Die Parlamentswahlen am 7. Juni sind schicksalhaft nicht nur für das Land, sondern für die gesamte Region
Selten fanden Parlamentswahlen in einem kleinen Land derartige internationale Beachtung, wie jene, die am 7. Juni im Libanon mit seinen kaum vier Millionen Bewohnern über die Bühne gehen werden. Der Einsatz ist hoch und die Auswirkungen dürften die ganze Region treffen. Saudi-Arabien und Iran, die USA und Russland, Frankreich, Katar, Syrien, Ägypten und Bahrain, die UNO und die Europäische Union, alle haben ihre ganz besonderen Interessen in diesem kleinen Levantestaat: Wird sich der Libanon voll nach Westen orientieren oder in das Lager der „Pariah-Staaten’“ Syrien und vor allem Iran eingliedern?
Zwei Hauptlager – die von den USA und Europäern, vor allem auch Saudi-Arabien unterstützte Koalition des „14. März“, die bisher die Mehrheit hält, und die Allianz des „8. März“ unter Führung der pro-syrischen Hisbollah liefern einander einen erbitterten Wahlkampf, der an Groteskem alles übertrifft, was dieses krisengeschüttelte Land mit seiner eigenartigen Demokratie bisher wohl erlebte. 587 Kandidaten bewerben sich um 128 Parlamentssitze. Mit – fast – allen Mitteln kämpfen die Parteien um Stimmen. Frustriert bemerkt dazu ein libanesischer Intellektueller: „Bei einem Blick auf die Wahlplakate in den Straßen Beiruts gewinnt man den Eindruck, dass sich die Grundprobleme des Landes auf die Frage reduzieren: Kann man die schiitische Hisbollah unterstützen und trotzdem sexy sein?“
Neben Sex versuchen die Kandidaten durch eine beispiellose Schlammschlacht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. In Talk-Shows im Fernsehen, bei Wahlveranstaltungen oder im privaten Kreis schleudert man den politischen Rivalen die erstaunlichsten Beleidigungen entgegen. „Lügner“ und „Dieb“ zählen dabei noch zu den Harmlosigkeiten. Der Wahlkampf hat sich derart aufgeheizt, dass Parteiführer, wie der mit Hisbollah alliierte christliche Maronit Suleiman Frandschieh nicht davor zurückschrecken, selbst Anhänger als „Hunde“ oder „Eseln“ zu beschimpfen. „Ich habe 30.000 Idioten in diesem Ort“, rief Frandschieh einer Versammlung im nordlibanesischen Zgharta entgegen. „Wenn einer von euch es wagt, während der Wahl seine Faust zu erheben, dann bekommt er es mit mir zu tun.“ Auf diese Weise will Frandschieh kommenden Sonntag die Ruhe in seinem Wahlkreis sichern.
Viele leidgeprüfte Libanesen aber meinen, noch schlimmer als dieses niedrigste politische Niveau sei die Geldschwemme aus dem Ausland. Nach manchen Berichten sollen in den vergangenen Wochen mehr als 700 Mio. Dollar in den Wahlkampf geflossen sein, „einzigartig in echten Demokratien wenn man die Summe auf die Bürgerzahl umschlägt“, entrüstet sich der angesehene „Daily Star“. Größter Geldgeber ist nach unabhängigen libanesischen Quellen, die ungenannt bleiben wollen, der Iran, gefolgt von Saudi-Arabien, die beide gegensätzliche Lager unterstützen. Teheran soll seinen Agenten, Klienten und Verbündeten „mehr Geld zugeschoben haben, als diese einsetzen können“.
Stimmenkauf betrachten auch die Saudis, die unter allen Umständen einen Sieg der mit ihnen verbündeten Koalition des 14. März“ erreichen wollen, als effizienteste Wahlkampfmethode. Riad setzt vor allem auf die riesigen libanesischen Gemeinden im Ausland, die nur in der Heimat ihre Stimmen abgeben dürfen. Zu Tausenden landen aus Nordamerika, Australien, Europa und den Golfstaaten seit Tagen in Beirut. Viele von ihnen werden in Hotels untergebracht. Flug- und Logiekosten – laut „Daily Star“ in Höhe von 1.5000 bis 3.000 Dollar pro Person – werden von libanesischen Politikern mit saudischem Geld übernommen.
Ungeachtet dieses harten Wahlkampfes ist ein Ausgang mit ganz knapper Stimmenmehrheit gewiß. Meinungsumfragen sagen dem Block des „8. März“ einen schwachen Sieg voraus. Als entscheidend dafür aber werden sich die Stimmen des christlichen Lagers erweisen, das tief gespalten ist. Der ehrgeizige Ex-General Michel Aoun hat einen Pakt mit Hisbollah geschlossen, andere christliche Gruppen stehen im Lager der vom Sunniten Saad Hariri geführten Allianz des „14. März“.
Erweisen sich die Prognosen als richtig, dann wird der Libanon nicht aus seinem jahrelangen politischen Patt herausfinden. Hisbollah verspricht zwar auch als Sieger mit der Koalition des „14. März“ eine Regierung bilden zu wollen, doch Hariri will davon nichts wissen. Bildet die Hisbollah-Allianz eine Alleinregierung, dann droht dem Libanon wirtschaftlicher und diplomatischer Boykott, ein Stopp der US-Hilfe und der lebenswichtigen Unterstützung des libanesischen Pfundes durch die Saudis. Iran würde zwar in seinem bemühen, ein Netz mit ihm sympathisierender Regime in der Region aufzubauen, einen wichtigen Erfolg erzielt haben, doch der erhofft Versöhnungsprozess mit den USA könnte damit blockiert sein. Und schon hat Israel zu verstehen gegeben, dass es einen sieg der Hisbollah nicht hinnehmen wolle und für diesen Fall militärisch gerüstet sei.