Dienstag, 13. Mai 2014

Iran: „Nicht nur Ost, sondern auch West“

Der Konflikt um die Ukraine stärkt Teheran zu Beginn der Entscheidungsrunde in den Atomverhandlungen
 
 von Birgit Cerha

Mit einem Arbeitsessen im Wiener Palais Coburg begann Dienstag die entscheidende Runde in den  Verhandlungen über Irans Atomprogramm  zwischen Teheran und der internationalen Sechsergruppe. In den vergangenen Monaten hatten beide Seiten  in überraschend guter und konstruktiver Atmosphäre ihre gegenseitigen Positionen abgesteckt. Nun beginnt auf der Grundlage des im November 2013 unterzeichneten sechsmonatigen Übergangsabkommens die Formulierung eines endgültigen Vertrages, der eine umfassende Lösung dieses zeitweise höchst explosiven Streits schaffen und die internationalen Beziehungen zur „Islamischen Republik“ neu regeln soll.  Als Frist haben sich beide Seiten den Ablauftermin des Übergangsabkommens, den 20. Juli, gesetzt. Der Zeitdruck ist enorm, denn noch gilt es hohe Hürden zu überwinden. Der Teufel steckt im Detail.
In einigen Aspekten sind die Konfliktpartner einander näher gekommen. Die westlichen Unterhändler haben sich grundsätzlich damit abgefunden, dass der Iran sein ziviles Atomprogramm behält. Nach Angaben Teherans wurde einer der Hauptstreitpunkte, der Schwerwasserreaktor Arak, beigelegt. Der Westen habe Teherans Vorschlag begrüßt, dort nur ein Fünftel der geplanten Plutonium-Menge zu produzieren. Bisher hatten die Weltmächte Stilllegung der Atomanlage oder den Umbau zu einem Leichtwasser-Reaktor gefordert, um sicherzustellen, dass keine ausreichende Menge von Plutonium zur Herstellung einer Atombombe anfallen würde.
Doch in einer Reihe anderer Fragen fand man noch keine Einigung. Nirgends ist die Kluft tiefer als beim Konflikt um die Menge hochangereicherten Urans, die der Iran vorrätig haben, die Leistungsstärke und die Anzahl der Zentrifugen, die er besitzen darf. Dem Westen geht es darum, durch starke Beschränkungen die Zeit zu verlängern, die der Iran brauchen würde, um eine Atombombe zu bauen, sollte er sich dazu entschließen. Deshalb sollen auch die internationalen Kontrollen verschärft werden.
Um die wachsender Schar seiner internen Kritiker zu beschwichtigen, bekräftigte Präsident Rouhani am Vorabend der Wiener Verhandlungen die Entschlossenheit, das Recht des Irans auf nukleare Entwicklung nicht aufzugeben.  Eine „atomare Apartheid“ sein inakzeptabel. Zugleich versprach er absolute „Transparenz“.
Je näher der Iran einem  Abkommen mit den Weltmächten rückt, desto massiver artikulieren die Hardliners im „Gottesstaat“ ihren Widerstand gegen den befürchteten „Ausverkauf nationaler Interessen“ durch das Verhandlungsteam und eine Aussöhnung mit den USA, die für sie aus machtpolitischen und ideologischen Gründen inakzeptabel ist. Der „Geistliche Führer“ Khamenei steht vorerst immer noch hinter  Rouhani, versucht jedoch durch indirekte Kritik an dessen pragmatischen Versöhnungskurs die Hardliner zu beschwichtigen:  Man dürfe nicht „die Bedürfnisse unseres Landes und Fragen wie internationale Sanktionen mit diesen Verhandlungen verknüpfen“.  Nur durch ein Atomabkommen und die damit verknüpfte Aufhebung internationaler Sanktionen besituzt Rouhani die Chance, sein Wahlversprechen, den Iran aus einer schmerzlichen Wirtschaftskrise zu führen, zu erfüllen.
Trotz dieses massiven Drucks gingen Irans Unterhändler gestärkt in die gegenwärtige Verhandlungsrunde. Denn die Krise zwischen den USA, der EU und Russland um die Ukraine bietet Teheran nach Einschätzung mancher iranischer Analysten eine „historische Chance“.  Noch nie hat Europa den „Gottesstaat“ so sehr gebraucht wie heute, da die Loslösung aus der Abhängigkeit von russischer Energie dringender denn je erscheint. Der einflussreiche Industrieminister Mohammed Reza Nematzadeh signalisierte im April mit Blick auf Putins Russland westlichen Regierungen die „Vertrauenswürdigkeit“ des Irans als „verlässlicher, sicherer, langfristiger“ Gaslieferant. Immerhin verfügt ja der Iran über 33,6 Billionen m2 Gas (Russland über 32,9 Bill.) und mit 137 Mrd. Barrel über die drittgrößten Ölreserven der Welt. Doch nicht zuletzt aufgrund der jahrelangen Sanktionen fehlt es an Fördereinrichtungen und der nötigen Infrastruktur sowie der Transportmöglichkeiten. Iranischer Ersatz für russische Energielieferungen nach Europa wäre damit erst langfristig möglich. Hauptvoraussetzung dafür ist aber eine Einigung im Atomkonflikt und die damit verknüpfte Aufhebung der internationalen Sanktionen. Doch schon stehen europäische, aber auch manche amerikanische Großfirmen in der Warteschlange.
Doch wäre der „Gottesstaat“ tatsächlich zum Verrat an seinem langjährigen russischen Verbündeten bereit, der ihm zudem, gemeinsam mit China und anderen asiatischen Staaten den wichtigsten   Ausweg aus ökonomischer Not bietet, sollte mit dem Westen keine Einigung zustande kommen? Weder Khamenei, noch der Pragmatiker Rouhani erscheinen bereit, sich voll in die Arme des Westens zu werfen. In Abwandlung des von Revolutionsführer Khomeini geprägten Leitspruchs „Weder Ost noch West“ hat Rouhani eine neue Losung ausgegeben: „Nicht nur Ost, sondern auch West“: Verständigung mit beiden zur Förderung der Eigeninteressen, doch keine Abhängigkeiten.

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