ende Juli in einem Referendum vom Volk gebilligt werden muß, werden – fast - alle US-Soldaten bis Dezember 2011 das Zweistromland verlassen.

Die jüngste Terrorwelle steigert die Ängste vieler Iraker, dass das Land ohne US-Hilfe erneut in den Abgrund der Gewalt gerissen werden könnte. Scheich Fatih Hashif Ghitaa, ein schiitischer Geistlicher, der das „Al Thaqalayn Zentrum für strategische Studien“ führt und enge Bindungen

zu der heute herrschenden Elite unterhält, befürchtet, der US-Rückzug aus den Städten könnte sich als fataler Fehlschlag erweisen. „Nun wollen sie sich so eilig zurückziehen, wie sie gekommen waren. Plötzlich sagen sie uns: baut eure Demokratie selbst auf, dabei haben wir mit so vielen Problemen zu kämpfen: Sicherheit, Wirtschaft und Korruption.“ Al-Kaida werde zurückkehren, sagt Ghitaa voraus und der Terror sunnitischer Gruppen. Den irakischen Sicherheitskräften haben sich in den vergangenen Monaten nach unabhängigen Quellen als höchst ineffizient, inkompetent und korrupt erwiesen. Dominiert von Schiiten, misstrauen ihnen die arabischen Sunniten, aber auch die Kurden zutiefst. „Sie sind nicht von einem irakischen Identitätsgefühl und Patriotismus geprägt“, klagt ein sunnitischer Intellektueller. Die kommenden Monate werden zeigen, ob sie der neuen Herausforderung ohne US-Unterstützung gewachsen sind.

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