Regime rückt zusammen, während frustrierte Bürger den zweiten Tag trotz Verhaftungen von Reformern Proteste wagen
„Jede Zelle meines Körpers erzittert. Es erscheint als fiele ich ins Koma.“ Mit solch dramatischen Worten beschreibt ein Iraner, der gerade noch eine Internetverbindung nutzen konnte, bevor das Regime diese Form der Kommunikation vollends blockierte, seine Gefühle nach dem so unerwartet erklärten Wahlsieg Präsident Ahmadinedschads. Hunderttausende Iraner verfielen in Schock und unzählige Mutige wagten es Sonntag, den zweiten Tag, ihrer tiefen Enttäuschung und Erbitterung in den Straßen iranischer Städte Luft zu machen. Um sich besser gegen die mit aller Härte zuschlagenden Polizeieinheiten zu schützen, setzten sich viele Iraner in ihre Autos und zeigten durch lautes Hupen ihren Protest. Wieder, wie in der Nacht auf Sonntag, erschallte der Ruf „Wir wollen Freiheit“ und „Tod dem Diktator“. Die Polizei, von der islamischen Führung zur Härte angehalten, setzte massiv Tränengas ein. „Wir werden Protestierer mit vollem Einsatz konfrontieren“, warnt der stellvertretende Teheraner Polizeichef, während führende Vertreter des Regimes das Volk auffordern, das Wahlergebnis zu respektieren.
Die Iraner hatten Freitag mit einer Rekordbeteiligung von mehr als 80 Prozent ihren neuen Präsidenten gewählt. Allgemein war davon ausgegangen worden, dass eine hohe Beteiligung den Hauptkandidaten der Reformer, Mir Hussein Mussavi begünstigen würde. Mussavi war es gelungen, einen großen Teil der Iraner aus ihrer politischen Lethargie zu reißen und ihnen Hoffnung auf eine „grüne Revolution“ (grün hatte er als Farbei seiner Gruppierung gewählt), auf Reformen und einen Ausbruch aus der quälenden internationalen Isolation gegeben. Angesichts der hohen Wahlbeteiligung hatte ein Vertreter des die Wahlen überwachenden „Wächterrates“ bekannt gegeben, dass mit einem Ergebnis für Teheran nicht vor Sonntag zu rechnen sei. Umso konsternierter zeigten sich viele Iraner als die Wahlkommission bereits fünf Minuten nach Schließung der Wahllokale den Sieg Ahmadinedschads verkündete und Samstag Mittag stand das offizielle Ergebnis – 62,6 Prozent für den Präsidenten und nur 33,75 Prozent für dessen stärksten Herausforderer Mussavi – fest. Mussavi erhielt nicht einmal die Mehrheit der Stimmen in seiner Heimatstadt Tabriz. Zudem zwingt dieses Wahlergebnis zu dem Schluß, dass diesmal auch viele Reformer ihre Stimme den in diesen Kreisen doch so verhaßten Präsidenten gegeben haben mussten. Niemand mag dies glauben und so wird vor allem unter Anhängern Mussavis und des ebenfalls populären Kandidaten Karrubi, der nicht einmal ein Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, den Verdacht massiver Wahlfälschung genährt.
Mussavi warnte, dass dieses Ergebnis zur „Tyrannei“ führen werde und kündigte eine Beschwerde beim „Wächterrat“ und dem „Geistlichen Führer“ Khamenei an. „Niemand hat eine Fälschung derartigen Ausmasses erwartet.“
Die „Islamische Republik“ erlebt dramatische Stunden. Viele Iraner fühlen sich um ihre Wahlen betrogen. Die Proteste beschränken sich nicht, wie vor zehn Jahren, auf Studenten, sondern erfassen alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen. Das herrschende Establishment rückt zusammen. Hinter den Kulissen versuchen Khamenei und seine Anhänger offensichtlich das Regime hinter Ahmadinedschad zu einen. Einflussreiche Kräfte unter den islamischen Führern und den hohen Geistlichen hatten dem Präsidenten im Wahlkampf demonstrativ die Unterstützung verweigert, darunter auch Parlamentspräsident Laridschani und der Chef der Justiz, Ayatollah Shahrudi, während Khamenei bereits seine Freude über Ahmadinedschads Wiederwahl kundtat. Der Präsident selbst pries die Wahlen als Hoffnung für die Zukunft des Irans. Sie seien „vollständig frei“ gewesen. Auch der dritte Gegenkandidat, der konservative Rezaie (der nur 1,7 Prozent erhielt) bestätigte die Legalität der Wahlen.
Doch eine Verhaftungswelle, die insbesondere führende Reformer, darunter Ex-Präsident Khatamis Bruder Mohammed Reza, traf, nährt das ohnedies schon starke Misstrauen unter der Bevölkerung. Mussavi, der noch Sonntag seine Anhänger zu Besonnenheit aufgerufen hatte, hüllt sich in Schweigen, was Gerüchten Auftrieb gibt, er stehe unter Hausarrest. Nicht bestätigte Berichte, Rafsandschani, der als Vorsitzender des mächtigen „Schlichtungsrates“ und des die Arbeit des „Geistlichen Führers“ überprüfenden „Wächterrates“ immer noch große Macht ausübt, hätte seine Funktionen aus Protest gegen Wahlmanipulation zurückgelegt, steigern die Unsicherheit, die das Land erfasst hat.
Sonntag, 14. Juni 2009
Birgit Cerha: Schock und Angst nach Wahlen im Iran
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen