Wahlverfahren ermöglichen massive Manipulation, die ungeachtet des Einsatzes von Überwachungskomitees kaum verhindert werden kann
Selbst Kritiker der Herrschaft der Geistlichen gestehen ein, dass Wahlen in der „Islamischen Republik“ demokratischen Grundsätzen weit eher gerecht werden als in anderen von Autokraten regierten Ländern der Region. Die besonders lebhafte Kampagne der vier Kandidaten für die Präsidentschaftswahl am 12. Juni, bestätigt dies.
Dennoch: Abgesehen von der Tatsache, dass der seine Parteilichkeit zugunsten des konservativen Establishments gar nicht verhehlende „Wächterrat“ nur „genehme“ Personen kandidieren lässt, haben auch Wahlmanipulationen Tradition. So ist der Kandidat Mehdi Karrubi überzeugt, dass er bei den Präsidentschaftswahlen 2005 durch Fälschung und den massiven Einsatz der Revolutionsgarden und Bassidsch-Miliz um den Eintritt in die Stichwahl gegen Rafsandschani betrogen und so der überraschende Sieg des weitgehend unbekannten Ahmadinedschad ermöglicht wurde.
Diesmal aber haben sich nicht nur die beiden von Reformern unterstützte Kandidaten – Karrubi und Mussavi – sondern auch Kräfte innerhalb des Establishments zusammengetan, um Manipulation zu vereiteln. Mehrere Entwicklungen haben Gegner Ahmadinedschads alarmiert:
Durch kaum verschleierte Unterstützungs-Erklärungen für den Präsidenten, gab der „Geistliche Führer“ Khamenei den Revolutionsgarden und Bassidsch, deren Oberkommandierender er ist, „grünes Licht“ zur Einmischung in den Wahlprozeß. Ein hoher Geistlicher in Qom setzte sich in einer „Fetwa“ (islamisches Rechtsgutachten) klar für Wahlmanipulation zugunsten jenes Kandidaten ein, der islamischen Prinzipien höchste Achtung schenkt – gemeint ist Ahmadinedschad. Als Autor gilt dessen geistlicher Mentor, Ayatollah Mesbah Yazdi.
Ein von Karrubi und Mussavi eingesetztes „Wahl-Überwachungskomitee“ stellt in einem offenen Brief die Frage, warum bei einer vom Ministerium genannten Anzahl von 57 Millionen Wahlberechtigten 59,6 Millionen Stimmzettel mehr gedruckt worden seien und warum die Zahl der Stempel, mit denen die Wahllokale ihre Auszählungsberichte versehen müssen, doppelt so hoch sei, wie die Zahl dieser Lokale. Die Aufgabe zur Überprüfung von mehr als einem Drittel der Wahlurnen sei von der (neutraleren) Polizei an die Revolutionsgarden übertragen worden, „was dem Gesetz widerspricht“. In einem offenen Brief an den Präsidenten beschweren sich Beamte des Innenministeriums, dass jüngst „mehr als 70 Prozent der für die Durchführung und Überwachung der Wahlen Verantwortliche“ ausgetauscht worden seien. Der Verdacht, dass Ahmadinedschad mit solchen Methoden seine Wiederwahl zu sichern sucht, liegt auf der Hand.
Unterdessen warnten jedoch zahlreiche Justizbeamte deutlich vor Wahlmanipulationen und Ex-Präsident Rafsandschani richtete mit Millionen von Dollar ein elektronisches Netzwerk unter Führung des von ihm geleiteten mächtigen „Schlichtungsrates“ ein, das im Falle von Wahlfälschungen sofort Alarm schlagen soll.
Dennoch lassen sich Manipulationen kaum verhindern. Die Schwächen des Systems sind eklatant. Die Tatsache, dass es keine Wählerregistrierung gibt, sondern die Wahlberechtigung einzig durch die Geburtsurkunde bestimmt wird und der Urnengang nicht an den Wohnort gebunden ist, lässt viele Möglichkeiten – vor allem auch der Doppelwahl - offen. In früheren Wahlen hatte laut Klagen von Reformern das Khamenei unterstehende „Imam Khomeini Komitee“, eine soziale Organisation, Geburtsurkunden von armen Iranern „gemietet“. Nach Schließung der Wahllokale begann die „eigentliche Arbeit“. Zudem nennen verschiedene Regierungsbüros unterschiedliche Zahlen von Wahlberechtigten, was zu starker Verwirrung beiträgt. Laut „Nationaler Organisation für die Registrierung von Bürgern“ sind weit mehr Geburtsurkunden im Umlauf als es iranische Bürger gibt, da dieses Dokument häufig in Todesfällen nicht annulliert wird. Reformer behaupten, dass bei den Wahlen 2005 mehr als zwei Millionen ungültige Geburtsurkunden von Bassidsch und anderen verwendet worden seien.
Auch die hohe Zahl der Analphabeten – mehr als 20 Prozent der Bevölkerung – öffnet Fälschern die Tore. Da Bürger auf den Wahlzetteln den Namen ihrer Wahl niederschreiben müssen, gestattet die Regierung Freiwilligen, meist Bassidschis, Analphabeten im Wahllokal beizustehen. Zudem gibt es in diesen Wahlen 14.000 mobile Wahlurnen für Kranke, Alte oder das Militär, mehr als zehnmal so viele wie bei vorangegangenen Wahlen. Eine ordnungsgemäße Kontrolle ist in diesen Fällen äußerst schwierig. Am meisten aber irritiert Kritiker der zweistufige Auszählungsprozeß. Die ausgezählten Stimmen werden in jedem Wahllokal in Gegenwart von Vertretern der Kandidaten, des Innenministeriums und des Wächterrates in das „Formular 22“ eingetragen und, nicht veröffentlicht, an das Innenministerium gesendet, dort nochmals – ohne unabhängige Überwachung - ausgezählt und dann publiziert.
Dennoch besteht unter Kennern die Überzeugung, dass bei einer hohen Wahlbeteiligung und einer überwältigenden Mehrheit für einen Kandidaten – wie 1997 im Falle Khatamis – Manipulationen das Resultat nicht entscheidend verändern können.
Donnerstag, 11. Juni 2009
Birgit Cerha: Nach Schließung der Wahllokale beginnt „die eigentliche Arbeit“
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