Dienstag, 30. Juni 2009

Birgit Cerha: Die Glut glimmt unter der Asche

Khameneis Wahlmanipulation und brutale Gewalt haben die Islamische Republik für immer verändert

„Wie stets in normalen Zeiten rollt der Verkehr durch Teheran. Die Tage des Aufruhrs und des Blutes scheinen vorüber. Doch die penetrante Allgegenwart von Polizei und (der paramilitärischen) Bassidsch mit ihren Stöcken und Gummiknüppeln schafft eine stickige Atmosphäre. Wir können kaum atmen.“ So beschreibt ein Iraner über eine kaum noch funktionierende Internetverbindung die Stimmung im Land, nachdem der „Wächterrat“ den überwältigenden Sieg Ahmadinedschads bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni endgültig bestätigte und jede Manipulation ausschloss. Die Diskussion ist beendet. So zumindest entschied der „Geistliche Führer“ Khamenei. Das Volk muss sich fügen.

„Es ist als herrsche hier das Kriegsrecht, obwohl es nicht verhängt wurde“, fährt der Informant fort. Allmählich, so scheint es, gewinnt die islamische Führung wieder die Oberhand. Khamenei und seine Revolutionsgarden haben die Diktatur zementiert. Der „Geistliche Führer“ hat die erste Runde gewonnen. Doch er bezahlt dafür einen hohen Preis. Die Aura des milden islamischen Rechtsgelehrten, der neutral und stets weise vermittelnd weit über dem Alltagsstreit der Fraktionen thront, ist verflogen. Seit die Khamenei direkt untergebenen Bassidsch in friedlich demonstrierende Menschenmengen schossen und Hunderte, vielleicht Tausende Bürger verschleppt wurden, läßt sich niemand mehr von dem so lange gepflegten Schein täuschen.
Der um seinen Wahlsieg betrogene Führer der grünen Massenbewegung, Mir Hussein Mussawi, ist isoliert, fast alle seine Mitstreiter sitzen im Gefängnis und die offiziellen Medien machen ihn für die Gewalt der vergangenen Wochen hauptverantwortlich. Ein böses Omen.

Und dennoch hat die „grüne Welle“ einen wichtigen Sieg errungen. Vorbei ist der von den herrschenden Geistlichen seit drei Jahrzehnten gepflegte Mythos, dass sie, die einst durch Massendemonstrationen den Schah stürzten, „die Straße“ – ihre wichtigste Machtquelle - beherrschen. Sie müssen sie heute fürchten. „Wir wissen, dass wir die Straße für uns haben, wann immer wir wollen“, bemerkt ein Berater Mussawis. „Die Frage ist nur, wie soll es denn weiter gehen?“

Die „Islamische Republik“ hat sich für immer verändert. Der blutige Streit um die Legitimität der Wahlen hat tiefe Gräben aufgerissen, im herrschenden Establishment, in der ganzen Gesellschaft. Führende Technokraten, wie Ex-Außenminister Ali Akbar Velayati, stellten sich uneingeschränkt hinter Khamenei. Andere, wie der Chef des Atomprojekts Gholam-Reza Aghazadeh und der ehemalige Außenminister Kamal Kharrazi neigen der Opposition zu. Ahmadinedschads stellvertretender Ölminister Akbar Takan wurde eben entlassen, weil er Sympathien für Mussawi zeigte. Nach einem Bericht der Tageszeitung „Etemad Melli“ werden mindestens vier bisherige Minister – Kultur, Verteidigung, Arbeit und Telekommunikation – wegen zweifelhafter Loyalität dem neuen Kabinett Ahmadinedschad nicht angehören.

Der Riss zieht sich tief in die Institutionen des Staates. Mehr als ein Drittel der von Konservativen dominierten Parlamentsabgeordneten boykottierte Ahmadinedschads Siegesfeier, ein Drittel steht hinter dem umstrittenen Präsidenten und ein Drittel – so Kenner der politischen Szene – dreht sich nach dem Wind. Vier Angehörige des zwölfköpfigen „Wächterrates“ sympathisieren mit Mussawi. Selbst führende Familien des „Gottesstaates“ sind zerrissen. Eine Enkelin Khomeinis engagiert sich für die „grüne Welle“, ein Enkel des Revolutionsführers gehört zum Propaganda-Apparat Ahmadinedschads. Khameneis ältester Sohn Mujtaba mobilisierte eifrig die Menschen für den Präsidenten, Khameneis Bruder Hadi, ein lautstarker Gegner Ahmadinedschads, unterstützt Karrubi.

Auch die akademische Welt ist gespalten. Mehr als 400 Universitätsprofessoren und Dekane traten aus Protest gegen die Wahlmanipulation zurück, hunderte andere stellten sich offen hinter Ahmadinedschad. Dieselbe Uneinigkeit unter den Bazaaris, deren Unterstützung Khomeinis einst der islamischen Revolution entscheidend zum Sieg verhalf.

Selbst in der „Expertenversammlung“, die die Funktion besitzt, Khamenei abzusetzen, haben sich deklarierte Konservative hinter den Vorsitzenden, Ex-Präsident Rafsandschani, gestellt, der Mussawi unterstützte. Auch die hohe Geistlichkeit in Qom, dem Zentrum schiitischer Lehre, ist gespalten. Einige der führenden Islam-Gelehrten, wie die Großayatollahs Montazeri und Zandschani, zeigten mutig ihre Empörung über den Wahlbetrug und die anschließende Gewalt. Großayatollah Shirazi wendet sich gegen Khameneis Erklärung, der Wahlstreit sei beendet und warnt entschieden vor „rein kosmetischen“ Lösungen. Andere hohe Geistliche lassen sich von der harten Hand des Regimes einschüchtern, einige stehen unter Hausarrest.

Die einflussreiche „Versammlung kämpfender Geistlicher“ in Qom klagt in einem offenen Brief: „Das Volk des Irans, das mit Tausenden Hoffnungen und Wünschen begeistert zu den Wahlurnen schritt, muss nun die Leichen seiner Jugend vom blutigen Boden einsammeln und ist in Trauer versunken. Sollen wirklich diese Gerechtigkeit suchenden Einwände mit Kanonenkugeln beantwortet werden, die in die Herzen der Kinder dringen?“

In Qom, wo der radikale Ayatollah und Mentor Ahmadinedschads, Mesbah-Yazdi heute als „Feldmarschall“ des Regimes auftritt, findet auch die Opposition Rückhalt und einen Zuwachs an Autorität. Hier hatte Rafsandschani tagelang versucht, eine Sondersitzung der Expertenversammlung einzuberufen. Vergeblich. Etwa 50 der 86 Mitglieder dieses Gremiums

stellten sich hinter Khamenei „weise Strategie“: Die Unruhen wurden durch vom Ausland „gekaufte Elemente“ ausgelöst. Die „Feinde des Irans“ würden besiegt, lautet die Botschaft. So blieb Rafsandschani vorerst nichts anderes übrig, als sich nach außen hinter den „Führer“ zu stellen, preist Khameneis „Klugheit“ und ruft zu „Solidarität“ auf. Kein Wort von Annullierung der Wahlen. Verlor Mussawi seinen wichtigsten Verbündeten?

Doch Rafsandschani kann das Handtuch nicht werfen. Resigniert er in diesem Machtkampf, riskiert er nicht nur seine politische, sondern auch seine private Existenz. Ahmadinedschad ist mit Rückendeckung Khameneis und der Revolutionsgarden fest entschlossen, die große Wirtschaftsmacht des Ex-Präsidenten zu brechen und die „Garden“ von ihrem wichtigsten ökonomischen Konkurrenten zu befreien.

Hinter den Kulissen wird Rafsandschani weiterkämpfen und manipulieren, um den Einfluss der Ultras zurückzudämmen. Nicht die Absetzung Khameneis durch den Expertenrat ist nun sein Ziel, doch – so meinen Eingeweihte – die Unterminierung der Macht des „Führers“ durch die Einsetzung eines mehrköpfigen Gremiums hoher Geistlicher, dem auch Khamenei angehören soll. Ob er dafür die nötige Unterstützung gewinnt, ist höchst fraglich. Als entscheidend könnte sich erweisen, ob eine sich nun formierende „dritte Kraft“ unter dem lange engsten Verbündeten Khameneis, Parlamentspräsident Ali Laridschani, einen Bund mit Rafsandschani schließt. Laridschani, Sohn eines berühmten Großayatollahs, verfügt über großen Einfluß in führenden Kreisen der Geistlichkeit und hegt keinerlei Sympathien mit dem diktatorischen Stil der Ultras.

Solange sich aber Khamenei auf die Sicherheitskräfte stützen kann, erscheint seine Allmacht ungefährdet. Doch die regulären Streitkräfte sind gespalten. Ihr Generalstabschef Hassan Firuzabadi versucht neutral zu bleiben, seine Sympathien für die Opposition aber sind bekannt. Nicht eindeutig klar ist die Position des Chefs der Revolutionsgarden, General Mohammed-Ali Jaafari, ein Ultra, der jedoch wiederholt offen seine Unzufriedenheit über Ahmadinedschads Regierungsstil bekundete. Mindestens 17 Offiziere der „Garden“, darunter General Ali Fazli, der sich geweigert hatte, Demonstrationen gewaltsam niederzuschlagen, wurden in den vergangenen Tagen ihrer Ämter enthoben.

Erst im August wird Ahmadinedschad seine zweite Amtsperiode beginnen, sobald Khamenei dafür ein Dekret erlassen hat. Im Iran rechnet man nun mit einer massiven Säuberungswelle, die mit der Verhaftung zahlreicher führender Reformpolitiker bereits begonnen hat. Die beim Freitagsgebet erhobene und über die Medien im ganzen Land verbreitete Forderung Ayatollah Ahmed Khatamis lässt Schlimmes befürchten: „Wer sich gegen den islamischen Staat stellt, muss nach islamischem Recht wegen mohareb (Krieges gegen Gott) unbarmherzig und schonungslos bestraft werden. Exekution“ sei die dafür vorgesehene Strafe.

Doch der Zorn auf das repressive Regime und die Sehnsucht nach Freiheit von Millionen von Menschen lassen sich so nicht ersticken. Viele junge Iraner finden nun wohl in einem alten persischen Spruch Trost: Die Glut glimmt unter der Asche.


Erschienen im "Rheinischen Merkur", 2.7.2009.

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