Erschöpft von dreijährigen blutigen Turbulenzen am Nil entscheidet
das Volk in den Präsidentschaftswahlen zwischen Freiheit oder Stabilität
von Birgit Cerha
Der Ausgang der ersten Präsidentschaftswahl in Ägypten seit dem
Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi am 3. Juli 2013
erscheint schon Monate bevor der Putschführer, Feldmarschall Abdel Fatah
al-Sisi seine Uniform gegen einen Anzug eintauschte und die Kandidatur
anmeldete, vorausbestimmt. Die Auslandsägypter, die bereits zu den
Wahlurnen schritten, scheinen dies zu bestätigen: 94 Prozent ihrer
Stimmen erhielt der von den Medien idolisierte „Retter Ägyptens“, der
vor fast elf Monaten den volksreichsten arabischen Staat aus den Fängen
der machtgierigen Moslembruderschaft und damit vor dem drohenden Chaos
erlöst hatte. Zwischen 72 und 74 Prozent dürften ihm laut wiederholten
Meinungsumfragen bei den Wahlen am 26. Und 27. Mai sicher sein. Die
„Sisi-Manie“ hält das Land seit vielen Wochen in ihrem Bann: Juweliere
dekorieren ihre Schmückstücke mit seinem Porträt, Shawarma-Sandwiches
werden zu seinen Ehren benannt. Sisi wurde in weiten Bevölkerungskreisen
zur Obsession.
Einen Wahlkampf hat der pensionierte General in dieser Stimmung
kaum nötig. Ohnedies wagt er sich nach mehreren Attentatsversuchen nicht
unter das Volk, präsentiert sich vielmehr erhaben in meist
aufgezeichneten und redigierten Fernseh-Interviews mit der
Entschlossenheit des Feldmarschalls, der keinen Widerspruch duldet,
dennoch den Ägyptern echte Demokratie verheißt, wiewohl erst in 25
Jahren.
Dass Hamdin Sahabi diesen Wahl-Voraussetzungen zu trotzen und als
einziger Gegenkandidat dem Volk eine Alternative anzubieten wagt,
gebührt schon für sich Anerkennung. Ist der linke Nationalist aber ein
echter Herausforderer oder, wie manche Kritiker in Ägypten und auch im
Westen meinen, ein Handlanger Sisis, das Feigenblatt der Demokratie für
diese Wahl? Denn geht es am 26. Und 27. Mai nicht in Wahrheit darum, der
Rückkehr der Diktatur ihre Legitimität zu verleihen, dem „neuen Pharao“
das Argument zu verschaffen, dass der Wille der Mehrheit ihn auf den
Thron hievte?
Internationale Wahlbeobachter, wie das „Carter-Zentrum“ schätzen
den demokratischen Wert dieser Übung so gering ein, dass sie gar nicht
erst an den Nil reisen. Manipulationen bei der Stimmenauszählung – eine
alte Tradition am Nil – sind diesmal ohnedies überflüssig. Die Stimmung
unter der Bevölkerungsmehrheit ist für Sisi bereit: Angst vor
anhaltendem Chaos, dem totalen Zusammenbruch der Wirtschaft, ja
vielleicht sogar des Staates, noch rasanterer Verarmung (fast 40 Prozent
der Bevölkerung – 34 Millionen – leben an der Armutsgrenze),
Kriminalität, Gewalt, Terror vor allem auch gegen die koptische
Minderheit. Die Übergangsführer haben diese Ängste seit dem Sturz Mursis
fleißig geschürt und Sisi erscheint vielen zermürbten und verzweifelten
Ägyptern als die einzige Hoffnung, durch Stärke und Härte das Land zu
Ruhe und Stabilität zu führen.
Unabhängige Beobachter halten diese Wahlen vor allem deshalb für
eine Farce, weil die weitaus stärkste politische Kraft, die einzige, die
über eine effiziente Wahlmaschinerie verfügte, ausgeschlossen bleibt,
kriminalisiert, hemmungslos brutal verfolgt, ihre Führer und
Zehntausende Anhänger im Gefängnis, Hunderte in Schnellverfahren zum
Tode verurteilt. Die Repression hat in den vergangenen Wochen aber
zunehmend auch andere Andersdenkende erfasst, darunter die jungen
Initiatoren der Revolution gegen Diktator Mubarak, politische Aktivisten
für Demokratie und Freiheit, Journalisten, friedliche Demonstranten.
Der Überdruss vieler Ägypter mit dem wachsenden Chaos, die
Zukunftsängste sind unterdessen aber so groß, dass immer mehr Bürger die
Augen vor diesen Repressionen verschließen und Sisi, der dafür die
Hauptverantwortung trägt, dennoch ihr Vertrauen schenken wollen, bereit
auf Freiheit zugunsten von Stabilität, ein wieder gesichertes Einkommen
zu verzichten.
Sisi hat das Militär und fast den gesamten Staatsapparat hinter
sich, die alte Elite, sowie führende Mitglieder der aufgelösten
Nationalen Demokratie-Partei Mubaraks. Er ist sich Milliardenhilfe aus
Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten sicher, wie auch weiterer
Unterstützung der USA, die wohl die Rückkehr der Diktatur dem totalen
Chaos in Land ihres wichtigsten arabischen Verbündeten vorziehen. Doch
in diversen TV-Interviews hat Sisi derartige autokratische Tendenzen zu
erkennen gegeben, dass allmählich ein – vielleicht aber zu kleiner –
Stimmungsumschwung einzusetzen begann. Liberale Gruppierungen,
Aktivisten der Revolutionen gegen Mubarak und Mursim u.a. auch
Prominente wie Friedensnobelpreisträger El-Baradei schlossen sich Sabahi
an. Zugleich könnte die deklarierte Unterstützung der salafistischen
Nour-Partei Sisi Stimmen jener Ägypter kosten, die Islamisten –
insbesondere Radikalen - jegliche politische Chance verwehren wollen.
Die Moslemburderschaft und mit ihr verbündete? Islamisten aber
haben zum Boykott aufgerufen. Deshalb könnte eine hohe Wahlbeteiligung
Sisi das Argument liefern, dass die überwältigende Mehrheit der Ägypter
diese Ideologie entschieden ablehnt, und die acht Jahrzehnte? Alte
Bewegung endgültig – und durch vielleicht sogar noch verschärfte
Repression – von der politische Bühne am Nil verjagt wird.
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