Die Herausforderer des iranischen Präsidenten gewinnen an Stärke – Militär könnte den Ausschlag für den Wahlausgang geben
In Teheran steigt die Hochspannung. Wahlkampagnen lähmen die Stadt, in die der um Wiederwahl am 12. Juni werbende Präsident Ahmadinedschad Tausende Anhänger in Bussen in zu karnevalartigen Massenkundgebungen karren lässt. Zugleich demonstrieren die Herausforderer ihre wachsende Stärke. Anhänger von Mir Hussein Mussavi formierten sich zu einer „menschlichen Kette“, die sich über mehr als 20 km vom Norden zum Süden der Hauptstadt erstreckte.
Wahlprognosen haben im Iran eine große Tradition der Fehlschläge. So bleiben politische Analysten auf Beobachtung, Schätzungen und auf ihr Gefühl angewiesen. Wenige hegen Zweifel daran, dass die starken Persönlichkeiten, die Ahmadinedschad herausfordern, die Iraner aus ihrer jahrelangen politischen Lethargie gerissen haben. Eine hohe Wahlbeteiligung, davon sind Reformer überzeugt, wird dem Präsidenten zum Verhängnis.
Unter den drei Gegenkandidaten werden einhellig Mussavi, ungeachtet seines fehlenden Charismas die größten Chancen eingeräumt. Zwei Jahrzehnte lang hatte der 67-jährige Architekt und Maler, einst begeisterter Jünger von Revolutionsführer Khomeini, politisch geschwiegen. Als er überraschend, von Teilen des zerstrittenen Reformlagers unterstützt, seine Kandidatur anmeldete, da wussten nur wenige der unter 30-jährigen Bevölkerungsmehrheit mit seinem Namen etwas anzufangen, während die Älteren den ehemaligen Premierminister (1982 bis 1989) mit „goldenen Zeiten“ des Irans assoziieren. Mussavi hatte sich in der Zeit des iranisch-irakischen Krieges (1980 bis 1988) als hervorragender ökonomischer Manager erwiesen.
Stark mit der Ideologie der ersten Revolutionsjahre behaftet, bezeichnet sich Mussavi als „prinzipientreuer Reformer“, in der – berechtigten – Hoffnung, viele Stimmen aus den beiden in sich gespaltenen Hauptlagern – den Reformern und den Konservativen, genannt „Prinzipientreue“ – anzuziehen. Wie seine Rivalen, konzentriert Mussavi seinen Wahlkampf auf das Versprechen des „Wandels“, auf scharfe Kritik an Ahmadinedschads Wirtschafts- und Außenpolitik. Er verheißt „Rückkehr zu Stabilität und Vernunft“, bereit zum Dialog mit dem „großen Satan“ USA, doch nicht zur Aufgabe des Atomprogramms. Er will Ex-Präsident Khatamis Weg der Reformen beschreiten, zugleich aber den „islamischen Werten der Revolution“ treu bleiben. Mit dem Bekenntnis zur Förderung langfristiger Investitionen, Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Kampf gegen Korruption spricht er die Hauptsorgen vieler Iraner an. Seine Zielgruppe sind die städtische Mittelschicht und gebildete Jugend, während sich Ahmadinedschad auf die arme ländliche Bevölkerung konzentriert. Als Angehöriger der nach der persischen Mehrheit mit etwa 24 Prozent größten Bevölkerungsgruppe des Irans, kann er auch mit starker Unterstützung der Azeris rechnen. Auch viele Frauen dürften mit ihm sympathisieren, denn sein Versprechen von Stärkung der Gleichberechtigung gewinnt durch den im Iran einzigartigen Einsatz seiner Frau in diesem Wahlkampf an Glaubwürdigkeit: Die Politologin, Poetin und Künstlerin Zahra Rahnavard wurde durch ihr entschlossenes Engagement für Frauenrechte zur Ikone der Iranerinnen in diesem Wahlkampf.
Dennoch ist bisher ungeklärt, inwieweit Mussavi seine eigenen politischen Ansichten reformiert hat. Iraner der älteren Generation vergessen nicht, dass unter seiner Amtszeit als Premier die gesamte Opposition liquidiert wurde. Viele Reformer dürften aber trotzdem bereit sein, Mussavi ihre Stimme zu geben, weil er einen starken Teil des Establishments hinter sich hat und damit die größten Chancen gegen Ahmadinedschad besitzt.
Liberale, Menschenrechtsaktivisten, auch viele Studenten und Journalisten stehen hinter dem 72-jährigen Mehdi Karrubi, dem einzigen Geistlichen in diesem Wahlkampf. Zweimaliger Parlamentspräsident (1989 bis 92 und 2000 bis 2004), bewies er, dass er politische Konfrontation mit den mächtigen Konservativen im Establishment nicht scheut. Er unterscheidet sich von Ahmadinedschad in nahezu allen politischen und ökonomischen Fragen und besitzt auch wichtigen Rückhalt in einflussreichen Kreisen der Geistlichen. Im Gegensatz zu Mussavi, hat er auch einen starken Hang zu Populismus und verspricht Öleinnahmen im ganzen Volk zu verteilen. Auch unabhängige Iraner sind davon überzeugt, dass massive Wahlmanipulation Karrubis Chance schon 2005 Präsident zu werden, zunichte gemacht hatten.
Mohsen Rezaie, der 57-jährige „Prinzipientreue“, der das Lager der Konservativen spaltet, hat kurz vor der Wahl an Zulauf gewonnen. Studierter Ökonom und 16 Jahre lang, insbesondere während des Krieges gegen den Irak, Chefkommandant der Eliteeinheit der Revolutionsgarden, ist Rezaie ein eingestandener Konservativer und dennoch schärfster Gegner Ahmadinedschads, dem er vorwirft, das Land „an den Abgrund zu reißen“. Seit Jahren führendes Mitglied des einflussreichen „Schlichtungsrates“, kritisiert er trotz seiner militärischen Laufbahn heftig die von Ahmadinedschad eingeleitete Militarisierung des politischen Lebens Rezaies Kandidatur besitzt vor allem deshalb Bedeutung, weil er das Lager Ahmadinedschads schwächen dürfte.
Politische Analysten in Teheran sind davon überzeugt, wenn es Ahmadinedschad nicht gelingt, im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der gültigen Stimmen zu erhalten und damit eine Stichwahl nötig wird werden seine Chancen auf eine zweite Amtszeit rapide sinken, da sich die Gegner zu einem massiven Votum mobilisieren dürften.
Dienstag, 9. Juni 2009
Birgit Cerha : „Menschliche Kette“ gegen Ahmadinedschad
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