Mittwoch, 13. Juli 2016

Im Iran wächst die Enttäuschung über das Atomabkommen

Ein Jahr nach Abschluss des Vertrags bleiben viele Hoffnungen unerfüllt – Radikale Gegner Präsident Rouhanis bekommen Auftrieb
 
von Birgit Cerha
 
Der Iran  tauchte in euphorische Begeisterung, als Präsident Rouhani  im Juli 2015 mit den sechs Weltmächten (China, Frankreich, Russland, Großbritannien, die USA und Deutschland) die großen Schar der Kritiker eines Besseren belehrte und ein Abkommen  („Joint Comprehensive Plan of Action“ – JCPA)schloss, das seinen Weg zur Entwicklung einer Atombombe blockieren und der Welt mehr Sicherheit bescheren soll. Erstmals keimte die reale Hoffnung auf ein Ende jahrzehntelanger Isolation und quälender Sanktionen auf und die Jugend sah fern am Horizont wieder eine Perspektive.
Ein Jahr später zeigt eine Umfrage der unabhängigen “IranPoll“ einen alarmierenden Stimmungswandel.  Danach vertrauen 72 Prozent wenig bis gar nicht, dass die USA ihre Zusagen auch einhalten (gegenüber 41 Prozent im September 2015); 66,1 Prozent sind überzeugt, dass Washington andere Wege suche, um die negativen Auswirkungen der Sanktionen beizubehalten, selbst wenn diese voll aufgehoben würden. Washington werde weiterhin andere Länder an der Normalisierung wirtschaftlicher Beziehungen mit dem Iran hindern. Erste Anzeichen dafür zeigen sich bereits.
Die wachsende Enttäuschung innerhalb der „Islamischen Republik“ könnte sich als die größte Gefahr für dieses Abkommen erweisen, das einen Meilenstein in einer von Gewalt und explosiven Konflikten bedrohten Region setzte. Sie könnte sich als schweres Dilemma für die USA erweisen, und sie gibt schon jetzt den radikalen Gegnern der iranisch-westlichen Verständigung in der Region, in den USA und im Iran beängstigenden Auftrieb.
In der Region, in der der rasante Aufstieg der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) seit 2014 die latenten Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten dramatisch verschärfte, wachsen die Animositäten zwischen dem schiitischen Iran und den von Sunniten regierten Ländern unter Führung Saudi-Arabiens, die jede Aussöhnung mit Teheran entschieden ablehnen. Dementsprechend klagen insbesondere die arabischen Golfstaaten über wachsende Spannungen und angeblich zunehmende Bedrohung durch den Iran seit Abschluss des Atomabkommens.  
Eine genauere Analyse der Entwicklungen der vergangenen Monate aber zeigt einen tiefgreifenden Einfluss des Abkommens auf die geopolitische Dynamik der Region. Bis zu seinem Abschluss und dem von der Internationalen Atomenergiebehörde bescheinigten genauen Einhaltung der Bedingungen durch den Iran hatten hohe US-Beamte das Risiko eines israelischen Präventivschlages auf den Iran, der die USA in einen die ganze Region destabilisierenden Krieg hineinziehen würde mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit eingeschätzt. Heute ist davon keine Rede mehr. Selbst der frühere israelische Verteidigungsminister Moshe Yaalon, ein Falke im Establishment, sieht für die absehbare Zukunft keine existentielle Gefahr mehr für den Judenstaat. Ebensowenig hat das Abkommen zu keiner Radikalisierung der Teheraner Regionalpolitik geführt. Zwar hält der Iran unverändert an der Unterstützung des syrischen Präsidenten Assad, der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah und irakischer Schiiten fest, doch US-Außenminister Kerry gab offen zu, dass der Iran „hilfreich“ sei im Kampf gegen den IS im Irak und dass beide Staaten „gemeinsame Interessen“ verbänden.
 Ungeachtet anhaltender anti-amerikanischer Rhetorik des „Geistlichen Führers“ Khamenei, haben sich die Beziehungen zwischen den jahrzehntelangen Erzfeinden entscheidend verändert. Das zeigte sich deutlich im Januar, als US-Marines in iranischen Hoheitsgewässern von iranischen Revolutionsgardisten festgenommen und binnen 16 Stunden wieder freigelassen wurden . Solche Zwischenfälle hätten in der Vergangenheit eine schwere diplomatische Krise ausgelöst.
Dennoch wächst unter den sich nach Aussöhnung mit der Welt sehnenden Iranern die Frustration, nicht zuletzt deshalb, weil Rouhani, um seine radikalen Gegner zu beschwichtigen, das Abkommen als großen „politischen Sieg“ präsentierte, der ein Ende der Sanktionen brächte. In Wahrheit hoben die USA nur die „sekundären“, direkt mit dem Atomkonflikt verbundenen Strafmaßnahmen auf, andere, wegen Unterstützung von Terrorgruppen und Verletzung der Menschenrechte eingehobene bleiben intakt und blockieren entscheidend den Zugang zum amerikanischen, aber auch europäischen Finanzmarkt. Banken halten sich bei neuem Iran-Engagement vollends zurück, aus Sorge auch vor der Iranpolitik einer neuen US-Führung. Beide Präsidentschaftskandidaten – Clinton und Trump – haben sich bisher nicht voll zu einer Aussöhnung mit Teheran bekannt. Die US-Position und die Unsicherheiten über die künftige Politik Washington  wirken in starkem Maße abschreckend auf Investoren und Firmen. Damit bleiben die ökonomischen Früchte des Abkommens für die iranische Bevölkerung bisher aus. Selbst Kerry klagte jüngst, dass es dem Iran bisher nur gelungen sei drei Mrd. der insgesamt 100 Mrd. in den USA eingefrorenen Guthaben zu erhalten.
Während die iranische Bevölkerung zunehmend frustriert auf die verheißenen „Segnungen“ wartet, bekommen die Radikalen in einem sich verschärfenden Machtkampf mit den Gemäßigten unter Rouhani mehr und mehr Auftrieb. Sie zeihen Washington des „erneuten Verrates“ und sprechen damit immer mehr Bürgern aus der Seele._So könnte Rouhani im nächsten Jahr die Wiederwahl  und mit ihm die Reformbewegung an Bedeutung verlieren und die Radikalen besäßen die heißersehnte Chance, dieses von ihnen so verhasste Atomabkommen zu annullieren.

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