Ein Jahr nach Abschluss des Vertrags bleiben viele Hoffnungen unerfüllt – Radikale Gegner Präsident Rouhanis bekommen Auftrieb
von Birgit Cerha
Der Iran tauchte in euphorische Begeisterung, als Präsident
Rouhani im Juli 2015 mit den sechs Weltmächten (China, Frankreich,
Russland, Großbritannien, die USA und Deutschland) die großen Schar der
Kritiker eines Besseren belehrte und ein Abkommen („Joint Comprehensive
Plan of Action“ – JCPA)schloss, das seinen Weg zur Entwicklung einer
Atombombe blockieren und der Welt mehr Sicherheit bescheren soll.
Erstmals keimte die reale Hoffnung auf ein Ende jahrzehntelanger
Isolation und quälender Sanktionen auf und die Jugend sah fern am
Horizont wieder eine Perspektive.
Ein Jahr später zeigt eine Umfrage der unabhängigen “IranPoll“
einen alarmierenden Stimmungswandel. Danach vertrauen 72 Prozent wenig
bis gar nicht, dass die USA ihre Zusagen auch einhalten (gegenüber 41
Prozent im September 2015); 66,1 Prozent sind überzeugt, dass Washington
andere Wege suche, um die negativen Auswirkungen der Sanktionen
beizubehalten, selbst wenn diese voll aufgehoben würden. Washington
werde weiterhin andere Länder an der Normalisierung wirtschaftlicher
Beziehungen mit dem Iran hindern. Erste Anzeichen dafür zeigen sich
bereits.
Die wachsende Enttäuschung innerhalb der „Islamischen Republik“
könnte sich als die größte Gefahr für dieses Abkommen erweisen, das
einen Meilenstein in einer von Gewalt und explosiven Konflikten
bedrohten Region setzte. Sie könnte sich als schweres Dilemma für die
USA erweisen, und sie gibt schon jetzt den radikalen Gegnern der
iranisch-westlichen Verständigung in der Region, in den USA und im Iran
beängstigenden Auftrieb.
In der Region, in der der rasante Aufstieg der Terrormiliz des
„Islamischen Staates“ (IS) seit 2014 die latenten Spannungen zwischen
Sunniten und Schiiten dramatisch verschärfte, wachsen die Animositäten
zwischen dem schiitischen Iran und den von Sunniten regierten Ländern
unter Führung Saudi-Arabiens, die jede Aussöhnung mit Teheran
entschieden ablehnen. Dementsprechend klagen insbesondere die arabischen
Golfstaaten über wachsende Spannungen und angeblich zunehmende
Bedrohung durch den Iran seit Abschluss des Atomabkommens.
Eine genauere Analyse der Entwicklungen der vergangenen Monate aber
zeigt einen tiefgreifenden Einfluss des Abkommens auf die geopolitische
Dynamik der Region. Bis zu seinem Abschluss und dem von der
Internationalen Atomenergiebehörde bescheinigten genauen Einhaltung der
Bedingungen durch den Iran hatten hohe US-Beamte das Risiko eines
israelischen Präventivschlages auf den Iran, der die USA in einen die
ganze Region destabilisierenden Krieg hineinziehen würde mit
50-prozentiger Wahrscheinlichkeit eingeschätzt. Heute ist davon keine
Rede mehr. Selbst der frühere israelische Verteidigungsminister Moshe
Yaalon, ein Falke im Establishment, sieht für die absehbare Zukunft
keine existentielle Gefahr mehr für den Judenstaat. Ebensowenig hat das
Abkommen zu keiner Radikalisierung der Teheraner Regionalpolitik
geführt. Zwar hält der Iran unverändert an der Unterstützung des
syrischen Präsidenten Assad, der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah
und irakischer Schiiten fest, doch US-Außenminister Kerry gab offen zu,
dass der Iran „hilfreich“ sei im Kampf gegen den IS im Irak und dass
beide Staaten „gemeinsame Interessen“ verbänden.
Ungeachtet anhaltender anti-amerikanischer Rhetorik des
„Geistlichen Führers“ Khamenei, haben sich die Beziehungen zwischen den
jahrzehntelangen Erzfeinden entscheidend verändert. Das zeigte sich
deutlich im Januar, als US-Marines in iranischen Hoheitsgewässern von
iranischen Revolutionsgardisten festgenommen und binnen 16 Stunden
wieder freigelassen wurden . Solche Zwischenfälle hätten in der
Vergangenheit eine schwere diplomatische Krise ausgelöst.
Dennoch wächst unter den sich nach Aussöhnung mit der Welt
sehnenden Iranern die Frustration, nicht zuletzt deshalb, weil Rouhani,
um seine radikalen Gegner zu beschwichtigen, das Abkommen als großen
„politischen Sieg“ präsentierte, der ein Ende der Sanktionen brächte. In
Wahrheit hoben die USA nur die „sekundären“, direkt mit dem
Atomkonflikt verbundenen Strafmaßnahmen auf, andere, wegen Unterstützung
von Terrorgruppen und Verletzung der Menschenrechte eingehobene bleiben
intakt und blockieren entscheidend den Zugang zum amerikanischen, aber
auch europäischen Finanzmarkt. Banken halten sich bei neuem
Iran-Engagement vollends zurück, aus Sorge auch vor der Iranpolitik
einer neuen US-Führung. Beide Präsidentschaftskandidaten – Clinton und
Trump – haben sich bisher nicht voll zu einer Aussöhnung mit Teheran
bekannt. Die US-Position und die Unsicherheiten über die künftige
Politik Washington wirken in starkem Maße abschreckend auf Investoren
und Firmen. Damit bleiben die ökonomischen Früchte des Abkommens für die
iranische Bevölkerung bisher aus. Selbst Kerry klagte jüngst, dass es
dem Iran bisher nur gelungen sei drei Mrd. der insgesamt 100 Mrd. in den
USA eingefrorenen Guthaben zu erhalten.
Während die iranische Bevölkerung zunehmend frustriert auf die
verheißenen „Segnungen“ wartet, bekommen die Radikalen in einem sich
verschärfenden Machtkampf mit den Gemäßigten unter Rouhani mehr und mehr
Auftrieb. Sie zeihen Washington des „erneuten Verrates“ und sprechen
damit immer mehr Bürgern aus der Seele._So könnte Rouhani im nächsten
Jahr die Wiederwahl und mit ihm die Reformbewegung an Bedeutung
verlieren und die Radikalen besäßen die heißersehnte Chance, dieses von
ihnen so verhasste Atomabkommen zu annullieren.
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