Ägyptens neuer Präsident verspricht Heilung der „chronischen
Krankheiten“ und „Null-Toleranz“ gegenüber „Terroristen – Dem Land
drohen harte Zeiten
von Birgit Cerha
„Eine neue Ära“ habe begonnen, euphorisch feiert Ägyptens
einflussreichste Tageszeitung „Al Ahram“ den Machtantritt von
Ex-Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi, der Sonntag in Kairo mit
Fanfaren und Freudenfeiern angelobt wurde. Ein Teil der Bevölkerung,
allen voran die alte Elite aus der Zeit des 2011 gestürzten Diktators
Mubarak, aber auch viele der durch die dreijährigen blutigen Turbulenzen
zermürbten Ägypter setzen große Hoffnung auf Stabilität und wachsenden
Wohlstand in Sisi, der vor einem Jahr den Sturz des ersten gewählten
Präsidenten, des Moslembruders Mohammed Mursi, geleitet und sich nun
einen Wahlsieg von 97 Prozent gesichert hatte. Doch das „andere Ägypten“
- Anhänger der Moslembruderschaft und der zunehmend verfolgten
Demokratie-Aktivisten, die die Revolution gegen Mubarak geführt hatten -
blieb daheim. Sie repräsentieren 60 Prozent der Wahlberechtigten, die
aus Protest oder Frustration nicht zu den Urnen gegangen waren.
Vor hohen Würdenträgern aus dem In- und vor allem dem arabischen
Ausland versprach Sisi eine „volle Renaissance im Inneren“, sowie die
Korrektur „der Fehler der Vergangenheit, die das Land so tief
polarisiert“ hätten. Er rief die Ägypter zur Einheit und harter Arbeit
auf, um den Krieg gegen die quälende Armut zu gewinnen. Doch der neue
„Pharao“ ließ keine Bereitschaft erkennen, den tiefen Graben zu
überbrücken, der Ägypten auseinanderzureißen droht. Ohne die
Moslembrüder beim Namen zu nennen, stellte er klar, dass sie in „seinem
Ägypten“ keinen Platz finden würden, er werde keine
„Parallelgesellschaft“, keine Gewalt und keinen religiösen Extremismus
dulden. Vielmehr rief er zur Rückkehr eines gemäßigten Islam auf und hob
die entscheide Rolle „Al-Azhars“, des höchsten Lehrzentrum des
sunnitischen Islam, sowie der koptischen Kirche bei der
„Wiedervereinigung des Landes“ hervor.
Wiewohl Sisi durch wiederholte Betonung der Revolutionsslogans von
2011 – „Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Brot“ – den säkularen
Demokratie-Aktivisten entgegenzukommen schien, konnte er in diesen
Kreisen die Angst nicht zerstreuen, dass der neue Präsident nun
verschärft auch gegen die ganze Opposition im Lande vorgehen werde. „Die
Anzeichen sind nicht ermutigend“, bemerkt ein westlicher Diplomat in
Kairo.
Sisis Erbe ist neben der tiefen Polarisierung des Landes
erdrückend. Zwei Jahrzehnte lang hatte die Wirtschaft nicht so ein
niedriges Wachstum erreicht, wie seit 2011. Die Auslandsreserven haben
sich gegenüber Dezember 2010 halbiert, Arbeitslosigkeit und Inflation
sind drastisch gestiegen, ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der
Armutsgrenze, das Leben der Arbeiter hat sich gegenüber 2004 wesentlich
verschlechtert, die Infrastruktur weist schwere Probleme auf, ebenso die
Energieversorgung. Sisi verspricht den Bau von 26 neuen Ferienanlagen,
acht neuen Flughäfen, 22 Industrieparks, die Kultivierung von 1,6 Mio.
ha Wüste. Die Geschäftswelt preist ihn als einen Mann, der den Mut
besitzt, schwierige Entscheidungen auch durchzusetzen. Doch die Hoffnung
der armen Massen, seine Versprechungen von einem besseren Leben könnten
auch ihnen Erleichterung bringen, dürfte sich als Trugschluss erweisen.
Sein Versprechen, eine Kette von Sozialwohnungen um Kairo für 40 Mrd.
Dollar zu errichten, ist nach Ansicht von Experten für die Masse der
Bedürftigsten aus finanziellen Gründen unerreichbar. Vielmehr erwarten
Ökonomen scharfe Austerity-Maßnahmen – Abbau der Subventionen für
Lebensmittel und Energie, die die ohnedies am Rande des Hungers
vegetierenden sozial niedrigsten Schichten am härtesten treffen würden.
Seine Bereitschaft zur gnadenlosen Niederschlagung von Massenprotesten
hat Sisi bereits bewiesen. Ein neues Gesetz schafft ihm die legale Basis
dafür. In jüngst über Youtube von „Rassd“ (ein mit dem arabischen
TV-Sender „Al-Jezira“ und der ägyptischen Moslembruderschaft
kooperierendes News-Portal) verbreiteten privaten Interviews erklärte
Sisi : „Die Menschen glauben ich bin ein sanfter Typ. Das ist nicht der
Fall ….Sisi bedeutet Qualen und Leiden.“
Doch die zu Jahresbeginn gebilligte neue Verfassung schränkt die
Macht des Präsidenten zugunsten des Parlaments, das noch in diesem Jahr
gewählt werden muss, so drastisch ein, dass es fraglich erscheint, ob er
zutiefst unpopuläre Austerity-Maßnahmen oder Reformen die den
Interessen der diversen Machtgruppen schaden, auch durchsetzen kann,
ohne sich zum absoluten Diktator zu erheben. Gelingt es ihm aber nicht,
die sozialen Hoffnungen der Massen wenigstens im Ansatz zu erfüllen,
dann könnten sich die Ägypter, die ihn gerufen hatten, schon bald gegen
ihren „Retter“ erheben.
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