Mittwoch, 21. Juni 2017

Am Persischen Golf verhärten sich die Fronten


Im beispiellosen Streit Saudi-Arabiens und seiner Verbündeten mit Katar geht es um die Neuordnung der Kräfteverhältnisse in der gesamten Region – Ein höchst gefährliches Unterfangen

von Birgit Cerha

[Bild: Tamim bin Hamad al Thani]

Ist Saudi-Arabiens martialischer Verteidigungsminister, der eben zum Kronprinzen gekürte Königssohn Mohammed bin Salman, allgemein „MbS“ genannt, zu weit gegangen? Nichts deutet in der dritten Woche beispielloser Isolation durch Riad und deren Verbündete - die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain – gegen den Bündnisbruder im Golfkooperationsrat (GCC) Katar darauf hin, dass sich dieser superreiche Ministaat zum Vasallen degradieren lassen würde. Ganz im Gegenteil. Seit die drei Golfstaaten gemeinsam mit Ägypten am 6. Juni die diplomatischen Beziehungen zu Doha abbrachen, den Luftraum für katarische Flugzeuge und die einzige Landverbindung Katars (zu Saudi-Arabien) sperrten, blieben Vermittlungsbemühungen erfolglos. Die Fronten haben sich verhärtet. Nicht wie von „MbS“ erhofft, hat die Blockade Katars Emir Tamim bin Hamad rasch in die Knie gezwungen. Lebensmittelengpässe im importabhängigen Wüstenstaat wurden prompt durch Lieferungen aus dem Iran, wie der Türkei und die Eröffnung neuer Handelswege behoben. Ökonomisch steht Katar mit seinen 2,7 Millionen Bewohnern (davon nur 300.000 Staatsbürger) und weltweiten Finanzanlagen von etwa 335 Mrd. Dollar auf festem Boden.
Die Haupteinnahmequellen aus Öl und Gas bleiben von der Blockade unberührt.
Drei Gründe führten zum Fehlschlag der Strategie von „MbS“:  Der Hauptvorwurf der Troika und Ägyptens, Katar fördere islamistischen Terror wird weithin als unglaubwürdig, ja gar heuchlerisch aufgefasst.  Das beweist die schwache internationale, ja sogar regionale Unterstützung dieser von Saudi-Arabien angeführten Kampagne. Sogar die USA, deren Präsident Trump bei seinem Staatsbesuch in Riad Ende Mai die zentrale Bedeutung des Königreiches für seine Nahoststrategie unterstrichen hatte, kritisieren nun ungewöhnlich scharf Riad und Abu Dhabi, die diese Krise provoziert und bisher keinen versprochenen „Beschwerden-Katalog“ als Basis für Versöhnungsgespräche präsentiert hätten. Das verstärkt den Verdacht, es gehe rein um Machtpolitik.
Zudem sind die „Strafmaßnahmen“ völlig unverhältnismäßig, gehen die Vorwürfe gegen Katar doch auf viele Jahre zurück. Doha erhob zwar als einziger Staat neben Saudi-Arabien die puritanische wahhabitische Richtung des sunnitischen Islam zur Staatsreligion, geht aber konsequent seinen eigenen Weg, um mit einer durch seine Finanzkraft gestärkten Außenpolitik regional- und weltpolitisch Einfluss zu gewinnen und durchkreuzt dabei hemmungslos Riads Interessen. Es lässt sich weder in einen von „MbS“ angestrebten anti-iranischen Sunniten-Block einspannen, hält an guten Beziehungen zum saudischen Erzfeind fest, mit dem es das größte Gasfeld der Welt teilt.
Riad und Doha müssen sich internationale Kritik gefallen lassen, radikale Islamisten von Al-Kaida bis zum „Islamischen Staat“  (IS), darunter auch rivalisieren Islamistengruppen in Syrien zu unterstützen. Während sich dies für die Saudis, die von beiden Terror-Netzwerken mit gewalttätigem Hass verfolgt werden, als Bumerang erweist und Riad deshalb finanzielle Hilfe eindämmt, verbreiten saudische Imame weiter eifrig ihre Hassideologie. Riads Hauptvorwurf gegen Katar hingegen konzentriert sich auf die Unterstützung der gemäßigteren, nicht auf dem Wahhabismus basierenden Moslembruderschaft (MB), sowie der palästinensischen Hamas, die beide in der arabischen Welt große Sympathie genießen. VAE-Kronprinz Mohammed bin Zayed gestand jüngst gegenüber der BBC, dass die Herrscher am Golf die MB als „existentielle Bedrohung der Region“ betrachteten, da auch sie, wiewohl mit weniger radikalen Methoden, ein pan-islamisches Kalifat erstreben, das die Führer am Golf  vom Thron stürzen würde.
Der dritte Grund des Fehlschlags der Blockade-Politik sind gravierende Differenzen zwischen Doha und Ägypten, sowie den VAE in Fragen regionaler Sicherheit. Abu Dhabi unterstützt aktiv Ägyptens Diktator Sisi, der 2013 den ersten freigewählten ägyptischen Präsidenten, den Moslembruder Mursi, gestürzt hatte und seither dessen Anhänger massiv verfolgt. Katar hingegen stellt sich offen seit 2011 hinter die revolutionären Kräfte des „Arabischen Frühlings“ und bietet diesen, wie vor allem auch dem weithin populären in Doha lebenden ägyptischen Experten für islamisches Recht und TV-Prediger Yusuf al-Qaradawi vor allem durch die vom Emirat  finanzierten Medien, allen voran den TV-Sender Al-Jezira, eine wichtige auch gegenüber GCC-Führer kritische Plattform.
Experten der Region, wie der Islamwissenschafter Basheer Nafi sehen den Konflikt um Katar als Versuch des aufstrebend mächtigen „MbS“, die Chance erneut verstärkter US-Unterstützung zu nützen, um die Führung einer Neuordnung der Region nach dem durch den „Arabischen Frühling“ ausgelösten Zusammenbruch der gesamten regionalen Ordnung zu übernehmen. Seit 2013 versuchen die kontrarevolutionären Kräfte, insbesondere in Ägypten, mit teilweisem Erfolg den vor-revolutionären Status quo wieder herzustellen. Die Demokratisierungsprozesse wurden gestoppt und die alten politischen Kräfte zurückgeholt. Doch die kontrarevolutionären Regime, völlig unfähig, die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zu erfüllen, können sich nicht die für ihre Machterhaltung nötige Legitimität sichern. Zudem machen die verheerenden Zerstörungen in Syrien, im Irak, aber auch in Ägypten die Rückkehr in diesen Ländern zum Status quo für Jahrzehnte unmöglich und erschweren damit den Aufbau einer neuen regionalen Ordnung. Saudi-Arabien, so das Narrativ, will in diesem Chaos die Führung übernehmen, der Region ein neues Wertegefüge aufzwingen, den zentralen Platz der Religion bestimmen, sowie die Rolle der einzelnen Staaten in dieser neuen Ordnung. Katar durchkreuzt mit seiner eigenständigen Politik diese Strategie.
Beide Seiten haben sich in diesem Konflikt in eine Position manövriert, in der es kaum Kompromisse geben kann. Emir Tamim lehnt ein Vasallendasein ab, bekräftigt seine Entschlossenheit sich  „niemandem zu beugen“. Riad und Abu Dhabi drohen Doha zwar mit einer jahrelangen Blockade, würden damit sich selbst ökonomisch, aber auch politisch enorm schaden. Schon schwirren Gerüchte, die Saudis würden eine familiäre Machtverschiebung in Doha inszenieren, um einem ihnen gefälligeren Familienmitglied auf den Thron zu hieven. Äußere Mächten wie Iran, die Türkei, aber auch Russland positionieren sich bereits, um in neu entstehenden Turbulenzen ihren Einflussbereich zu erweitern. Die USA stecken in der Klemme. Saudi-Arabien, wie Katar, das den größten US-Luftwaffenstützpunkt mit 10.000 Mann beherbergt, spielen für Washington eine entscheidende Rolle im Anti-Terror-Krieg. Der Konflikt erschwert nicht nur zusätzlich noch eine Lösung der Syrien-Katastrophe, sondern droht die gesamte Golfregion in Instabilität mit unabsehbaren Folgen zu stürzen.

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