Die Eroberung Palmyras stärkt Syriens Diktator – Nun verspricht das Regime, den „Islamischen Staat“ in die „Zange“ zu nehmen
von Birgit Cerha
Als syrische Soldaten Sonntag nach tagelangen Kämpfen die
Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) aus dem 2.000 Jahre alten
Palmyra vertrieben und die einzigartige historische Stätte betraten,
„hatten wir solche Angst nur totale Zerstörung vorzufinden. Wir wagten
kaum, uns umzusehen“, gestand ein Angehöriger der Regierungstruppen,
„Aber dann waren wir so erleichtert.“ Nach dem Studium von
Armee-Berichten, Fotos und Videoaufnahmen der alten Oasenstadt gesteht
Syriens Antiken-Direktor Mamoun Abdelkarim, er hätte das Schlimmste
befürchtet, sei nun aber erleichtert. Die Anlage sei insgesamt in gutem
Zustand, Zerstörtes könne wieder aufgebaut werden.
Palmyra, UNESCO-Weltkulturerbe und im Volksmund liebevoll die
„Wüstenbraut“ genannt, zählt zu den wertvollsten kulturhistorischen
Schätzen des Mittleren Ostens. Die Oasenstadt lag am Kreuzweg mehrerer
Zivilisationen und vereinte in ihren Bauten griechische, römische und
persische Architektur. Als die zerstörungswütigen Barbaren des IS sie
im Mai 2015 unter ihre Kontrolle zwangen, ging ein Aufschrei durch die
Welt. Binnen zwei Monaten zerstörten die Jihadis - spektakulär über
Videos publik gemacht - den Triumphbogen, sowie die Tempel des Bal und
Baalshamin, plünderten Gräber und die vom 82-jährigen Archäologen
Khaled al-Assad ein Berufsleben lang im Museum Palmyras gehüteten
Schätze. Sie verhöhnten den Wissenschaftler und köpften ihn im
Amphitheater Palmyras, nachdem er ihnen den Zugang zu den wertvollsten
Reichtümern verweigert hatte. Die UNESCO beschreibt diese Untaten des IS
als „Kriegsverbrechen“.
Noch lässt sich das wahre Ausmaß der Schäden nicht erkennen. Die
Befreiung Palmyras hat aber für das Regime Assad auch große
psychologische, strategische und politische Bedeutung. Mit der Eroberung
des IS wurde Palmyra zum Symbol der Schwäche des Regimes, das die von
rund 100.000 Menschen bewohnte Stadt und die ausgedehnten antiken
Ruinenfelder nicht verteidigen konnte. Es war zugleich auch ein schwerer
Schlag für die internationale Anti-IS-Koalition, wiewohl die
US-Luftwaffe nicht einmal versucht hatte, das Heranrücken der IS-Truppen
zu verhindern. Mit ihrem Eroberungsfeldzug gewannen die Jihadis
weltweite Aufmerksamkeit,schienen fast unbesiegbar, während Assads
militärische Schwäche offen entlarvt wurde. Als sie das berüchtigte
Militärgefängnis des Diktators in Palmyra öffneten und die Gefangenen
freiließen, sicherten sich die IS-Kämpfer erstmals auch Sympathie unter
vielen vom Regime so lange unterdrückten Sunniten.
Die Rückeroberung bedeutet deshalb für Assad einen triumphalen Sieg
und Prestigegewinn. Er kann damit den Rebellen klarmachen, dass seine
Truppen wieder zu größeren Militäroperationen fähig sind, wiewohl der IS
in Palmyra einer wiederholt praktizierten Strategie gefolgt war und
nach Verlusten von etwa 4.000 Mann einen Rückzug zu seinen Hochburgen
Rakka und Deir el-Zor dem Kampf bis zum bitteren Ende vorgezogen hatte.
Die Wende in seinem Kriegsglück verdankt Assad dem wesentlich
verstärkten Einsatz seiner iranischen Verbündeten und der schiitischen
Allianz aus libanesischer Hisbollah und irakischen Milizionären, vor
allem aber russischer Hilfe, die ihm trotz des von Präsident Putin
verkündeten militärischen Rückzugs noch sicher ist. Wie die Kämpfe in
Palmyra zeigten, dürft Moskau künftig nicht Jets, sondern
Kampfhelikopter einsetzen.
Durch die Eroberung von Palmyra können Assads Streitkräfte nun ein
weites Wüstengebiet bis nach Rakka und Deir El-Zor unter ihre Kontrolle
bringen und den IS „in die Zange“ nehmen, um ihm, wie syrische
Militärführer betonen, „einen tödlichen Schlag“ zu versetzen. Assad
präsentiert sich als der einzige, der die Terrormiliz besiegen könne und
damit auch für den Westen unverzichtbar sei. Gelingt ihm eine Attacke
auf Rakka bevor die US-Allianz ihre schon lange geplante Offensive
beginnt, hat er seine Position unverrückbar gestärkt. Schon jetzt steht
für seine Delegierten bei den gegenwärtigen Friedensgesprächen in Genf
eine Übergangsphase ohne ihn überhaupt nicht mehr zur Debatte.
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