Anschuldigung über Verwicklung in den Mord an Ex-Premier Hariri könnte Hisbollah den erhofften Sieg bei Parlamentswahlen kosten
Empört wies die libanesische Schiiten-Organisation Hisbollah Sonntag jede Verantwortung an dem Mord des ehemaligen Premierministers Rafik Hariri als „Fantasiegespinst“ des „Spiegel“ zurück. Ein Bericht des Nachrichtenmagazins über neue Erkenntnisse des in den Niederlanden tagenden UN-Sondertribunals schlug im Libanon wie eine Bombe ein und verschärft zu einem besonders kritischen Zeitpunkt dramatisch die Spannungen in dem politisch ohnedies höchst labilen Levantestaat. Denn am 7. Juni wählen die Libanesen nach Jahren schwerer Turbulenzen wieder ein Parlament. Im steigenden Wahlfieber eskalieren auch die Konflikte zwischen den einander zutiefst misstrauenden Bevölkerungsgruppen.
Hariri war am 14. Februar 2005 gemeinsam mit 21 Leibwächtern und Passanten durch eine gewaltige Bombe in Beirut ums Leben gekommen. Nach jüngsten Erkenntnissen, die das Tribunal laut „Spiegel“ aber zurückhält, waren es nicht die Syrer, wie man bisher angenommen hatte, sondern Sondereinsatzkräfte der Hisbollah gewesen, die den Anschlag durchgeführt und geplant hätten.
Unabhängige Beobachter hegen vorerst allerdings Zweifel an der Richtigkeit des Spiegel-Berichts, der sich auf ungenannte Quellen stützt. Sie weisen darauf hin, dass es bis heute nicht zur Strategie der „Hisbollah“ gezählt hatte, politische Rivalen im Libanon zu ermorden. Zudem gibt der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser „neuen Erkenntnisse“ zu denken. Selbst wenn sich die „heiße Spur“ zur Hisbollah als Fälschung erweisen sollte, besteht kein Zweifel, dass dieser derart geäußerte Verdacht so knapp vor den Wahlen die Siegeschancen der mit Syrien und dem Iran verbündeten Bewegung und der Partei um ihren christlichen Mitstreiter Michel Aoun wesentlich beeinträchtigen dürfte.
Die Parlamentswahlen besitzen schicksalhafte Bedeutung für den kleinen Levantestaat und darüber hinaus für die gesamte Region. Denn es geht darum, ob es der Hisbollah-Allianz gelingt, die politische Dominanz der pro-westlichen Fraktionen unter Führung von Hariri-Sohn Saad zu brechen und damit auch Syriens und Irans Einfluss auf den strategisch so wichtigen Libanon zu verstärken. Um dies zu verhindern, hatte schon US-Vizepräsident Biden vergangenen Freitag bei einer überraschenden Steppvisite in Beirut mit einer Reduzierung der US-Wirtschafts- und Militärhilfe gedroht, sollten die Wahlen nicht das von Washington gewünschte Resultat bringen.
Hisbollah hatte bis vor kurzem einen betont gemäßigten Wahlkampf geführt, bemüht, den Wählern, aber auch dem Westen klarzumachen, dass niemand etwas von einem Sieg ihrer Allianz zu befürchten hätte. Hisbollah-Chef Nasrallah verspricht sogar, selbst bei einer klaren Mehrheit die Opposition zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit einzuladen, um die Stabilität des Staates zu sichern. Damit hofft Nasrallah zu verhindern, dass eine siegreiche Hisbollah das Schicksal der palästinensischen Hamas erleidet, die nach ihrem Wahlerfolg 2006 vom Westen vollends boykottiert wurde.
Doch mit steigenden Spannungen, insbesondere durch die Aufdeckung zahlreicher israelischer Spionage-Zellen im ganzen Land hat auch die Hisbollah ihre Rhetorik verschärft. Hisbollah-Sprecher beschuldigen Israel, Nasrallahs geheimen Aufenthaltsort auszuspionieren, um den unter der schiitischen Mehrheit populären Führer zu ermorden. Das umfangreichste Militärmanöver, das die Israelis seit 1948 Ende des Monats planen, soll nach Überzeugung in Hisbollah-Kreisen auch zur Vorbereitung eines Attentats dienen, das eine Welle der Gewalt nach sich ziehen würde.
Der Großteil der Libanesen aber sehnt sich endlich nach Ruhe und Stabilität. All die Spionagevorwürfe, der Nervenkrieg zwischen Hisbollah und Israel und nun die neuen Mordanschuldigungen könnten viele Bürger dazu bewegen, die pro-syrische Allianz nicht weiter zu stärken, um die Gefahr von Sanktionen, Isolation oder gar blutiger Konfrontation abzuwehren.