Warum Mohammed Khatami in der Kampagne um Irans Präsidentschaft dem einstigen linken „Jünger Khomeinis“ Mir Hossein Mousavi Platz macht
Zwei Jahrzehnte lang hatte Mir Hossein Mousavi geschwiegen, sich aus der Politik der „Islamischen Republik“ herausgehalten. Doch nun kehrt der pragmatische Technokrat zurück auf die politische Bühne, in der Hoffnung, das Land vom Absturz ins Chaos zu retten, der turbulenten Epoche unter Präsident Ahmadinedschad ein Ende zu setzen. Und seine Chancen bei den Wahlen am 12. Juni stehen gar nicht schlecht.
Wenige Tage, nachdem Mousavi seine Kandidatur angemeldet hatte, kündigte der einst so populäre Reformpräsident Mohammed Khatami seinen Rückzug aus der Wahlkampagne an und stellt sich voll hinter den neuen Kandidaten, der ihm zuvor seine Unterstützung zugesagt hatte. „Seid gewiss, er wird einen beträchtlichen Anteil von Stimmen aus dem ‚anderen Lager’ anziehen. Ich habe Informationen, dass einige Konservative weder mich, noch diesen Typen (Ahmadinedschad) wählen werden, sondern Mousavi“, erläuterte Khatami seinen Anhängern seine Entscheidung. Zudem löse Mousavi weniger Spannungen im Regime aus, als er. Mousavi würde auf weit weniger Hindernisse stoßen als er (Khatami) und seine politischen Überzeugungen seien mehr identisch mit jenen des Regimes. Schließlich, so betonte Khatami, setze die Bevölkerung weit geringere und realistischere Erwartungen in den ehemaligen Premier.
Khatami hatte nur zögernd, ja fast widerwillig vor wenigen Wochen seine Kandidatur angemeldet, von seinen Anhängern davon überzeugt, dass es im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht darum gehe, Reformen durchzusetzen, sondern „das gegenwärtige Ausbluten des Landes“ durch Ahmadinedschad zu stoppen. Khatami war in zwei Amtsperioden (1997 bis 2005) mit seinem Reformkurs am Widerstand des erzkonservativen Establishments kläglich gescheitert. In den vergangenen Tagen hatte er nach Berichten aus Reformkreisen, scharfe Kritik und gar offene Drohungen aus dem erzkonservativen Lager erhalten. Zudem versagte ihm einer seiner einst engsten Mitstreiter, der einflussreiche Ex-Bürgermeister von Teheran, Gholamhossein Karbaschi, die Unterstützung.
Viele Iraner sind, wie Khatami, davon überzeugt, dass Mousavi weit größere Chancen besitzt, eine Wiederwahl des selbst unter vielen Konservativen unterdessen höchst unpopulären Ahmadinedschad zu verhindern. Zahlreiche konservative Abgeordnete bekundeten bereits ihre Unterstützung für Mousavi, der – weit mehr als Khatami – als „treuer Jünger Khomeinis“, des Revolutionsführers, gilt, als ein kluger Taktiker, der länger als die meisten seiner Mitstreiter an den Grundsätzen der Revolution festhielt und von Wirtschaftsmanagement weit mehr verstehe.
Der 68-jährige Architekt wird bis heute von vielen Iranern als Held verehrt. Premierminister von 1981 bis 1989, hatte er das Land mit einem strikten Rationalisierungsprogramm über den Krieg (gegen den Irak 1980-88) gebracht. Der einflussreiche Bruder des „Geistlichen Führers“, Hadi Khamenei, preist Mousavis hohe Kapazitäten, politische Erfahrung und Effizienz als Staatsführer. Diese Qualitäten sind von einem dringend gesuchten Krisenmanager heute wieder besonders gefragt. Nur wenige trauen sie Khatami zu. Deshalb besitzt Mousavi in einer Zeit der Wirtschaftskrise und der Sehnsucht weiter Bevölkerungskreise nach Ruhe und einem besseren Leben beträchtliche Chancen. Er kann mit breiter Unterstützung akademischer Kreise rechnen, zu denen er dank seiner Frau und seiner eigenen Aktivitäten enge Kontakte pflegt. Auch die Kriegsveteranen und ein großer Teil des Basars dürften für diesen Mann stimmen, der ein wenig von seinen einstigen radikalen Ideen abgekehrt ist. Betont bekennt er sich heute zur freien Marktwirtschaft und – trotz der ideologischen Nähe zu der Gruppe um Ahmadinedschad – auch zu politischen Reformen. Immerhin hatte ihn Khatami in seinen beiden Amtsperioden zu einem seiner Berater ernannt, eine Funktion, die Mousavi allerdings kaum ausgeübt hatte.
Im Gegensatz zu Khatami lässt Mousavi bereits einige Grundzüge seines Programms erkennen: Ausmerzung der Korruption, rasche Privatisierungen und eine Abkehr von der von Ahmadinedschad praktizierten „Almosen-Ökonomie“, der massiven Geldverteilungen, mit krassen Folgen auf die Inflation. An seiner unbedingten Loyalität zum islamischen System herrscht ebenso wenig Zweifel, wie an seinen anti-amerikanischen Gefühlen und der Entschlossenheit, am gegenwärtigen Atomkurs festzuhalten.
Unklar ist vorerst allerdings, ob Mousavi die wahlentscheidende Unterstützung Khameneis gewinnen kann, der sich bisher für Ahmadinedschad stark machte. Die beiden Politiker hatten einst einen harten Rivaltitätskampf um Macht und Einfluß geführt – Mousavi als Premier und Khamenei als Präsident. Das Problem wurde schließlich durch eine Verfassungsreform gelöst, die das Amt des Ministerpräsidenten abschaffte.