Teheran hegt großes Interesse an einem „gemanagten Chaos“ in „zunehmend gefährlichen“ Nachbarstaat
US-Präsident Obamas „Offensive des Lächelns“ gegenüber der „Islamischen Republik“ trägt die ersten Früchte. Der Iran wird sich in der Person des Vizeaußenministers Mehdi Akhundzadeh am Dienstag in Den Haag an einen Tisch mit hohen amerikanischen und anderen westlichen Diplomaten setzen, um eine Strategie für die Stabilisierung des „zunehmend gefährlichen“ (so Obama) Afghanistan zu erarbeiten. US-Diplomaten werten Irans Teilnahme als Signal für seine Bereitschaft, Washington im Kampf gegen die Taleban und Al-Kaida im Nachbarstaat beizustehen. Afghanistan könnte – so die Hoffnung – damit auch als Brücke dienen für einen Dialog über die explosivsten Streitpunkte zwischen beiden Staaten – vor allem über Irans Atomprogramm. Noch im Dezember hatte Teheran eine Afghanistan-Konferenz in Paris unter Obamas Vorgänger Bush boykottiert.
Der Iran teilt Washingtons Interesse daran, dass die Sicherheitslage im Nachbarstaat nicht vollends außer Kontrolle gerät. Der „Gottesstaat“ ist Hauptleidtragender des boomenden Opiumhandels aus Afghanistan (etwa 1,7 Millionen Iraner sind heute opiumsüchtig) und erstes Ziel afghanischer Flüchtlinge. Vor allem beunruhigt das schiitische Regime in Teheran der rapide anwachsende sunnitische Extremismus im Nachbarstaat Pakistan. Ein Wiederaufstieg der von den USA 2001 gestürzten sunnitisch-fundamentalistischen Taliban in Afghanistan würde die wachsende Zahl der Gesinnungsgenossen in Pakistan noch weiter stärken. Teheran fürchtet, Pakistans Regierung könnte Afghanistans Präsidenten Karzai stürzen, um die Taliban wieder an die Macht zu bringen und damit Afghanistan kontrollieren.
Iran hat enge historische, linguistische und kulturelle Bindungen in Afghanistans, insbesondere mit den persisch-sprechenden Tadschiken in der Provinz Herat und der schiitischen Minderheit der Hazara im Nord- und Zentral-Afghanistan. Wiewohl sich so manche fanatisch auf ihre Unabhängigkeit bedachte Stämme traditionell energisch gegen iranisches Einfluss-Streben wehren, setzen die Iraner intensive kulturelle und ökonomische Aktionen. Iranische Radiosendungen dominieren die Ätherwellen, zahlreiche Bauprojekte, wichtige Straßenverbindungen wurden jüngst in Angriff genommen. In Kabul will Teheran ein Lehrerausbildungszentrum bauen. Eine neue Bahnlinie soll Iran und Afghanistan auch über die Schiene verbinden. Seit 2001 unterstützt Teheran Kabul mit humanitärer Hilfe im Wert von 500 Mio. Dollar.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA hatte Teheran mit den Amerikanern gegen die Taliban und Al-Kaida kooperiert, die Beziehungen zum Regime Karzai aufgenommen und Hunderte in den Iran geflüchtete Taliban- und Al-Kaida-Führer deportiert. Doch die Hoffnung, dass diese Zusammenarbeit schließlich das dicke Eis zwischen Washington und der „Islamischen Republik“ brechen würde, erwies sich als Trugschluss. Seither ist das Misstrauen zwischen den beiden Erzfeinden nur noch gewachsen.
Dennoch begrüßt Irans Führung die Priorität, die Obama dem Afghanistanproblem einräumt. Doch Washingtons Differenzierung zwischen „guten und bösen“ Taliban, die Bereitschaft, mit „Gemäßigten“ einen Dialog zu beginnen, hält man in Teheraner Regierungskreisen für „allzu simpel“, ja für gefährlich. So liebäugeln die Iraner mit einer Wiederbelebung der Nord-Allianz, einer Koalition afghanischer Minderheiten, die in den 90er Jahren die Taliban bekämpft hatte. Auch Russland, zentralasiatische Staaten und Pakistans Rivale Indien befürworten diese Idee, die jedoch in völligem Widerspruch zu Washingtons engen Verbündeten Saudi-Arabien steht, das seinen alten Taliban-Freunden gerne wieder zur Macht verhelfen möchte. Solch gegensätzliche internationale Interessen erschweren Washingtons Strategie beträchtlich.
Iran könnte sich u.a. allerdings bereit erklären, der NATO den Transport von Gütern aus Europa durch sein Territorium nach Afghanistan zu gestatten, eine wichtige Entscheidung, da ein Transitweg durch Russland nicht gesichert erscheint. Die Iraner würden sich damit allerdings zum Ziel des Terrors der Taliban machen und könnten von der NATO die Absicherung ihrer außerst porösen Grenzen im Osten fordern.
Noch aber ist Teherans Kooperation keineswegs garantiert. Das iranische Regime betrachtet das Afghanistan-Problem heute nicht mehr primär als ein ideologisches, der tiefen Feindschaft zwischen den sunnitischen Fundamentalisten der Taliban, die die Schiiten als Häretiker verteufeln und eine Gruppe iranischer Diplomaten Ende der 90er Jahre ermordet hatten, sondern ein strategisches. Besonders irritiert Teheran die Gefahr, dass die USA im Falle einer Stabilisierung Afghanistans ihre Militärstützpunkte im Nachbarland zu Attacken gegen den Iran nutzen könnten, um einen Stopp des iranischen Atomprogramms zu erzwingen. Deshalb wollen die geistlichen Herrscher die starke Karte Afghanistan nicht aus der Hand geben. „Kontrolliertes Chaos“, in dem sie mitmischen, erscheint ihnen attraktiver als die Stabilisierung des Landes unter US-Dominanz am, zumindest so lange es nicht gelingt, das tiefsitzende Misstrauen zwischen dem „großen Satan“ und dem Pariah Iran zu überwinden.