Dienstag, 23. Juni 2009

JEMEN: Im Jemen wächst die Macht der Aufständischen

Während Al-Kaida immer stärker Fuß fasst, ist der bitterarme arabische Staat vom Zerfall bedroht, mit enormen Gefahren für die ganze Region

Das Drama und Verwirrspiel um entführte Ausländer, darunter fünf Deutsche, im Jemen wirft ein Schlaglicht auf die wachsenden Gefahren, die diesem volksreichsten Staat auf der Arabischen Halbinsel drohen. Das bitterarme Land entgleitet zunehmend der Kontrolle seines Herrschers, Präsident Ali Abdullah Saleh, und ist auf dem besten Weg ein „gescheiterter Staat“ zu werden. Am südlichen Ende der Arabischen Halbinsel öffnet sich damit Kriminellen und Terroristen neben Somalia ein zweites „Paradies“, von dem aus sie auch wichtige Schiffahrtsrouten bedrohen können.
Der Jemen mit seinen 21 Millionen Bewohnern zählt zu den ärmsten Ländern der Welt und schon seit langem zu den instabilsten. Laut Kinderhilfswerk UNICEF sterben jährlich 84.000 Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung oder mangelnder medizinischer Versorgung. Die Sterblichkeitsrate von Neugeborenen liegt bei zehn Prozent. 45 Prozent der Bevölkerung leben nach Angaben der UNO von weniger als zwei Dollar im Tag, 15 Prozent müssen gar mit einem Dollar auskommen, 40 Prozent gelten als unterernährt. Mehr als zwei Drittel der Jemeniten sind unter 24 Jahre alt und eine immer größere Zahl findet keine Arbeit.

Ungeachtet amerikanischer Geheimdienst- und Militärhilfe hat es Saleh nicht geschafft, die vielfältigen Bedrohungen von seinem Land abzuwenden. Im Norden, wo sich auch das jüngste Entführungsdrama ereignet, ist im Vorjahr eine jahrelange blutige Rebellion gegen die Zentralregierung neu aufgeflammt. Die Rebellen, die zur schiitischen Minderheit der Saidi gehören, liefern den sunnitischen Regierungstruppen einen erbitterten Kampf. Ihr Ziel, das sie unter Abdulmelik al-Huthi blutig verfolgen, ist die Wiederherstellung der religiösen Rechtsordnung des 1962 gestürzten Saidi Imamats. Wichtige Motivation des Konflikts ist aber auch die große Armut in dem an Saudi-Arabien angrenzenden Siedlungsgebiet der Saidis.

Doch nun droht ein neu eskalierender Konflikt das Land vollends zu zerreißen. Unter der Bevölkerung des einst kommunistischen Volksrepublik Süd-Jemen, die sich 1990 an den Norden angeschlossen hatte und in einem kurzen, blutigen Bürgerkrieg 1994 vom Norden zum Verbleib im Staatsverband gezwungen wurde, verlieren zunehmend ihre Geduld mit der Zentralregierung in Sanaa, die den Süden ökonomisch ausgrenzt, Süd-Jemeniten einflussreiche Positionen in Regierung, Verwaltung und im Militär verwehrt und gezielt südjemenitsches Land kauft. Schon kam es wiederholt zu blutigen Konflikten und der Drohung erneuter Sezession. Zutiefst irritiert warnte Saleh jüngst, dass im Falle einer Loslösung des Südens, das gesamte Land in mehrere Teile zerfallen würde.

Der Konflikt hat sich jüngst dramatisch verschärft, als sich Tareq al Fadhli, ein prominenter Stammesführer und einstiger Verbündeter Salehs offen den Separatisten anschloß. Was Saleh aber besonders irritieren muß, ist die Tatsache, dass der Al-Kaida nahe stehende Islamisten die Frustrationen der Süd-Jemeniten für ihre Zwecke nützen. Seit langem dient der Jemen, dank der weitgehenden Autonomie der Stämme und der Unkontrollierbarkeit des Landes durch die Zentralregierung Al-Kaida Extremisten als Tummelplatz, dank seiner strategisch wichtigen Lage als Nachbar zu den reichen Ölstaaten am Persischen Golf und dem unkontrollierbaren, für sie „sicheren Hafen“ Somalia jenseits des Golfs von Aden, bietet sich der Jemen aus anderen Ländern vertriebenen Terroristen als idealer Zufluchtsort an. Im Januar verkündeten Extremisten die Gründung der „Al-Kaida in der arabischen Halbinsel“, eine Fusion zwischen dem jemenitischen und saudischen Terrornetz, das nun in Jemen eine permanente Präsenz aufzubauen sucht und sich den Sturz des mit den Amerikanern im Anti-Terrorkampf kollaborierenden Saleh zum Ziel gesetzt hat.

Saleh gelingt es nicht, die Stammesführer, von denen viele ihre eigenen Konflikte mit der Zentralregierung austragen, zur Abwehr dieser Gefahr zu mobilisieren und zur Auslieferung von Al-Kaida Extremisten an Sanaa zu überreden. Unter der großen Schar der perspektivlosen und bitterarmen jungen Jemeniten finden diese islamistischen Extremisten Zulauf. Die Krise im Jemen hat sich derart zugespitzt, dass jüngst sogar der Chef des US-Central Command, General David Petraeus, davor warnte, der Jemen könnte sich in ein zweites Afghanistan wandeln, in dem sich die Terrorgruppen frei bewegen und ihre blutigen Aktivitäten planen könnten.

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