Der Konflikt um die Ukraine stärkt Teheran zu Beginn der Entscheidungsrunde in den Atomverhandlungen
von Birgit Cerha
Mit einem Arbeitsessen im Wiener Palais Coburg begann Dienstag die
entscheidende Runde in den Verhandlungen über Irans Atomprogramm
zwischen Teheran und der internationalen Sechsergruppe. In den
vergangenen Monaten hatten beide Seiten in überraschend guter und
konstruktiver Atmosphäre ihre gegenseitigen Positionen abgesteckt. Nun
beginnt auf der Grundlage des im November 2013 unterzeichneten
sechsmonatigen Übergangsabkommens die Formulierung eines endgültigen
Vertrages, der eine umfassende Lösung dieses zeitweise höchst explosiven
Streits schaffen und die internationalen Beziehungen zur „Islamischen
Republik“ neu regeln soll. Als Frist haben sich beide Seiten den
Ablauftermin des Übergangsabkommens, den 20. Juli, gesetzt. Der
Zeitdruck ist enorm, denn noch gilt es hohe Hürden zu überwinden. Der
Teufel steckt im Detail.
In einigen Aspekten sind die Konfliktpartner einander näher
gekommen. Die westlichen Unterhändler haben sich grundsätzlich damit
abgefunden, dass der Iran sein ziviles Atomprogramm behält. Nach Angaben
Teherans wurde einer der Hauptstreitpunkte, der Schwerwasserreaktor
Arak, beigelegt. Der Westen habe Teherans Vorschlag begrüßt, dort nur
ein Fünftel der geplanten Plutonium-Menge zu produzieren. Bisher hatten
die Weltmächte Stilllegung der Atomanlage oder den Umbau zu einem
Leichtwasser-Reaktor gefordert, um sicherzustellen, dass keine
ausreichende Menge von Plutonium zur Herstellung einer Atombombe
anfallen würde.
Doch in einer Reihe anderer Fragen fand man noch keine Einigung.
Nirgends ist die Kluft tiefer als beim Konflikt um die Menge
hochangereicherten Urans, die der Iran vorrätig haben, die
Leistungsstärke und die Anzahl der Zentrifugen, die er besitzen darf.
Dem Westen geht es darum, durch starke Beschränkungen die Zeit zu
verlängern, die der Iran brauchen würde, um eine Atombombe zu bauen,
sollte er sich dazu entschließen. Deshalb sollen auch die
internationalen Kontrollen verschärft werden.
Um die wachsender Schar seiner internen Kritiker zu beschwichtigen,
bekräftigte Präsident Rouhani am Vorabend der Wiener Verhandlungen die
Entschlossenheit, das Recht des Irans auf nukleare Entwicklung nicht
aufzugeben. Eine „atomare Apartheid“ sein inakzeptabel. Zugleich
versprach er absolute „Transparenz“.
Je näher der Iran einem Abkommen mit den Weltmächten rückt, desto
massiver artikulieren die Hardliners im „Gottesstaat“ ihren Widerstand
gegen den befürchteten „Ausverkauf nationaler Interessen“ durch das
Verhandlungsteam und eine Aussöhnung mit den USA, die für sie aus
machtpolitischen und ideologischen Gründen inakzeptabel ist. Der
„Geistliche Führer“ Khamenei steht vorerst immer noch hinter Rouhani,
versucht jedoch durch indirekte Kritik an dessen pragmatischen
Versöhnungskurs die Hardliner zu beschwichtigen: Man dürfe nicht „die
Bedürfnisse unseres Landes und Fragen wie internationale Sanktionen mit
diesen Verhandlungen verknüpfen“. Nur durch ein Atomabkommen und die
damit verknüpfte Aufhebung internationaler Sanktionen besituzt Rouhani
die Chance, sein Wahlversprechen, den Iran aus einer schmerzlichen
Wirtschaftskrise zu führen, zu erfüllen.
Trotz dieses massiven Drucks gingen Irans Unterhändler gestärkt in
die gegenwärtige Verhandlungsrunde. Denn die Krise zwischen den USA, der
EU und Russland um die Ukraine bietet Teheran nach Einschätzung mancher
iranischer Analysten eine „historische Chance“. Noch nie hat Europa
den „Gottesstaat“ so sehr gebraucht wie heute, da die Loslösung aus der
Abhängigkeit von russischer Energie dringender denn je erscheint. Der
einflussreiche Industrieminister Mohammed Reza Nematzadeh signalisierte
im April mit Blick auf Putins Russland westlichen Regierungen die
„Vertrauenswürdigkeit“ des Irans als „verlässlicher, sicherer,
langfristiger“ Gaslieferant. Immerhin verfügt ja der Iran über 33,6
Billionen m2 Gas (Russland über 32,9 Bill.) und mit 137 Mrd. Barrel über
die drittgrößten Ölreserven der Welt. Doch nicht zuletzt aufgrund der
jahrelangen Sanktionen fehlt es an Fördereinrichtungen und der nötigen
Infrastruktur sowie der Transportmöglichkeiten. Iranischer Ersatz für
russische Energielieferungen nach Europa wäre damit erst langfristig
möglich. Hauptvoraussetzung dafür ist aber eine Einigung im Atomkonflikt
und die damit verknüpfte Aufhebung der internationalen Sanktionen. Doch
schon stehen europäische, aber auch manche amerikanische Großfirmen in
der Warteschlange.
Doch wäre der „Gottesstaat“ tatsächlich zum Verrat an seinem
langjährigen russischen Verbündeten bereit, der ihm zudem, gemeinsam mit
China und anderen asiatischen Staaten den wichtigsten Ausweg aus
ökonomischer Not bietet, sollte mit dem Westen keine Einigung zustande
kommen? Weder Khamenei, noch der Pragmatiker Rouhani erscheinen bereit,
sich voll in die Arme des Westens zu werfen. In Abwandlung des von
Revolutionsführer Khomeini geprägten Leitspruchs „Weder Ost noch West“
hat Rouhani eine neue Losung ausgegeben: „Nicht nur Ost, sondern auch
West“: Verständigung mit beiden zur Förderung der Eigeninteressen, doch
keine Abhängigkeiten.
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