Trotz tiefster Abscheu vor den Brutalitäten der Terrororganisation
zögern Regionalstaaten, sich der von den USA geführten Allianz voll
anzuschließen
von Birgit Cerha
Während die USA im Eiltempo an eine internationale Allianz zur
Vernichtung des „Islamischen Staates“ (IS) schmieden, hat die
Terrororganisation offenbar mit wichtigen strategischen Veränderungen
begonnen, die die ohnedies zweifelhaften Erfolgsaussichten des von
US-Präsident Obama in der Vorwoche präsentierten Plans empfindlich
schmälern könnten. Nach einem Bericht des in England stationierten
„Syrian Observatory for Human Rights“ haben gemäßigte islamistische
Rebellen gegen das Assad-Regime, darunter die von den USA unterstützte
„Revolutionäre Front Syriens“ erstmals einen unbefristeten
Nicht-Angriffspakt mit IS geschlossen, mit dem sie sich seit eineinhalb
Monaten heftige Kämpfe in und um Damaskus lieferten. Die beiden Parteien
begründen diesen Schritt mit dem Wunsch, sich angesichts des
gemeinsamen Feindes Assad nicht gegenseitig zu schwächen.
Der Einsatz syrischer Rebellen, unterstützt von Washington durch
Waffen und Attacken aus der Luft, im Kampf gegen die Hauptzentren des IS
in Syrien ist Kern der amerikanischen Strategie, die entschieden auf
den Einsatz eigener Bodentruppen verzichtet. In den vergangenen Monaten
hatten Kämpfe zwischen IS und rivalisierenden syrischen Rebellen,
insbesondere der mit Al-Kaida verbündeten „Nusra Front“, Assads
militante Gegner empfindlich geschwächt.
Kurz zuvor hatte die seit langem vom Westen geförderte „Freie
syrische Armee“ (FSA) ihre Weigerung bekanntgegeben, sich der
internationalen Allianz gegen IS anzuschließen, da die Entschlossenheit
der USA zum Sturz des Assad-Regimes zweifelhaft sei und Obamas Plan auch
keine „revolutionären Prinzipien“ enthalte.
Obamas Vierpunkte-Plan gegen IS sieht Luftangriffe, materielle und
technische Unterstützung für die auf dem Boden kämpfenden Milizen im
Irak und in Syrien, diverse Anti-Terror-Aktivitäten, sowie humanitäre
Hilfe für die betroffene Bevölkerung vor. Dabei ist eine starke und
entschlossene Beteiligung der Regionalstaaten von entscheidender
Bedeutung, um zumindest den Anschein eines westlichen „Kreuzzuges“ und
der damit verbundenen kontraproduktiven Wirkung zu vermeiden.
US-Außenminister Kerry konnte zwar zehn islamische Staaten (die Türkei
Irak, Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten
Arabischen Emirate, Katar, Bahrain und Oman) grundsätzlich in den Bund
einbeziehen. Doch keiner findet sich zu aktivem militärischen
Engagement, nicht einmal zur Bereitstellung von Luftwaffenstützpunkten
für den Einsatz von US-Kampfflugzeugen bereit. Die Türkei, die u.a. um
das Leben von mehr als 40 ihrer in der Gewalt von IS gehaltenen
Staatsbürgern fürchtet und nichts unternehmen will, das Assad an der
Macht halten könnte, verspricht lediglich den bisher weitgehend freien
Zustrom von Jihadis zu IS über ihr Territorium nach Syrien und in den
Irak zu stoppen und verstärkt humanitäre Hilfe zu leisten. Nach jüngster
Einschätzung des US-Geheimdienstes CIA dürfte die Zahl der IS-Kämpfer
seit den großen militärischen Erfolgen der Gruppe im Irak Mitte Juni auf
20.000 bis 31.000 angeschwollen sein, die Hälfte davon Ausländer.
Die Golfstaaten versprechen, künftig die in der Vergangenheit so
reich geflossenen finanziellen privaten Zuwendungen reicher Bürger an IS
und auch andere islamistische Gruppen zu stoppen. Ein solcher
Finanzkrieg könnte entscheidende Bedeutung gewinnen, sobald IS die
Kontrolle insbesondere über die von ihm eroberten Ölfelder in Syrien und
im Irak verliert, aus denen er nach Schätzungen pro Tag 25.000 Barrel
fördert und durch Geheimverkäufe in der Türkei und im Irak an die 1,2
Mio. Dollar einstreift. Das superreiche Katar bekundete seine
Kooperationsbereitschaft durch einen radikalen politischen Kurswechsel.
Es entzog der von anderen Golfstaaten gefürchteten Moslembruderschaft
(MB) die langjährige Unterstützung und zahlreichen führenden ägyptischen
Mitgliedern die Asylgenehmigung. Katar war der wichtigste Verbündete
des im Vorjahr gestürzten ägyptischen Islamistenpräsidenten Mursi. Sein
Nachfolger, Ex-Oberfeldmarschall Sisi, knüpft ein aktives Engagement in
der Anti-IS-Allianz an eine Ausweitung der Kampfstrategie gegen alle
radikalen islamistischen Gruppen und meint damit vor allem die MB.
Keiner dieser arabischen Staaten, außer dem Irak, zeigt sich bisher
bereit zum Einsatz von Bodentruppen. Ägypten, das über die größte Armee
verfügt, begründet seine Weigerung mit der latenten Terrorgefahr im
Sinai, wo lokale Islamisten wöchentlich Anschläge verüben, der immer
noch sehr labilen internen Situation und vor allem auch den Gefahren aus
dem turbulenten libyschen Nachbarstaat. Einzig Saudi-Arabien verspricht
Trainingslager für gemäßigte syrische Rebellen einzurichten.
Die Rolle Jordaniens, von wo sich Hunderte, wenn nicht gar Tausende
Bürger IS und anderen extremen Gruppen in Syrien angeschlossen haben,
dürfte sich ausschließlich auf geheimdienstliche Kooperation mit den USA
beschränken.
Dem größten Test aber wird Washingtons neue Strategie im Irak und
in Syrien unterzogen werden. Noch steht nicht fest, ob es dem neuen
irakischen Premier gelingt, die arabischen Sunniten so fest in die
Regierung einzubinden, dass sie sich gegen IS erheben. Die USA
versprachen zwar intensive Hilfe zur Stärkung der nationalen
Streitkräfte, die gegen IS so kläglich versagt hatten. Doch der Erfolg
wird sich nicht so rasch wie nötig einstellen können.
Nach Washingtons Vorstellungen ist eine Kombination effektiver
lokaler Militäraktionen und inklusiver politischer Systeme entscheidende
Voraussetzung für die Vernichtung von IS. Ob dies im Irak gelingen
kann, ist noch offen. Im blutigen Chaos Syriens mangelt es an
vertrauenserweckenden lokalen Partnern. Selbst die FSA ist heute ein
schwacher Haufen von Kämpfern, von denen eine unbekannte Zahl wohl auch
mit radikalen Islamisten sympathisieren dürfte. Die einzige militärische
Kraft, die IS zu Leibe rücken könnte, ist die Armee Assads. Doch Obama
ignorierte das Kooperationsangebot des Diktators, dessen Sturz er seit
2011 fordert, und lehnt zugleich auch die für den Erfolg seines
Unternehmens wohl entscheidendste Unterstützung des Irans ab.
Kein Zweifel, die Menschen in der Region empfinden angesichts der
Barberei des IS tiefe Abscheu. Doch Obamas Plan erfülle viele mit
Skepsis, meint der jordanische Kommentator Rami Khouri, nicht zuletzt,
weil alle bisherigen US-Militäraktionen die Region in ein noch größeres
Schlamassel gestürzt hätten und weil dem jetzigen Konzept jede Vision,
ja sogar ein vager Plan für die Zukunft Syriens – ohne Assad mit wem? –
fehle.
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