Warum Irans „Geistlicher Führer“ mit den Traditionen brach und das Land damit in seine schwerste Krise seit der Revolution stürzte
„Es gibt kaum einen anderen Führer in der Welt, der größere Bedeutung im gegenwärtigen internationalen Geschehen besitzt“ und zugleich so stark im Hintergrund bleibt und „so wenig verstanden wird“, wie der „Geistliche Führer“ des Irans, Ayatollah Ali Khamenei. Mit diesen Worten leitet der Iran-Experte Karim Sadjadpour eine bemerkenswerte Studie der Weltsicht des mächtigsten Mannes im „Gottesstaat“ ein.
Dieser 68-jährige Geistliche, der zu den treuesten Schülern Revolutionsführer Khomeinis zählte, und seinen Aufstieg zum „Velayat-e Faqih“ (Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten und höchste Autorität) einer Notlösung nach dem Zerwürfnis zwischen Khomeini und dessen designiertem Nachfolger Ayatollah Montazeri verdankt, hält sich auch nach 20 Jahren der Herrschaft weitgehend bescheiden im Hintergrund. Bar des populistischen Charismas seines verstorbenen Mentors, scheut der Gottesmann mit dem ungepflegten weißen Bart das Rampenlicht und meidet Interviews. Doch in Wahrheit zieht er hinter den Kulissen die Fäden der Macht heute dank interner und geopolitischer Entwicklungen wie nie zuvor. Nun aber, am Höhepunkt der Macht angelangt, stürzte er durch fatale Fehlkalkulationen nicht nur das Land in seine schwerste Krise seit der Revolution, sondern rüttelt auch an den Grundfesten seiner eigenen Position.
Zum erstenmal wagten die von einem „weißen Coup“ des Regimes gegen seine internen Gegner überzeugten Massen um den offiziell bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni gegen den Amtsinhaber Ahmadinedschad unterlegenen Kandidaten Mussawi – wiewohl zaghaft aber dennoch – ein striktes Tabu zu durchbrechen und das Unerhörte zur rufen: „Nieder mit Khamenei“. Sie begriffen längst, dass der selbst in Kreisen des Establishments stark angefochtene Ahmadinedschad ohne Rückendeckung des „Geistlichen Führers“ seine Position nicht halten kann. Wie tief die Empörung Hunderttausender Khamenei erzittern läßt, zeigt seine Entscheidung, das Wahlresultat doch nochmals von dem für die Überwachung von Wahlen zuständigen „Wächterrat“ (ihm allerdings nahe stehenden) überprüfen zu lassen.
Selbst intime Kenner der iranischen Machtverhältnisse konnten kaum glauben, dass Khamenei ganz offensichtlich noch vor Ausszählung aller Stimmen den vom Innenministerium verkündeten überwältigenden Sieg Ahmadinedschads bestätigte und dies mit der deutlichen Warnung an alle politischen Fraktionen verband, das Ergebnis unter keinen Umständen anzufechten. Dieser im politischen Ränkespiel des „Gottesstaates“ so bewanderte Geistliche wagte damit einen eklatanten Bruch mit den politischen Traditionen der „Islamischen Republik“ mit ihrer einzigartigen Form der Herrschaft: Sie verbindet die absolute Autorität der Geistlichen, repräsentiert durch den „Höchsten Führer“, mit quasi demokratischen Elementen. Präsident und Parlament gehen aus regelmäßigen Wahlen hervor. Damit sichert sich der autoritär geführte Staat ein Ventil für den Willen des Volkes. Dieser wurde auch – freilich beschränkt – bisher respektiert. Warum entschied sich Khamenei dann plötzlich für offene Durchsetzung der Macht, die den Weg des Irans zur totalen Diktatur ebnen soll?
Dabei beschreiben alte Mitstreiter diesen Mann, dessen schwarzer Turban ihn als direkten Nachkommen des Propheten Mohammed ausweist, als einen „geheimen Gemäßigten“ mit großer Liebe zu Musik und Poesie. Die Tatsache, dass er – im Gegensatz zu den Gepflogenheiten traditionalistischer Geistlicher, eine Armbanduhr trägt, lasse gar einen Hang zur „Avant-Garde“ erkennen. Auch ist er über den ansonsten so weit verbreiteten Vorwurf der Korruption erhaben. Er führt, trotz seiner Machtposition, ein betont bescheidenes Leben. Iraner mit persönlichem Zugang zum „Führer“ meinen, er sei „weder Diktator, noch Demokrat“, doch vereine Züge von beiden in sich. Die Notwendigkeit, in diesem durch viele Fraktionen zersplitterten System aber die mächtigen radikalen Geistlichen in Schach zu halten, zwinge ihn häufig zu radikalen Positionen. Keine Entscheidung von nationalem Interesse ist ohne ihn möglich, doch bis zu diesen schicksalhaften Wahlen traf er sie stets durch Konsens und liebt es, sich dem Volk als großherziger Großvater zu präsentieren, der selbstlos über den Machtfraktionen steht und den „Gottesstaat“ auf dem Weg hoher Tugend lenkt – dies stets ernst und ohne Humor. Die Herzen der Iraner eroberte er auf diese Weise nicht. In seinem Balanceakt zwischen den Fraktionen favorisiert er stets die Konservativen gegenüber den Reformern. Niemand zweifelt daran, dass die Erhaltung des Systems, und damit auch seiner eigenen Macht, für diesen Geistlichen mit der überdimensionalen Hornbrille allerhöchste Priorität besitzt.
Doch es ist keineswegs nur Macht, sondern auch Ideologie, die Khamenei leitet und zu der er konsequent steht: „islamische Gerechtigkeit“, bedingungslose nationale Unabhängigkeit, ökonomische Autarkie, eine tiefe Abneigung gegenüber Israel (möglicherweise ausgelöst durch grausige Folter, die ihm der einst von Israelis ausgebildete Geheimdienst des Schahs zugefügt hatte) und einen bemerkenswert beständigen Haß auf die „Weltarroganz“ (USA), seit der Präsidentschaft George Bushs stets von ihm als der „leibhaftige Teufel“ beschimpft. Iran, sagte er einmal, „zieht Niederlage einem durch Ungerechtigkeit oder Unterdrückung erreichten Sieg vor“. Ein „kalter Krieg“ mit der Supermacht birgt deshalb für ihn geringere Gefahren als freundschaftliche Umarmung.
Tiefes Misstrauen gegen amerikanische Intentionen bestimmt Khameneis Position und dabei fürchtet er nichts so sehr wie die „Samtene Revolution“, den plötzlichen, vom Westen geförderten friedlichen politischen Wandel, wie ihn etwa Ost-Europa erlebte, geführt von pro-westlichen Intellektuellen. Als Mussawi es im Wahlkampf verstand, den frustrierten, sich nach Freiheit und Reformen sehnenden Massen neue Hoffnung zu geben, rückte das Schreckgespenst der „samtenen Revolution“ bedrohlich nahe.
Von hohen Geistlichen wegen seiner mangelhaften religiösen Bildung angefochten und von politischen Rivalen der alten revolutionären Garde nur widerwillig akzeptiert und nie voll geachtet, suchte sich Khamenei seine eigene Hausmacht. Er fand sie bei den Sicherheitskräften, bei den mächtigen Revolutionsgarden und Millionen von paramilitärischen Bassidsch. Aus diesen Kreisen entspringt Ahmadinedschad, mit dem Khamenei erstmals einen ihm ideologisch voll gleichgesinnten Präsidenten aufbauen konnte. In kürzester Zeit verstand es dieser Schützling des „Führers“, das politische Leben zu militarisieren, effiziente Technokraten in der Verwaltung, Bürokraten in wichtigen Positionen durch gleich gesinnte Revolutionsgardisten zu ersetzen. Dank Ahmadinedschad konnte Khamenei seine Macht im Lande stärken. Und gemeinsam schienen sie entschlossen, in einer zweiten Amtsperiode des Präsidenten die mächtigen politischen Rivalen der alten Garde – allen voran Ali Akbar Rafsandschani, Präsident zweier höchst einflussreicher Gremien - endlich auszuschalten und ihre Macht weiter auszubauen. Ahmadinedschad setzte in seiner TV-Diskussion gegen Mussawi im Wahlkampf, als er unvermittelt Rafsandschanis beide Söhne wegen Korruption massiv kritiserte, dafür den Auftakt. Eine derartige Attacke hätte der Präsident ohne Rückendeckung Khameneis nicht wagen können. Unter dem Deckmantel eines seit vier Jahren dem Volk versprochenen Kampfes gegen Korruption sollten – so der Plan – politische Gegner massiv ausgeschaltet werden.
Doch als Mussawi eine Massenbewegung vom Zaum brach, wurde Khamenei wohl seine Fehleinschätzung der Emotionen in der Bevölkerung und seine gravierende Glaubwürdigkeitskrise bewusst. Durch seinen „weißen Coup“ hoffte er, das durch drei Jahrzehnte islamischer Diktatur eingeschüchterte Volk vor unverrückbare Tatsachen zu stellen. Doch diesmal wollen die Iraner nicht resignieren. Das System kämpft nun mit einer beispiellosen Krise. Hinter den Kulissen holt Rafsandschani zum Gegenschlag aus. Er versucht den Expertenrat, dessen Vorsitzender er ist, zu einer Sondersitzung einzuberufen. Dieses Gremium besitzt die Macht, den „Geistlichen Führer“ abzuwählen. Khamenei aber ist auch ein Pragmatiker. Um seinen Sturz zu verhindern, könnte er sich zu weitgehenden Zugeständnissen, vielleicht sogar zu einer Neuwahl des Präsidenten, bereit finden. Zunächst hofft er, durch ein Überprüfungsverfahren des Wahlergebnisses Zeit zu gewinnen, in der sich der Volkszorn legen und die Menschen, erneut tief eingeschüchtert, von den Straßen abziehen würden. Gelingt dies nicht, könnte die Krise zur Unkontrollierbarkeit eskalieren. Die große Unbekannte dabei ist, ob Khamenei, selbst wenn er dem Land ein Blutbad ersparen und zurückstecken will, überhaupt noch in der Lage ist, die um ihre Macht bangenden Geister, die er rief – die Militärs, Revolutionsgarden, Bassidsch und nicht zuletzt auch sein Schützling Ahmadinedschad – unter Kontrolle zu halten.
Erschienen im "Rheinen Merkur" am 18.06.2009
Dienstag, 16. Juni 2009
Birgit Cerha: Ali Khameneis „weißer Coup“
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