Montag, 15. Juni 2009

Birgit Cerha: Khameneis Coup und die Tage des Zorns

Analyse

Eine vom Regime betrogene Massenbewegung rüttelt an den Grundfesten der „Islamischen Republik“
Derartiges hat Irans Hauptstadt seit drei Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Seitdem Millionen Iraner unter den Rufen Ayatollah Khomeinis den mächtigsten Militärherrscher des Mittleren Ostens gestürzt hatten, wagten sich nicht mehr so viele, durch Jahrzehnte der islamischen Diktatur eingeschüchterte Menschen zum politischen Protest in die Straßen.
Selbst die Warnung des Innenministeriums vor dem Einsatz von tödlichen Waffen, sollten über den offiziell verkündeten Sieg Präsident Ahmadinedschads vergangenen Freitag erzürnte Bürger ein Demonstrationsverbot ignorieren, schreckte Zehntausende nicht davon ab, den dritten Tag ihre Fäuste gegen die „Tyrannen“ zu erheben und Neuwahlen zu fordern. Fast über Nacht, so scheint es, hat sich das Gesicht des Irans radikal gewandelt. Die sich nach Freiheit und einem würdevollen Leben sehnenden Menschen wollen nicht wieder – wie nach den acht Jahren des gescheiterten Reformpräsidenten Khatami – die gnadenlose Vernichtung ihrer Träume hinnehmen und erneut in tiefe Apathie verfallen. Mit einer solchen Reaktion hatte der mächtigste Mann im „Gottesstaat“, der „Geistliche Führer“ Khamenei, aber gerechnet, als er vergangenen Freitag den Wahlsieg seines Favoriten, Ahmadinedschad, durchsetzte.

Unter der gebildeten Mittelschicht, in weiten Kreisen der städtischen Bevölkerung, herrschen Wut und Angst und die feste Überzeugung, dass die Wiederwahl Ahmadinedschads in Wahrheit nichts anderes sei als ein „Coup“ des „Führers“. Über Websites und Blogs verbreitete Gerüchte, Ahmadinedschad, der offiziell mit 63 Prozent die weitaus stärkste Stimmenzahl erhalten hatte, sei tatsächlich hinter Mussavi und Karrubi nur an dritter Stelle gelandet, steigern Zorn und zugleich ein starkes Gefühl der Ohnmacht. Eine junge Generation ist herangewachsen, die Revolutionswirren und acht Kriegsjahre (1980 bis 1988 gegen den Irak) nicht erlebt hatte und sich nicht mehr bereit zeigt, jeden Preis für ein ruhiges Leben zu bezahlen, vor allem nicht jenen der Freiheit.

Die Regierung, Khamenei, wurden von der Stärke des Zorns überrascht. Deshalb gelang es Mussavi auch Sonntag abend, vom „Führer“ die Zusage einer Überprüfung des Wahlergebnisses zu erwirken, verknüpft mit der klaren Warnung vor weiteren Demonstrationen. Die iranische Verfassung sieht eine derartige Möglichkeit vor. Diese Aufgabe aber obliegt dem „Wächterrat“, der die Wahlen organisiert und überprüft hatte und der von Anhängern Ahmadinedschads dominiert wird. Sein Sekretär, der radikale Ayatollah Jannati, hatte sich schon im Wahlkampf wiederholt energisch für eine zweite Amtsperiode des Präsidenten eingesetzt. Dass der Wächterrat nun das Ergebnis korrigieren wird, erscheint unvorstellbar. Diese Strategie soll lediglich die Massen beschwichtigen und entmutigen, damit Ahmadinedschad mit Rückendeckung Khameneis den Startschuss zu Irans „dritter Revolution“ (die erste und zweite fanden 1979 mit dem Sturz des Schahs, gefolgt von der Besetzung der US-Botschaft statt) geben kann: „zurück zu den Werten der Revolution“, „Säuberung der korrupten Beamten“ und Zementierung der Macht islamischer Radikaler, abgestützt durch die Revolutionsgarden und paramilitärischen Bassidsch.

Nur eine anschwellende Massenbewegung des Volkes kann solche Pläne vereiteln. Mussavi hat sich – bisher – nicht der Entscheidung des „Führers“ gefügt. Er fordert Neuwahlen und kündigt einen für das Regime höchst peinlichen Sitzstreik beim Grab Khomeinis an. In dieser hoch angespannten Atmosphäre kann ein kleiner gewaltsamer Zwischenfall eine Explosion auslösen. Die hohen Geistlichen in Qom, von denen einige Ahmadinedschad die Unterstützung versagen, schwiegen bisher zu den Protesten ebenso wie zum Wahlergebnis. Ihre Position dürfte darüber entscheiden, ob Khamenei den geplanten Schritt zur totalen Despotie mit katastrophalen Folgen vor allem für jene, die sich jetzt für Freiheit und Mitbestimmung eingesetzt hatten, setzt oder ob er sich der Masse fügt und eine Neuwahl ermöglicht.

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