Samstag, 24. Mai 2014

Haben die Ägypter eine Wahl?

Erschöpft von dreijährigen blutigen Turbulenzen am Nil entscheidet das Volk in den Präsidentschaftswahlen zwischen Freiheit oder Stabilität
 
von Birgit Cerha
 
Der Ausgang der ersten Präsidentschaftswahl in Ägypten seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi am 3. Juli 2013 erscheint schon Monate bevor der Putschführer, Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi seine Uniform gegen einen Anzug eintauschte und die Kandidatur anmeldete, vorausbestimmt. Die Auslandsägypter, die bereits zu den Wahlurnen schritten, scheinen dies zu bestätigen: 94 Prozent ihrer Stimmen erhielt der von den Medien idolisierte „Retter Ägyptens“, der vor fast elf Monaten den volksreichsten arabischen Staat aus den Fängen der machtgierigen Moslembruderschaft und damit vor dem drohenden Chaos erlöst hatte. Zwischen 72 und 74 Prozent dürften ihm laut wiederholten Meinungsumfragen bei den Wahlen am 26. Und 27. Mai sicher sein. Die „Sisi-Manie“ hält das Land seit vielen Wochen in ihrem Bann: Juweliere dekorieren ihre Schmückstücke mit seinem Porträt, Shawarma-Sandwiches werden zu seinen Ehren benannt. Sisi wurde in weiten Bevölkerungskreisen zur Obsession.
Einen Wahlkampf hat der pensionierte General in dieser Stimmung kaum nötig. Ohnedies wagt er sich nach mehreren Attentatsversuchen nicht unter das Volk, präsentiert sich vielmehr erhaben in meist aufgezeichneten und redigierten Fernseh-Interviews mit der Entschlossenheit des Feldmarschalls, der keinen Widerspruch duldet, dennoch den Ägyptern echte Demokratie verheißt, wiewohl erst in 25 Jahren.
Dass Hamdin Sahabi diesen Wahl-Voraussetzungen zu trotzen und als einziger Gegenkandidat dem Volk eine Alternative anzubieten wagt, gebührt schon für sich Anerkennung. Ist der linke Nationalist aber ein echter Herausforderer oder, wie manche Kritiker in Ägypten und auch im Westen meinen, ein Handlanger Sisis, das Feigenblatt der Demokratie für diese Wahl? Denn geht es am 26. Und 27. Mai nicht in Wahrheit darum, der Rückkehr der Diktatur ihre Legitimität zu verleihen, dem „neuen Pharao“ das Argument zu verschaffen, dass der Wille der Mehrheit ihn auf den Thron hievte?
Internationale Wahlbeobachter, wie das „Carter-Zentrum“ schätzen den demokratischen Wert dieser Übung so gering ein, dass sie gar nicht erst an den Nil reisen. Manipulationen bei der Stimmenauszählung – eine alte Tradition am Nil – sind diesmal ohnedies überflüssig. Die Stimmung unter der Bevölkerungsmehrheit ist für Sisi bereit: Angst vor anhaltendem Chaos, dem totalen Zusammenbruch der Wirtschaft, ja vielleicht sogar des Staates, noch rasanterer Verarmung (fast 40 Prozent der Bevölkerung – 34 Millionen – leben an der Armutsgrenze), Kriminalität, Gewalt, Terror vor allem auch gegen die koptische Minderheit. Die Übergangsführer haben diese Ängste seit dem Sturz Mursis fleißig geschürt und Sisi erscheint vielen zermürbten und verzweifelten Ägyptern als die einzige Hoffnung, durch Stärke und Härte das Land zu Ruhe und Stabilität zu führen.
Unabhängige Beobachter halten diese Wahlen vor allem deshalb für eine Farce, weil die weitaus stärkste politische Kraft, die einzige, die über eine effiziente Wahlmaschinerie verfügte, ausgeschlossen bleibt, kriminalisiert, hemmungslos brutal verfolgt, ihre Führer und Zehntausende Anhänger im Gefängnis, Hunderte in Schnellverfahren zum Tode verurteilt. Die Repression hat in den vergangenen Wochen aber zunehmend auch andere Andersdenkende erfasst, darunter die jungen Initiatoren der Revolution gegen Diktator Mubarak, politische Aktivisten für Demokratie und Freiheit, Journalisten, friedliche Demonstranten.
Der Überdruss vieler Ägypter mit dem wachsenden Chaos, die Zukunftsängste sind unterdessen aber so groß, dass immer mehr Bürger die Augen vor diesen Repressionen verschließen und Sisi, der dafür die Hauptverantwortung trägt, dennoch ihr Vertrauen schenken wollen, bereit auf Freiheit zugunsten von Stabilität, ein wieder gesichertes Einkommen zu verzichten.
Sisi hat das Militär und fast den gesamten Staatsapparat hinter sich, die alte Elite, sowie führende Mitglieder der aufgelösten Nationalen Demokratie-Partei Mubaraks. Er ist sich Milliardenhilfe aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten sicher, wie auch weiterer Unterstützung der USA, die wohl die Rückkehr der Diktatur dem totalen Chaos in Land ihres wichtigsten arabischen Verbündeten vorziehen. Doch in diversen TV-Interviews hat Sisi derartige autokratische Tendenzen zu erkennen gegeben, dass allmählich ein – vielleicht aber zu kleiner – Stimmungsumschwung einzusetzen begann. Liberale Gruppierungen, Aktivisten der Revolutionen gegen Mubarak und Mursim u.a. auch Prominente wie Friedensnobelpreisträger El-Baradei schlossen sich Sabahi an. Zugleich könnte die deklarierte Unterstützung der salafistischen Nour-Partei Sisi Stimmen jener Ägypter kosten, die  Islamisten – insbesondere Radikalen -  jegliche politische Chance verwehren wollen.
Die Moslemburderschaft und mit ihr verbündete? Islamisten aber haben zum Boykott aufgerufen. Deshalb könnte eine hohe Wahlbeteiligung Sisi das Argument liefern, dass die überwältigende Mehrheit der Ägypter diese Ideologie entschieden ablehnt, und die acht Jahrzehnte? Alte Bewegung endgültig – und durch vielleicht sogar noch verschärfte Repression – von der politische Bühne am Nil verjagt wird.

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