Sonntag, 7. Juni 2009

Birgit Cerha: Eine mächtige Front gegen Ahmadinedschad

Der Wahlkampf illustriert die tiefe Kluft in der iranischen Bevölkerung - -Doch selbst im konservativen Establishment formieren sich die Gegner des Präsidenten
„Freiheit ist unmöglich mit Ahmadinedschad“ , brüllen tausende, überwiegend jugendliche Iraner in den Straßen Teherans, bei Werbeveranstaltungen für die Präsidentschaftswahlen am 12. Juni in anderen Städten des Landes. „Bye, bye Ahmadinedschad! Laß uns in Ruhe!“. Mit grünen Flaggen demonstrieren sie ihre Sympathie für den 72-jährigen Mir Hussein Mussavi, einen der drei Herausforderer des amtierenden Präsidenten. Mit Bedacht hatte der Architekt und Premier der turbulenten 80er Jahre das Grün für seine Kampagne gewählt, die Farbe des Propheten Mohammed.Jugendliche des „anderen“ Lagers verteilen eifrig Fotos des Präsidenten, der sich in immer wilderen Tönen eine zweite vierjährige Amtszeit sichern will.

Hatte es vor kurzem noch so ausgesehen, als wäre Ahmadinedschad, wie jedem Präsidenten der Islamischen Republik vor ihm, eine Wiederwahl sicher, gewinnen seine Gegner nun zunehmend an Stärke. Der Wahllampf beginnt die Massen aus ihrer politischen Lethargie zu reißen, in die sie durch das Scheitern des Reformpräsidenten Mohammed Khatami seit 2005 versank. Die heftige Kampagne illustriert deutlich eine tiefe Kluft, die sich durch die iranische Gesellschaft zieht: auf der einen Seite die Armen, überwiegend ländliche Bevölkerung, die Ahmadinedschad 2005 dank einflussreicher Hilfe mobilisieren konnte; auf der anderen Seite die Gebildeteren, ein beträchtlicher Teil der städtischen Bevölkerung, die sich nach nach Reformen sehnt.

Der Wahlkampf ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig für die „Islamische Republik“. Nach Vorbild des „Großen Satans“ USA erhielten die Kandidaten erstmals die Chance zu einer direkten Konfrontation im staatlichen Fernsehen. Und zum erstenmal engagiert sich auch die Frau eines der Kandidaten – Mussavi -, Sahra Rahnaward, als aktive Verfechterin der Frauenrechte insbesondere unter den jüngeren Iranerinnen populär, im Wahlkampf.

Das Fernsehduell mit Mussavi in der Vorwoche könnte sich allerdings für den Populisten Ahmadinedschad als Bumerang erweisen. Der mächtige Ex-Präsident Rafsandschani droht ihm mit einer Klage, weil er seine Söhne unverhohlen als korrupt bezichtigt hatte. „Es war die Nacht, an der die Moral starb“, kommentiert der prominente Reformer Abtahi. Ahmadinedschad hatte auch noch den an einer Teheraner Universität lehrenden Mussavi und dessen Frau vorgeworfen, sie hätten sich ihre Qualifikationen erschlichten. „Hat das Land keine anderen Sorgen“, konterte erbost Sahra Rahnaward und präsentierte der Öffentlichkeit ihr Doktordiplom. Selbst der „Geistliche Führer“ Ali Khamenei, schaltete sich mit vorsichtiger Kritik an dem Präsidenten ein.

Ahmadinedschad, der sich in den vergangenen vier Jahren das Image des „Präsidenten der Entrechteten“ aufgebaut hatte, wirbt nun um die Unterprivilegierten, indem er sich selbst als „Opfer“ einer wachsenden Front von Gegnern präsentiert. Dabei, so will er dem Volk vor eindrucksvollen Fotos iranischer Atomanlagen und Raketenrampen klarmachen, sei er es, der dem Iran zu neuer Würde und strategischer Stärke verhelfe.

Die Bilanz der vier Jahre Ahmadinedschad sind das zentrale Thema dieses Wahlkampfes. Die drei Herausforderer – Mussavi und Karrubi, beide dem Reformlager nahe, und der konservative Ex-Chef der Revolutionsgarden Rezaie – haben ihr Programm auf Basis der Fehlschläge des Präsidenten definiert: katastrophale Wirtschaftslage mit einer 30-prozentigen Inflation, der höchsten der Welt, wachsende Arbeitslosigkeit (inoffiziell mehr als 20 Prozent), die durch hemmungslose Verteilungspolitik an die Armen alarmierende Ausschöpfung des aus Ölfeldern gespeisten staatlichen „Stabilisierungsfonds“; internationale Isolation dank Ahmandiendschads aggressiver Außenpolitik, sowie die zunehmend Militarisierung des politischen Lebens. „Man kann den Mangel an wirtschaftlicher Macht nicht durch Atomtechnologie, Raketen und Verbaldrohungen im Libanon oder in Palästina ausgleichen“, kritisiert ein iranischer Politologe.

Alle drei Herausforderer setzen sich für Verhandlungen mit den USA ein, allerdings unter leicht unterschiedlichen Vorzeichen. Doch ein Stopp des Atomprogramms bleibt Tabu.Zunehmend hat das Unbehagen über Ahmadinedschads Stil und Strategie mächtige Vertreter des Establishments erfasst. Sie versuchen nun mit voller Intensität und in der Überzeugung, dass Ahmadinedschad „das gesamte System bedroht“ (so der politische Analyst Kaviani), eine Front gegen den Präsidenten aufzubauen. Führende Rolle dabei spielt Rafsandschani, seit langem „Königsmacher“ im „Gottesstaat“, aber auch andere Prominente mobilisieren sich, wie Nateq Nuri und Ex-Außenminister Velayata, beide enge Vertraute Khameneis, sowie der konservative Parlamentspräsident Laridschani, Teherans Bürgermeister Qalibaf und hohe Geistliche in der heiligen Stadt Qom, die einst Ahmadinedschad den Rücken gestärkt hatten. Sie alle hoffen, dass sie Khamenei, der bisher klar seine Unterstützung des Präsidenten angedeutet hatte, auf ihre Seite ziehen und damit den ungeliebten Präsidenten endgültig aus der Politik verbannen können.