Montag, 9. Juni 2014

“Sisi bedeutet Qualen und Leiden”

Ägyptens neuer Präsident verspricht Heilung der „chronischen Krankheiten“ und „Null-Toleranz“ gegenüber „Terroristen – Dem Land drohen harte Zeiten
 
von Birgit Cerha
 
„Eine neue Ära“ habe begonnen, euphorisch feiert Ägyptens einflussreichste Tageszeitung „Al Ahram“ den Machtantritt von Ex-Feldmarschall  Abdel  Fatah al-Sisi, der Sonntag in Kairo mit Fanfaren und Freudenfeiern angelobt wurde. Ein Teil der Bevölkerung, allen voran die alte Elite aus der Zeit des 2011 gestürzten Diktators Mubarak, aber auch viele der durch die dreijährigen blutigen Turbulenzen zermürbten Ägypter setzen große Hoffnung auf Stabilität und wachsenden Wohlstand in Sisi, der vor einem Jahr  den Sturz des ersten gewählten Präsidenten, des Moslembruders Mohammed Mursi, geleitet und sich nun einen Wahlsieg von 97 Prozent gesichert hatte. Doch das „andere Ägypten“ - Anhänger der Moslembruderschaft und der zunehmend verfolgten Demokratie-Aktivisten, die die Revolution gegen Mubarak geführt hatten - blieb daheim. Sie repräsentieren 60 Prozent der Wahlberechtigten, die aus Protest oder Frustration nicht zu den Urnen gegangen waren.
Vor hohen Würdenträgern aus dem In- und vor allem dem arabischen Ausland versprach Sisi eine „volle Renaissance im Inneren“, sowie die Korrektur „der Fehler der Vergangenheit, die das Land so tief polarisiert“ hätten. Er rief die Ägypter zur Einheit und harter Arbeit auf, um den Krieg gegen die quälende Armut zu gewinnen. Doch der neue „Pharao“ ließ keine Bereitschaft erkennen, den tiefen Graben zu überbrücken, der Ägypten auseinanderzureißen droht. Ohne die Moslembrüder beim Namen zu nennen, stellte er klar, dass sie in „seinem Ägypten“ keinen Platz finden würden, er werde keine „Parallelgesellschaft“, keine Gewalt und keinen religiösen Extremismus dulden. Vielmehr rief er zur Rückkehr eines gemäßigten Islam auf und hob die entscheide Rolle „Al-Azhars“, des höchsten Lehrzentrum des sunnitischen Islam, sowie der koptischen Kirche bei der „Wiedervereinigung des Landes“ hervor.
Wiewohl Sisi durch wiederholte Betonung der Revolutionsslogans von 2011 – „Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Brot“ – den säkularen Demokratie-Aktivisten entgegenzukommen schien, konnte er in diesen Kreisen die Angst nicht zerstreuen, dass der neue Präsident nun verschärft auch gegen die ganze Opposition im Lande vorgehen werde. „Die Anzeichen sind nicht ermutigend“, bemerkt ein westlicher Diplomat in Kairo.
Sisis Erbe ist neben der tiefen Polarisierung des Landes erdrückend.  Zwei Jahrzehnte lang hatte die Wirtschaft nicht so ein niedriges Wachstum erreicht, wie seit 2011. Die Auslandsreserven haben sich gegenüber Dezember 2010 halbiert, Arbeitslosigkeit und Inflation sind drastisch gestiegen, ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, das Leben der Arbeiter hat sich gegenüber 2004 wesentlich verschlechtert, die Infrastruktur weist schwere Probleme auf, ebenso die Energieversorgung. Sisi verspricht den Bau von 26 neuen Ferienanlagen, acht neuen Flughäfen, 22 Industrieparks, die Kultivierung von 1,6 Mio. ha Wüste. Die Geschäftswelt preist ihn als einen Mann, der den Mut besitzt, schwierige Entscheidungen auch durchzusetzen. Doch die Hoffnung der armen Massen, seine Versprechungen von einem besseren Leben könnten auch ihnen Erleichterung bringen, dürfte sich als Trugschluss erweisen.  Sein Versprechen, eine Kette von Sozialwohnungen um Kairo für 40 Mrd. Dollar zu errichten, ist nach Ansicht von Experten für die Masse der Bedürftigsten aus finanziellen Gründen unerreichbar. Vielmehr erwarten Ökonomen scharfe Austerity-Maßnahmen – Abbau der Subventionen für Lebensmittel und Energie, die die ohnedies am Rande des Hungers vegetierenden sozial niedrigsten Schichten am härtesten treffen würden.  Seine Bereitschaft zur gnadenlosen Niederschlagung von Massenprotesten hat Sisi bereits bewiesen. Ein neues Gesetz schafft ihm die legale Basis dafür. In jüngst über Youtube von „Rassd“ (ein mit dem arabischen TV-Sender „Al-Jezira“ und der ägyptischen Moslembruderschaft kooperierendes News-Portal) verbreiteten privaten Interviews erklärte Sisi : „Die Menschen glauben ich bin ein sanfter Typ. Das ist nicht der Fall ….Sisi bedeutet Qualen und Leiden.“
Doch die zu Jahresbeginn gebilligte neue Verfassung schränkt die Macht des Präsidenten zugunsten des Parlaments, das noch in diesem Jahr gewählt werden muss, so drastisch ein, dass es fraglich erscheint, ob er zutiefst unpopuläre Austerity-Maßnahmen oder Reformen die den Interessen der diversen Machtgruppen schaden, auch durchsetzen kann, ohne sich zum absoluten Diktator zu erheben. Gelingt es ihm aber nicht, die sozialen Hoffnungen der Massen wenigstens im Ansatz zu erfüllen, dann könnten sich die Ägypter, die ihn gerufen hatten, schon bald gegen ihren „Retter“ erheben.

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