Der meistgesuchte Terrorchef aller Zeiten scheint unverwundbar, doch interne Spaltung, Finanzprobleme und schwindende Attraktivität setzen Al Kaida zu
Osama Bin Laden hat sich zurück gemeldet. Mit scharfen Worten geißelte er in einer vom Al-Jezira Sender in Katar verbreiteten Audio-Botschaft „gewisse arabische Führer“, die sich als Mithelfer des Krieges „gegen unser Volk“ (die Palästinenser in Gaza) betätigt hätten. Er warf ihnen vor, mit der „Koalition aus Zionisten und Kreuzzüglern“ (die USA) zusammengearbeitet zu haben und damit Mitverantwortung am Tod von 1.200 Palästinensern zu tragen. Und er rief die islamische Welt zu „ernsthaften Vorbereitungen für einen Jihad (heiligen Krieg) auf, um „Gerechtigkeit durchzusetzen und das Übel zu besiegen“.
Doch nicht nur zeigte sich der Chef des Al-Kaida-Terrornetzwerkes nicht in einem Videofilm, seine Botschaft lässt Einfallsreichtum und Originalität vermissen. Bin Laden versucht lediglich bereits zum zweiten Mal den Gaza-Krieg auszubeuten.
Zwar ist der meistgesuchte Terrorist aller Zeiten nun schon seit Jahren dem mächtigsten Geheimdienstapparat der Welt entschlüpft. Doch die Tatsache, dass Al-Sahab – al-Kaidas Informationsarm – seit Jahresbeginn bereits 18 Tonbandaufnahmen verbreitete, lässt nach Ansicht von Experten darauf schließen, dass Bin Laden um seine Relevanz in der internationalen Terrorszene bangt. Die Serie der Botschaften soll seinen Anhängern und der westlichen Welt zeigen, dass er immer noch „relevant“ ist, dass er für den Westen eine Bedrohung bleibt.
Seit dem 11.September 2001 vermochten die USA selbst mit der gigantischen Summe von 50 Millionen Dollar, die auf Osamas Kopf steht, keinen Verräter anzulocken. Terrorexperten sind längst von der Unmöglichkeit überzeugt, Bin Laden zu fangen oder zu töten. Dennoch räumt US-Präsident Obama der Fahndung nach diesem Erzfeind des Westens allerhöchste Priorität ein.
Die größte und bisher erfolgloseste Verbrecherjagd in der Geschichte ist umhüllt von einem Schleier des Geheimnisses. Doch vor kurzem drang neues Beweismaterial an die Öffentlichkeit, dass sich Obama und sein engstes Team in der Gegend der kleinen nordwest-pakistanischen Stadt Chitral aufhalten dürfte, die auf einer kaum zugänglichen Hochgebirgsebene im Hindukush liegt. US-Drohnen und Armee-Helikopter haben Aufklärungsflüge über dem schneebedeckten Hindukush-Gebirge, insbesondere über Chitral verstärkt.
Niemand im Westen weiß einigermaßen Bescheid über Bin Laden und den tatsächlichen Zustand der Al-Kaida. Wiewohl das Terrornetzwerk heute auf dezentralisierter Basis operieren dürfte, taucht Bin Ladens Name wieder häufiger auf und zugleich verstärken sich Anzeichen auf eine koordinierte Planung von Aktionen gegen „weiche Ziele“ im Westen. Gemeint ist damit nach US-Militärberichten die dahinsiechende amerikanische Wirtschaft, sowohl in den USA, als auch im Ausland, um damit die verhaßte Supermacht an ihrer Achillesferse zu treffen – ein „Krieg“, den Amerika nach Ansicht der Al-Kaida-Führung nicht gewinnen könne.
Zugleich jedoch gibt es auch Anzeichen, dass Al-Kaida selbst in einer Krise steckt. Im Gegensatz zur ihrem pakistanischen Verbündeten, den Taleban, verfügt das Terrornetz nicht über die schier endlose sprudelnde Finanzquelle des Drogenhandels. Aus wiederholten Botschaften geht hervor, dass sich – dank der internationalen Finanzkrise und der damit auch schwindenden Spenderfreudigkeit die Finanzierung ihrer Aktionen als wachsendes Problem erweist. Zwar brachten Dezentralisierungsbemühungen einige Erfolge: Jemen wandelte sich wieder zum „Jihadi-Schlachtfeld“ und in Nord- und Ostafrika wachsen die Terrorgruppen. Doch eine Reihe von Problemen dürfte die Schlagkraft des Netzwerkes empfindlich schwächen. Eine massive Anti-Terrorkampagne der saudischen Regierung haben Operationen in diesem wichtigsten Rekrutierungsgebiet äußerst schwierig gemacht. Bin Laden kann offenbar getötete Al-Kaida Führer kaum noch ersetzen.
Zudem ist das Netzwerk in Strategie- und Prioritätsfragen tief gespalten. Eine Gruppe sieht als Hauptziel ihres Kampfes Israel und die gemäßigten arabischen Regime, während andere im Irakkrieg die Schiiten zu ihrem größten Feind erhoben. Auch der blutige Kampf gegen „Apostaten“ (vom wahren Glauben Abgefallene) ist heftig umstritten. Die schweren Verluste im Irak-Krieg setzen Al-Kaida besonders zu. Und insgesamt verlieren Bin Laden und sein Team selbst unter radikalsten Islamisten in der islamischen Welt an Sympathie. Zahlreiche Geistliche und Theologen in Ägypten, Saudi-Arabien und anderswo, die sich zuvor hinter Al-Kaida gestellt hatten, sprechen seit einiger Zeit offene Kritik aus. Besonders schmerzt die scharfe Kritik des einstigen Führers des ägyptischen „Islamischen Jihad“, dem unter Dr. Fadl bekannten Theologen, der Al-Kaida schwere „ideologische Fehler“ vorwirft, darunter insbesondere Terrorkampagnen, die Unschuldige mit ihrem Leben bezahlen.
Trotz dieser Krisen und Schwächen sind sich Experten einig, dass Al-Kaida und Bin Laden weiterhin eine beträchtliche Gefahr darstellen.