Das Atomprogramm und Irans Isolation könnten die Präsidentschaftswahlen in einem ungewöhnlich harten Konkurrenzkampf entscheiden
Noch nie seit Revolutionsführer Khomeini vor drei Jahrzehnten den „Gottesstaat“ im Reich der Perser gründete, musste ein amtierender Präsident um seine Wiederwahl bangen. Doch Ahmadinedschad, der zu den Grundsätzen der Revolution zurückzukehren versprach, sieht sich völlig unerwartet massiv in die Enge gedrängt. „Extremismus“, „Verantwortungslosigkeit für die Sicherheit der ‚Islamischen Republik’“, einen „bombastischen außenpolitischen Stil“, werfen ihm seine drei Herausforderer für die Präsidentschaftswahl am 12. Juni vor. In den vier Jahren seiner Amtszeit habe der kleingewachsene Populist es geschafft, den Iran nicht nur in eine tiefe Wirtschafts- und Sozialkrise zu stürzen, sondern auch in schmerzliche internationale Isolation.
Alle drei Herausforderer – Mir Hussein Mussavi und Mehdi Karrubi, die beide den Reformern nahe stehen, sowie Mohsen Rezaie aus dem erzkonservativen Lager – sind sich völlig einig: eine Fortsetzung der Politik Ahmadinedschads käme einer Katastrophe für den Iran gleich. Selbst Rezaie, noch weniger als seine beiden Mitstreiter ein Freund des Westens, wirft dem Präsidenten vor, er haben den Iran „an den Rand des Abgrunds“ getrieben.
Solche Attacken bestärken den heiß umstrittenen Amtsträger nur in seiner radikalen Position. Er wiederholt eifrig seine Zweifel am Holocaust, der „Achillesferse des Westens“, rühmt die dank seiner Hartnäckigkeit erzielten Erfolge im Atomprogramm ( mehr als 7000 operierende Zentrifugen in der unterirdischen Atomanlage von Natanz) und schlägt als Antwort auf die wiederholten Dialogangebote des US-Präsidenten im Falle seiner Wiederwahl eine öffentliche Diskussion über die „Wurzeln der globalen Probleme“ mit Obama in New York vor. Als ob es noch nötig wäre, gibt er damit seinen um das internationale Image der „Islamischen Republik“ besorgten Kritikern weitere Nahrung.
Konfrontation, Isolation oder Entspannung mit der internationalen Gemeinschaft, das ist völlig unerwartet zur zentralen Frage in dieser zunehmend heftigen Kampagne geworden, die sich als wahlentscheidend erweisen könnte. Eine besondere Rolle dabei könnte eine öffentliche Diskussion über die iranische Atompolitik spielen, zu der Hassan Rowhani, Chefunterhändler unter dem Reformpräsidenten Khatami (1992 bis 2005), heute Leiter des iranischen Zentrums für Strategische Studien aufruft, nachdem Ahmadinedschad das von ihm einst getroffene Abkommen mit Deutschland, Frankreich und England zur vorübergehenden Einstellung des Uran-Anreicherungsprozesses als nationale „Schande“ verdammte.
Die drei Gegenkandidaten sind sich einig, dass der Iran „Detente“ suchen müsse, wie es Khatami getan hatte. Selbst Rezaie bekräftigt seine „Offenheit“ für Gespräche mit dem Westen und schlägt als einziger gar ein konkretes Programm zur gegenseitigen Annäherung an die USA nach drei Jahrzehnten der Feindschaft vor, beginnend mit nicht kontroversen Themen, wie gemeinsame Aktionen zum Umweltschutz im Persischen Golf , der Bildung eines Dreier-Komitees mit Pakistan und den USA für den Kampf gegen den Rauschgiftschmuggel und erst später Gespräche über Irans Atomprogramm und Unterstützung radikaler Gruppen im Mittleren Osten. Doch einen Dialog mit einem Präsidenten Rezaie könnte Washington kaum beginnen, wird der einstige Kommandant der Revolutionsgarden doch von Interpol und Argentinien wegen seiner mutmaßlichen Rolle bei einem blutigen Anschlag auf ein jüdisches Zentrum in Argentinien gesucht. Dennoch betont auch Rezaie, wie seine beiden Rivalen, dass Ahmadinedschads öffentlich bekundete Zweifel am Holocaust „Irans internationalem Ansehen nicht dienlich sind“.
Im Gegensatz zu Rezaie präsentieren Karrubi und Mussavi keine konkreten Pläne für ihre Strategie der „Detente“, betonen jedoch einhellig, dass sie Beziehungen mit allen Staaten der Welt pflegen wollten. Ausgenommen bleibt dezidiert allerdings Israel. Doch ungeachtet ihrer bekundeten Sympathie für die Palästinenser halten sich alle drei mit aggressiven Tönen gegen Israel zurück. Alle drei wollen trotz aller Gesprächsbereitschaft nicht vom Uran-Anreicherungsprogramm abrücken. Mit Atomwaffen – so Mussavi – habe dies allerdings nichts zu tun und man sei durchaus zu verschärfter internationaler Kontrolle bereit.
Wiewohl sich unter allen drei Gegenkandidaten Ahmadinedschads zweifellos der außenpolitische Stil ändern würde, keiner der Bewerber wird die Macht oder den Willen besitzen, sich der Linie des „Geistlichen Führers“ zu widersetzen. Alle drei sind seit langem prominenter Teil des Systems. Ali Khamenei unterstützte wiederholt Ahmadinedschads Position gegenüber dem Westen und fordert nun das iranische Volk auf, „alles zu vermeiden, damit jene an die Macht kommen, die den Iran in Schande stürzen und dem Feind ausliefern wollen“. So bekräftigte auch Musavi Khameneis Position zu Obamas Dialogangebot: „Wir müssen erst sehen, ob sie (die USA) ihre Anschuldigungen gegen uns einstellen“ und er meint damit den Plan zum Bau von Atomwaffen und die Unterstützung von Terroristen.
Wiewohl sich unter keinem der drei Gegenkandidaten Irans Beziehungen zum Westen unmittelbar entscheidend verändern werden, könnten allein durch eine kompetentere, weniger unberechenbare Führung insbesondere unter Karrubi oder Mussavi viele Spannungen abgebaut werden.
Die Wahlkampagne hat die beiden politischen Hauptlager der Islamischen Republik – die Konservativen und die Reformer – gespalten. Nach jüngsten Meinungsumfragen führt Mussavi mit 38 Prozent in den großen Städten vor Ahmadinedschad, laut staatlichem Fernsehen könnte er in Teheran gar 47 Prozent der Stimmen erreichen. Doch Meinungsforscher im Iran genießen nicht den Ruf der Verlässlichkeit.
Karrubi, der zum Reformer gemauserte Revolutionär der ersten Stunde, heute liebevoll „Scheich der Reform“ genannt, ist ein starker Herausforderer. Als Parlamentspräsident hatte er bewiesen, dass er mehr als andere Mut zur Durchsetzung seiner Überzeugungen besitzt. Er gilt heute als liberalster unter den Kandidaten, wird deshalb von prominenten Reformern wie dem Ex-Bürgermeister von Teheran, Gholamhossein Karbaschi oder Khatamis einstigen Vizepräsidenten Mohammed Ali Abtahi, sowie von vielen Frauen, der jungen Generation, Intellektuellen und Menschenrechtsaktivisten unterstützt. Viele Reformer, an der Spitze Khatami und diverse Reformgruppen favorisieren aber Mussawi, in dem Glauben, dass er größere Siegeschancen gegenüber Ahmadinedschad besitzt. Denn der im Grund stark konservative Architekt und Künstler, der sich in Kriegszeiten (gegen den Irak 1980 bis 88) als hervorragender ökonomischer Manager erwies, und die „Islamische Republik“ in „goldene Jahre“ führte, besitzt auch große Sympathien im konservativen Establishment. Den über 30-jährigen Iranern ist er trotz seiner langen politischen Abstinenz in angenehmer Erinnerung geblieben. Die junge Generation freilich muß ihn erst kennen lernen.
Zahlreiche konservative Organisationen und Persönlichkeiten stellten sich unterdessen hinter den Ex-Premier. Khamenei, der sich zwar offiziell aus dem Wahlkampf heraushält, gelang es bisher nicht, das konservative Lager geschlossen hinter Ahmadinedschad zu einen. So gewann der Präsident bisher weder im Parlament die volle Unterstützung der Abgeordneten, der einflussreiche Parlamentspräsident und prominenter Führer des konservativen Lagers, Ali Laridschani, verweigert ihm offenen Rückhalt, ebenso entschied sich die „Gesellschaft der Seminar-Lehrer“ in Qom, eine der höchsten schiitischen Autoritäten, erstmals nicht geschlossen für den konservativen Kandidaten. Sogar zwei Groß-Ayatollahs enthielten der Stimme und versetzten damit Ahmadinedschad einen empfindlichen Prestigeverlust.
In der ebenfalls mächtigen konservativen „Gesellschaft der kämpfenden Geistlichen“ gibt es heftigen Widerstand gegen Ahmadinedschad, einige einflussreiche Persönlichkeiten sympathisieren mit Mussavi, während der immer noch mächtige Ex-Präsident Rafsandschani sich intensiv für die Bildung einer starken Wahlfront gegen Ahmadinedschad unter Führung Rezaeis engagiert. Damit steigen auch die Chancen dieses einstigen Militärs, der Ahmadinedschad unter seiner Hausmacht in den Revolutionsgarden viele Stimmen rauben könnte.
Gelingt es Ahmadinedschad nicht, am 12. Juni mehr als 50 Prozent der Stimmen zu erreichen, werden die beiden führenden Kandidaten eine Woche später in eine Stichwahl gehen. Mussawi werden gute Chancen nachgesagt, den Sieg des Präsidenten in der ersten Runde zu vereiteln. Gelingt dies, so meinen Iranexperten, könnte – wie bei den Präsidentschaftswahlen 2005 – die „negative Position“ vieler über die Politik der vergangenen vier Jahre zutiefst verärgerter Iraner (damals zugunsten Ahmadinedschads und gegen dessen Rivalen Rafsandschani) eine zweite Amtszeit des Präsidenten verhindern. Doch niemand vermag die Mobilisierungsinstrumente des harten politischen Kämpfers Ahmadinedschad einzuschätzen. Schon verstummen die Beschwerden über eifrige Stimmenkäufe durch den Präsidenten nicht, der durch das Land zieht und an Krankenschwestern, Studenten, Lehrern und Pensionisten kleine Geldgeschenke verteilt. Ja sogar von finanziellen Gaben an Geistliche ist die Rede. Dass er damit, wie in den vergangenen vier Jahren, die Inflation zum Schaden der armen Massen anheizt, stört den Populisten wenig.
Entscheidend für den Ausgang ist auch die Wahlbeteiligung. Je höher sie liegt, desto geringer die Chancen großangelegter Manipulation. Deshalb rufen die Reformer, von denen keine der Organisation im Gegensatz zu 2005 diesmal einen Wahlboykott propagiert, zu hoher Wahlbeteiligung auf.
Die „Islamische Republik“ aber hat sich in ihrer Geschichte als erbitterter Feind von Prognostikern erwiesen. Meist gaben Entwicklungen in den letzten Tagen vor dem Wahlgang den entscheidenden Ausschlag.