Montag, 15. September 2014

Araber planen Finanzkrieg gegen „Islamischen Staat“

Trotz tiefster Abscheu vor den Brutalitäten der Terrororganisation zögern Regionalstaaten, sich der von den USA geführten Allianz voll anzuschließen
 
von Birgit Cerha
 
Während die USA im Eiltempo an eine internationale Allianz zur Vernichtung des „Islamischen Staates“ (IS) schmieden, hat die Terrororganisation offenbar mit wichtigen strategischen Veränderungen begonnen, die die ohnedies zweifelhaften Erfolgsaussichten des von US-Präsident Obama in der Vorwoche präsentierten Plans empfindlich schmälern könnten. Nach einem Bericht des in England stationierten „Syrian Observatory for Human Rights“ haben gemäßigte islamistische Rebellen gegen das Assad-Regime, darunter die von den USA unterstützte „Revolutionäre Front Syriens“ erstmals einen unbefristeten Nicht-Angriffspakt mit IS geschlossen, mit dem sie sich seit eineinhalb Monaten heftige Kämpfe in und um Damaskus lieferten. Die beiden Parteien begründen diesen Schritt mit dem Wunsch, sich angesichts des gemeinsamen Feindes Assad nicht gegenseitig zu schwächen.
Der Einsatz syrischer Rebellen, unterstützt von Washington durch Waffen und Attacken aus der Luft, im Kampf gegen die Hauptzentren des IS in Syrien ist Kern der amerikanischen Strategie, die entschieden auf den Einsatz eigener Bodentruppen verzichtet. In den vergangenen Monaten hatten Kämpfe zwischen IS und rivalisierenden syrischen Rebellen, insbesondere der mit Al-Kaida verbündeten „Nusra Front“, Assads militante Gegner empfindlich geschwächt.
Kurz zuvor hatte die seit langem vom Westen geförderte „Freie syrische Armee“ (FSA) ihre Weigerung bekanntgegeben, sich der internationalen Allianz gegen IS anzuschließen, da die Entschlossenheit der USA zum Sturz des Assad-Regimes zweifelhaft sei und Obamas Plan auch keine „revolutionären Prinzipien“ enthalte.
Obamas Vierpunkte-Plan gegen IS sieht Luftangriffe, materielle und technische Unterstützung für die auf dem Boden kämpfenden Milizen im Irak und in Syrien, diverse Anti-Terror-Aktivitäten, sowie humanitäre Hilfe für die betroffene Bevölkerung vor. Dabei ist eine starke und entschlossene Beteiligung der Regionalstaaten von entscheidender Bedeutung, um zumindest den Anschein eines westlichen „Kreuzzuges“ und der damit verbundenen kontraproduktiven Wirkung zu vermeiden. US-Außenminister Kerry konnte zwar zehn islamische Staaten (die Türkei Irak, Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain und Oman) grundsätzlich in den Bund einbeziehen. Doch keiner findet sich zu aktivem militärischen Engagement, nicht einmal zur Bereitstellung von Luftwaffenstützpunkten für den Einsatz von US-Kampfflugzeugen bereit. Die Türkei, die u.a. um das Leben von mehr als 40 ihrer in der Gewalt von IS gehaltenen Staatsbürgern fürchtet und nichts unternehmen will, das Assad an der Macht halten könnte, verspricht lediglich den bisher weitgehend freien Zustrom von Jihadis zu IS über ihr Territorium nach Syrien und in den Irak zu stoppen und verstärkt humanitäre Hilfe zu leisten. Nach jüngster Einschätzung des US-Geheimdienstes CIA dürfte die Zahl der IS-Kämpfer seit den großen militärischen Erfolgen der Gruppe im Irak Mitte Juni auf 20.000 bis 31.000 angeschwollen sein, die Hälfte davon Ausländer.
 Die Golfstaaten versprechen, künftig die in der Vergangenheit so reich geflossenen finanziellen privaten Zuwendungen reicher Bürger an IS und auch andere islamistische Gruppen zu stoppen. Ein solcher Finanzkrieg könnte entscheidende Bedeutung gewinnen, sobald IS die Kontrolle insbesondere über die von ihm eroberten Ölfelder in Syrien und im Irak verliert, aus denen er nach Schätzungen pro Tag 25.000 Barrel fördert und durch Geheimverkäufe in der Türkei und im Irak an die 1,2 Mio. Dollar einstreift. Das superreiche Katar bekundete seine Kooperationsbereitschaft durch einen radikalen politischen Kurswechsel. Es entzog der von anderen Golfstaaten gefürchteten Moslembruderschaft (MB) die langjährige Unterstützung und zahlreichen führenden ägyptischen Mitgliedern die Asylgenehmigung. Katar war der wichtigste Verbündete des im Vorjahr gestürzten ägyptischen Islamistenpräsidenten Mursi. Sein Nachfolger, Ex-Oberfeldmarschall Sisi, knüpft ein aktives Engagement in der Anti-IS-Allianz an eine Ausweitung der Kampfstrategie gegen alle radikalen islamistischen Gruppen und meint damit vor allem die MB. Keiner dieser arabischen Staaten, außer dem Irak, zeigt sich bisher bereit zum Einsatz von Bodentruppen. Ägypten, das über die größte Armee verfügt, begründet seine Weigerung mit der latenten Terrorgefahr im Sinai, wo lokale Islamisten wöchentlich Anschläge verüben, der immer noch sehr labilen internen Situation und vor allem auch den Gefahren aus dem turbulenten libyschen Nachbarstaat. Einzig Saudi-Arabien verspricht Trainingslager für gemäßigte syrische Rebellen einzurichten.
Die Rolle Jordaniens, von wo sich Hunderte, wenn nicht gar Tausende Bürger IS und anderen extremen Gruppen in Syrien angeschlossen haben, dürfte sich ausschließlich auf geheimdienstliche Kooperation mit den USA beschränken.
Dem größten Test aber wird Washingtons neue Strategie im Irak und in Syrien unterzogen werden. Noch steht nicht fest, ob es dem neuen irakischen Premier gelingt, die arabischen Sunniten so fest in die Regierung einzubinden, dass sie sich gegen IS erheben. Die USA versprachen zwar intensive Hilfe zur Stärkung der nationalen Streitkräfte, die gegen IS so kläglich versagt hatten. Doch der Erfolg wird sich nicht so rasch wie nötig einstellen können.
Nach Washingtons Vorstellungen ist eine Kombination effektiver lokaler Militäraktionen und inklusiver politischer Systeme entscheidende Voraussetzung für die Vernichtung von IS. Ob dies im Irak gelingen kann, ist noch offen. Im blutigen Chaos Syriens mangelt es an vertrauenserweckenden lokalen Partnern. Selbst die FSA ist heute ein schwacher Haufen von Kämpfern, von denen eine unbekannte Zahl wohl auch mit radikalen Islamisten sympathisieren dürfte. Die einzige militärische Kraft, die IS zu Leibe rücken könnte, ist die Armee Assads. Doch Obama ignorierte das Kooperationsangebot des Diktators, dessen Sturz er seit 2011 fordert, und lehnt zugleich auch die für den Erfolg seines Unternehmens wohl entscheidendste Unterstützung des Irans ab.
Kein Zweifel, die Menschen in der Region empfinden angesichts der Barberei des IS tiefe Abscheu. Doch Obamas Plan erfülle viele mit Skepsis, meint der jordanische Kommentator Rami Khouri, nicht zuletzt, weil alle bisherigen US-Militäraktionen die Region in ein noch größeres Schlamassel gestürzt hätten und weil dem jetzigen Konzept jede Vision, ja sogar ein vager Plan für die Zukunft Syriens – ohne Assad mit wem? – fehle.
 

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